Hier wird spielerisch experimentiert und Ungewohntes kombiniert: Ein Besuch beim Festival „Der Sommer in Stuttgart“ im Theaterhaus klärt die Frage, ob man bei einem Liederabend kochen, putzen und waschen darf und ob es sich in einem Flügel liegend singen lässt.

Stuttgart - Der sanfte Hauch von Leichtigkeit, der das alljährliche Neue-Musik-Kooperations-Festival von Musik der Jahrhunderte, SWR, Akademie Schloss Solitude, Musikhochschule und Südwestrundfunk schon immer durchweht hat, belebt auch in diesem Jahr wieder die Veranstaltungsreihe im Stuttgarter Theaterhaus. Bei „Der Sommer in Stuttgart“ wird im geschützten Raum freundlicher, informierter Besucher spielerisch experimentiert und Ungewohntes kombiniert – jetzt leider (wohl fußballbedingt) vor ziemlich reduziertem Publikum.

 

Immer wieder werden auch die Grenzen zwischen Konzert und Theater, Musik und Szene aus- und überschritten. Im Glashaus sorgen Studierende der Musikhochschule mit vier lächelnd servierten „Objektstudien“ aus dem Zwischenbereich von Musik, Figurenspiel und Performance für Irritationen: Am Freitag zappen sich die Zuschauer, die auf Befehl die Augen öffnen und wieder schließen müssen, durch wechselnde Positionierungen einer Figurenspielerin und eines weißen Quadrats im Raum, und eine Sängerin dekoriert das Ganze mit Geräuschen und Vokalgirlanden.

Den Schwerpunkt des Abends bilden indes „Konzert-Szenen“ der prominentesten Stuttgarter Partisanen des szenisch-konzertanten Grenzlands, und die extreme Unterschiedlichkeit der von den Neuen Vocalsolisten uraufgeführten Stücke von Valerio Sannicando („Finisterrae“) und Giovanni Bertelli („Le premier jour“) verstärkt noch zusätzlich das dramatische Potenzial des Konzerts.

Das Ensemble agiert wundervoll homogen

Sannicandos Stück, ein fast meditativer Dialog zwischen fünf Sängern des Ensembles und drei oft extrem stimmnahen Viola-Instrumenten (Garth Knox), zwischen akustischen und elektronisch verfremdeten, stationären und (vom Experimentalstudio des SWR) auf Klang-Reise im Raum geschickten, kaum ortbaren Klängen. Wer sich fallen lässt in diese extrem sinnlich gesponnene, stille Musik, wer sich über die Längen der fast fünfzigminütigen Partitur hinweg träumt, die (was man im Programmheft liest, aber nicht unbedingt wissen muss) auf frühbarocken Gedichten Tommaso Campanellas fußt, der erlebt das Stück bei wechselnder Beleuchtung und Positionierung der Ausführenden als poetische Reise. Wie wundervoll homogen das Ensemble miteinander agieren kann, hört man dann auch bei Bertellis Stück: Das klingt, als blätterten sich sechs Sänger durch ein altes Chorbuch, als sängen sie dies oder jenes an, als spielten sie schließlich mit dem Klang und dem Rhythmus französischer Textfetzen, die – woher auch sonst? – aus Prousts „A la recherche du temps perdu“ stammen; das Ganze hat eine entsprechende Metaebene, aber auch ohne diese durchschreitet die Musik einen faszinierenden Kosmos kollektiver stimmlicher Äußerungen.

Einen szenischen Liederabend gibt es dann auch noch. Das Duo Illegal (die Sopranistin Alessia Park, die Pianistin Marija Skender) verbindet zeitgenössische Werke von Gerhard Stäbler, Lucia Ronchetti, Carola Bauckholdt, Alexandra Filonenko, Silvia Rosani und Junyoung Park zu einer assoziativen Bildergalerie, bei der gekocht, gewaschen, geputzt und einmal auch im Flügel liegend gesungen wird (Regie: Jörg Behr). Die Idee, so die sterile konventionelle Lied-Präsentation auszuhebeln, ist zu begrüßen, ihre Konkretisierung wirkt hier aber hilflos, schafft keinen Mehrwert und steht im schlimmsten Falle der Musik entgegen. Leichtigkeit ist schön, Seichtigkeit gefährlich.