Kultur: Stefan Kister (kir)

Während im Untergrund die mafiösen Verbindungen der Solara-Brüder immer weitere Teile der Stadt unterwandern und ihre Schattenwirtschaft expandiert, schanzt sich auch die ehrenwerte Gesellschaft der linken Bildungselite über intellektuelle Netzwerke untereinander Gefälligkeiten und Empfehlungen zu. Und vielleicht ist eine sich über Verbindungen jedweder Art unterhalb der offiziellen Oberfläche organisierende Gesellschaft die Voraussetzung dafür, über den begrenzten Personensatz eines Romans so vollständig erschlossen werden zu können, wie es Ferrantes Werk für die jüngere italienische Sozialgeschichte leistet.

 

Wie kommunizierende Röhren hängen die Parallelbiografien der beiden zentralen Frauenfiguren zusammen: Tendiert die eine abwärts, steigen die Chancen der anderen und umgekehrt. So profund Elena Ferrante, wer immer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, mit dem komplementären Auf und Ab ein getreues Bild der Verhältnisse zeichnet, so sehr nutzt sie es zugleich als ein der Kolportage entlehntes dramaturgisches Prinzip. Auch wenn man sich mit Recht auf die Tradition eines spezifischen italienischen Verismus berufen mag, um den zugänglichen Realismus dieser Schreibweise gegen den Vorwurf der Trivialität zu verteidigen, ist es doch unübersehbar, wie viel in Linas und Lenus Geschichte durchaus auch von „Hanni und Nanni“ für Erwachsene steckt: ein geschicktes Arrangement von Rivalitäten aller Art, Abenteuern, Sex, Crime und Cliffhangern. Doch die Alternative lautet in diesem Fall nicht Unterhaltung oder hohe Literatur. Zu fragen wäre vielmehr, wie es Literatur schafft, von so genauer Beobachtungsgabe, von so schonungslosem Wirklichkeitssinn und historischer Präzision und gleichzeitig so ungeheuer unterhaltsam zu sein?

Gewagte Verbindung

Man könnte probehalber einmal literarische Begriffe durch filmische ersetzen: Saga durch Soap, Zyklus durch Serie, Band durch Staffel. Das florierende Serienwesen sei dabei, die große Welterklärungsmaschine des Romans zu beerben, ist immer wieder zu lesen. Ferrante wäre ein Beispiel in die andere Richtung. Gerade, was sie mit den besten unter den Serien teilt, den langen Atem, das große horizontale Panorama, die Entfesselung der Zeit macht sie den Epikern des 19. Jahrhunderts gemäß – unter den Voraussetzungen der Gegenwart.

Ehen scheitern, zumal in der patriarchalisch geprägten Welt, in der sich diese weiblichen Lebensentwürfe behaupten müssen. Doch mit jedem weiteren Band erweist sich ausgerechnet die gewagteste Verbindung als die stabilste: die Vermählung von brutaler, ungeschönter Wirklichkeit und Genre.