Die Stadtplaner sind angetan, die Untertürkheimer empört: Der Discounter Aldi will im Ortszentrum ein Einkaufszentrum bauen. Post, Postbank und Cap-Markt müssten diesen Plänen weichen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Stuttgart - Freundlich wäre ein anderer Empfang: Das Sozialunternehmen, das die Cap-Märkte betreibt, ist empört. Der örtliche Gewerbeverein IHGV schickt eine Protestnote an Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Die Gemeinderats-SPD fordert Aufklärung. Der Anlass des Ärgers ist, dass Aldi beabsichtigt, den Postbau am Bahnhof Untertürkheim zu kaufen, abzureißen und gegen einen Neubau zu ersetzen. Tenor des Protests: ein ortsprägendes Vorhaben werde als Geheimsache behandelt.

 

Sofern die Absicht verwirklicht wird, müssten Post und Postbank ihren angestammten Platz verlassen. Der Cap-Markt im Ort würde zum Verlustbringer. Wann und ob überhaupt die Absicht verwirklicht wird, ist offen. Die Aldi-Pläne sind wegen einer Indiskretion im Rathaus durchgesickert. Tatsächlich waren Abgesandte des Discounters zu einem Gespräch im Stadtplanungsamt. Dies bestätigt der Abteilungsleiter Heinz Sonntag, aber „es gibt noch keine Pläne, gar kein Papier“, sagt er.

Standplaner „fanden die Vorschläge gar nicht dumm“

Den Aldi-Vertretern sei bei jenem Treffen klar gesagt worden, dass die Architektur eines Neubaus an dieser Stelle deutlich von der bei Discountern üblichen abweichen müsse. Ansonsten „haben wir keine Möglichkeit, in Privatgeschäfte einzugreifen“, sagt Sonntag. Was die Stadtplaner offenbar auch nicht wollten, denn „wir fanden die Vorschläge gar nicht dumm“.

Der Konzern will in Untertürkheim keinen seiner herkömmlichen Märkte eröffnen. Geplant ist ein kleines Einkaufszentrum. Um den Aldi-Markt sollen im Neubau kleinere Einzelhändler ihre Ware anbieten. In den oberen Etagen könnten Büros entstehen oder Wohnungen, auch wenn Letztere „wegen des Lärms schwierig zu verwirklichen sind“, sagt Sonntag. Die Bahn fährt nur wenige Meter entfernt vorbei.

Der zentrale Parkplatz hinter dem Postbau müsste ebenfalls umgebaut werden, die Stellplätze sollen dabei allerdings erhalten bleiben. Vorerst „wissen aber auch wir nicht, ob Aldi schon der Eigentümer ist“, sagt Sonntag. Die Post hatte das Haus im Jahr 2008 an den US-Immobilienriesen Lone Star verkauft, zusammen mit 1300 weiteren, für insgesamt eine Milliarde Euro. Seitdem ist sie im einst eigenen Haus nur noch Mieter. Lone Star vermarktet die Bauten seither Stück um Stück. In Untertürkheim ist die Post gar nur noch Untermieter – bei der Postbank.

Post und Postbank versichern, im Ort zu bleiben

Letztere hat laut Iris Laduch-Reichelt „noch nichts von den Plänen gehört“. Die Pressesprecherin versichert, dass die Postbank auch im Fall eines Abrisses im Kern Untertürkheims vertreten bleiben werde, dann an einem nahen Standort. Ähnlich äußert sich Postsprecher Gerold Beck, der zusätzlich auf die gesetzlichen Regelungen zur Dichte des Netzes von Standorten verweist. „Niemand darf mehr als zwei Kilometer Weg zur nächsten Filiale haben“, sagt Beck. Einen Hinweis auf den möglichen Baubeginn gibt der Mietvertrag der Postbank, den Aldi übernehmen müsste. Er endet mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr am 30. Juni 2018. Die Postbank könnte auf einer Option zur Verlängerung beharren, aber „das wäre Verhandlungssache“, sagt Laduch-Reichelt, „in der Regel sind wir kein Bremsklotz“ – sofern sich ein Ersatzstandort finden lässt.

Leidtragender wäre der nur wenige Schritte entfernte Cap-Markt. Dessen Geschäftsführer Gerhard Sohst rechnet „mit einem Umsatzeinbruch von 40 bis 50 Prozent, wenn dort ein Aldi eröffnet, das wäre existenziell“. Und zwar nicht nur für den Unter-, sondern auch für den Obertürkheimer Cap-Markt. Die sozialen Supermärkte erwirtschaften an all ihren Standorten nur Gewinn, wenn sie mindestens im Duo gemeinsam einkaufen, beliefert werden und Personal austauschen können. Ein Ersatzstandort in der Umgebung zur Rettung des Marktes in Obertürkheim wäre laut Sohst „wirtschaftlich nicht darstellbar“ – wegen zu hoher Investitionen. Im Klartext: beide Cap-Märkte wären pleite. 30 Mitarbeiter müssten entlassen werden. Die Hälfte von ihnen ist behindert.

Das letzte Wort über das Vorhaben und damit auch ihr Schicksal wird der Gemeinderat sprechen. Sonntag rechnet damit, dass der Discounter frühestens zum Jahresende konkrete Pläne einreichen könnte. Danach würden die rathausinternen Beratungen Jahre dauern. Den Vorwurf der Geheimgespräche im Hinterzimmer weist der Stadtplaner von sich. „Das nimmt dann einen ganz normalen Gang, mit Sitzungen im Bezirksbeirat und Bürgerbeteiligung“, sagt er. Am Ende muss der Gemeinderat die Pläne befürworten – oder ablehnen.

Die Anfrage der StZ an die Aldi-Pressestelle blieb unbeantwortet.