Dresden ist derzeit kein Ort, um Deutschland zu feiern. Die Gastgeber schämen sich und sind doch auch froh, dass abgesehen von Verbalinjurien nicht noch mehr passiert ist.

Dresden - Ob er wütend sei? Da lacht der Mann so kurz, dass die Augen so schnell gar nicht mit den Mundwinkeln mitkommen. Würde er denn morgens um halb zehn hierherkommen und eine Stunde am Stück abwechselnd „Volksverräter“ und „Abtreten“ brüllen – im Nieselregen, am freien Tag, wenn er keine Sauwut im Bauch hätte? Was für eine Frage. Und warum? Man solle sich das Ganze doch mal anschauen, sagt der Mann, und er macht eine weite Geste in den Raum hinein. „Die Merkel, die schafft das deutsche Volk ab. Und wir schauen nicht mehr dabei zu.“

 

Das Ganze, jetzt nicht politisch, sondern räumlich betrachtet, bedeutet an diesem Morgen die Dresdner Frauenkirche, davor eine Polizeiabsperrung, dahinter ein paar Hundert Menschen, in der Mehrzahl Männer. Sie brüllen, die Wangen rot vom Zorn und vom kühlen Oktoberwind, sie tragen Windjacken, Trekkingschuhe, Regenschirm. In den Ohren leuchten gelbe Stöpsel, was den Austausch von Argumenten auch rein akustisch schwierig macht. Am Gehörschutz erkennt man den Routinier, schließlich trifft man sich in Dresden in Sachen Wut schon fast zwei Jahre.

Ein geladener Gast wird als Affe verhöhnt

Hinter der Absperrung kommen gerade an: die Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Bundespräsident Joachim Gauck, der Bundestagspräsident zum offiziellen Gottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit. Und dann schneidet sich der Lärm von Hunderten Trillerpfeifen kreissägengleich ins Trommelfell. „Lumpenpack“ schreit der Mann jetzt. Und: „Merkel nach Sibirien, Putin nach Berlin.“ Kurz vorher ist ein farbiger Mann aus einem Auto entstiegen, ein geladener Gast für den Staatsakt. „Uh, uh“, machte die Menge, es soll ein Affensound sein. Manche brüllen: „Abschieben.“ Und als Kameraleute das aufnehmen, gleich hinterher, aus etlichen Kehlen: „Lügenpresse.“ Da freuen sich die Schreier. Allen haben sie es gegeben.

So sieht Deutschland am Morgen des 3. Oktober 2016 aus, und zwar an einem Ort, der sich seit Monaten bemüht, an diesem Tag ein bisschen weniger hässlich zu sein als zuletzt so oft. Alles hat Dresden dafür getan, dass, wie der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich vergangene Woche noch in aller Bescheidenheit sagte, „die Freude am Ende überwiegen wird“.