Bei der Umgestaltung der Grundschulen fordern Eltern eine flexiblere Betreuung und Mittagessen für alle.

Stuttgart - Beim Thema Ganztagsschulen treiben derzeit zwei Dinge viele Eltern um. Erstens die Sorge: wird es auch künftig die Option auf Halbtagsschule geben? Zweitens die Unzufriedenheit, dass es beim Ganztagsmodell keine flexibel wählbaren Bausteine gibt. Zu beiden Punkten gibt es Protestaktionen von Eltern.

 

So haben fünf Mütter bereits im Juni eine Initiative gegründet und bei den Gemeinderatsfraktionen sowie den Bürgermeisterinnen Susanne Eisenmann und Isabel Fezer mit 560 Unterschriften gegen das Konzept der Ganztagsgrundschulen protestiert. Reaktionen darauf habe es bisher nicht gegeben. Aber aufgeben wollen die Mütter nicht – und haben sich nun an die StZ gewandt. „Das System ist zu starr“, sagt Martina Hermann, eine der Initiatorinnen und Mutter dreier Kinder. Sie betont, für viele Kinder und ihre Eltern sei die Ganztagsschule eine wichtige Möglichkeit. Aber für viele Kinder sei es auch eine Überforderung, so lange in einer womöglich lauten Gruppe zu sein. „Wir wollen den Nachmittag mit den Kindern mitgestalten“, sagt Martina Hermann.

Kindern soll zeitlicher Spielraum bleiben

Diese Option wird es auch in Zukunft geben. Eltern können dann zwischen Ganztagsschule bis 16 Uhr (oder auch länger) und Halbtagsschule wählen – diese geht bis maximal 14 Uhr, aber die Kinder haben keinen Anspruch auf ein warmes Mittagessen. Und auch keine Möglichkeit für weitergehende Betreuungsangebote an der Schule.

Hier setzt die Kritik der Eltern an: „Die Halbtagsschule wird so unattraktiv ausgestaltet, dass wir praktisch reingezwungen werden in die Ganztagsschule“, argumentieren Martina Hermann und ihre Mitstreiterinnen. Doch dann bleibe den Kindern weder Spielraum für eigene Freundschaften außerhalb der Schule noch für individuell gewünschte sportliche oder musische Freizeitbeschäftigungen. Zudem sei die Ganztagsschule gebührenfrei, während die Betreuung bis 14 Uhr in der Halbtagsschule gebührenpflichtig sei. Und die Ferienbetreuung mit lediglich 23 Schließtagen im Jahr könne nur für Ganztagsschüler gebucht werden.

Elternkritik: Der tatsächliche Bedarf wird nicht berücksichtigt

Ähnlich argumentiert auch Inka Glaser-Gallion, die als Mutter gerade dabei ist, in Degerloch gemeinsam mit Kindergarteneltern, Sportvereinen und Chor eine Initiative ins Leben zu rufen. Sie kritisiert vor allem die strukturelle Ungleichbehandlung: „Das ganze Geld wird in die Ganztagsschulen gesteckt.“ Der Bedarf der Eltern werde hingegen nicht berücksichtigt. Sie fordert, dass auch die künftigen Halbtagsschulen AGs sowie die Option einer Betreuung bis 15 Uhr bieten, statt nur bis 14 Uhr. Denn auch Ganztagseltern könnten künftig – gegen Gebühr – eine zusätzliche Betreuungsstunde von 16 bis 17 Uhr buchen. Ihre Forderung untermauert Glaser-Gallion mit dem Ergebnis einer Umfrage, an der 343 Degerlocher Kita- und Schuleltern im September teilgenommen hätten. Demnach würden dort 69,1 Prozent ihr Kind für den Halbtagsbetrieb anmelden, 26,2 für die Ganztagsschule.

Etwas anders gelagerte Sorgen plagen indessen Friedrich Springob. Der Vater von vier Kindern und Elternbeirat in der Schönbuchschule in Dürrlewang befürchtet, dass künftig allen Grundschülern der Ganztagsunterricht bis 16 Uhr verordnet und den Eltern somit ihr Recht auf Mitbestimmung bei der Erziehung aberkannt werde. Diese Schlussfolgerung zieht er daraus, dass sowohl die Gesamtlehrerkonferenz als auch die Schulkonferenz der Schönbuchschule für einen Antrag als gebundene Ganztagsschule gestimmt hätten und das Ergebnis der Elternumfrage keine Berücksichtigung finde. 44 Prozent seien demnach für Ganztags-, 36 Prozent für Halbtagsschule. Springob kritisiert, dass über das Procedere unzureichend informiert werde und intervenierte bei allen Schulbehörden bis hin zur Ministerin.

Zur Not in Nachbarschule ausweichen

Der StZ erklärte Matthias Kaiser vom Staatlichen Schulamt: „Die Eltern entscheiden, ob ihr Kind in die Halbtags- oder in die Ganztagsschule kommen soll.“ Und zwar die Eltern der betroffenen künftigen Erstklässler. Für einen Ganztags-, aber auch Halbtagszug müssten mindestens 16 Kinder zusammenkommen. Zur Not müssten Kinder in die Nachbarschule ausweichen. Bei den Anträgen der Schulen, beziehungsweise des Schulträgers Stadt beim Land gehe es darum, sich Lehrerressourcen für die Ganztagsschule zu sichern und die Raumplanung vorzubereiten. Die Ausgestaltung der Züge sei damit nicht festgelegt. „Man nimmt das ganze Glas“, erklärt Sabine Graf vom Schulamt, „egal, ob man es ganz austrinkt oder nicht“. Auch die individuelle Ausgestaltung des Ganztags werde erst noch erarbeitet, gemeinsam mit den Eltern. Die Verwerfungen an der Schönbuchschule zeigten aber, dass man einzelne Eltern „stärker mitnehmen“ müsse. Die Schule habe das Verfahren „absolut korrekt“ gemacht, so Graf.

Der Gesamtelternbeirats (GEB) der Schulen steht der Umwandlung zu Ganztagsschulen indes positiv gegenüber. Für viele Kinder werde dies eine Bereicherung sein, so die Vorsitzende Sabine Wassmer. „Aber wir wollen auch Eltern ein Forum bieten, die die Ganztagsschule ablehnen.“ Dass Halbtagskinder kein warmes Essen erhalten sollen, müsse geändert werden, fordert Wassmer. „Wenn man bis um zwei in der Schule ist, hat man Hunger wie ein Wolf.“ Auch die Forderung vieler Eltern nach flexibler Betreuung sei ernst zu nehmen: „Stuttgart hat immer mal wieder einen Sonderweg eingeschlagen.“ Doch viele Rückmeldungen zeigten auch, dass es mit dem Informationsfluss noch hapere, etwa an Kitas. „Vielen Eltern ist überhaupt nicht klar, dass bei der Ganztagsschule das Nachmittagsprogramm keine AGs sind, sondern dass es fest verzahnt ist mit dem Unterricht.“