Plagiate und Fälschungen haben in den letzten Jahren das Vertrauen in die Wissenschaft untergraben. Nach einer Tagung in Stuttgart reagiert der Wissenschaftsrat nun mit Empfehlungen. Er nimmt auch Hochschulen, Wissenschaftsverlage und die Politik in die Pflicht.

Stuttgart - Vertraut die Öffentlichkeit der Wissenschaft? Das könnte man meinen, schließlich gibt es keine bessere Methode, um zuverlässige Erkenntnisse zu produzieren. Doch die korrekte Antwort lautet: Es hängt von der Formulierung der Umfrage ab. Deutet man zum Beispiel an, dass Wissenschaftler zunehmend auf Fördermittel aus der Industrie angewiesen sind, sagen 70 Prozent der Deutschen, dass man den Wissenschaftlern bei kontroversen Themen nicht mehr vertrauen könne. Als eines der kontroversesten Themen gilt die Grüne Gentechnik. Wenn es hingegen um die Frage geht, ob Wissenschaft alles in allem mehr nützt als schadet, stimmen wiederum 70 Prozent zu.

 

Unterm Strich bleibt für die Wissenschaft die Erkenntnis, dass sie nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Die Plagiate und Fälschungen, über die in den letzten Jahren auch in Publikumsmedien diskutiert worden ist (siehe 2. Seite), haben der Wissenschaft gezeigt, dass sie reagieren muss. Viele Organisationen haben Regeln formuliert oder präzisiert. Der Wissenschaftsrat, ein zentrales Beratungsgremium für die Politik, hat diese Leitlinien gesichtet und auf einer Tagung in Stuttgart nun Empfehlungen formuliert. Sie richten sich nicht nur an die Fachkollegen, sondern auch an Fachverlage, Hochschulen und die Politik. Und sie greifen auch Fälle unredlicher Forschung auf, die in einer Grauzone liegt. „Es geht darum zu fragen, wie wir die Qualität der Forschung und der wissenschaftlichen Ausbildung sichern“, sagt Manfred Prenzel, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats.

Der Wissenschaftsrat kann niemandem etwas vorschreiben, aber er wird durchaus gehört. Bei einem Empfang im Neuen Schloss in Stuttgart hob Ministerpräsident Winfried Kretschmann hervor, dass seine Regierung den Empfehlungen des Wissenschaftsrats gefolgt sei, als sie die Grundfinanzierung der Hochschulen anhob und die Arbeitsbedingungen für den Nachwuchs verbesserte. Und er sicherte den Wissenschaftlern Freiheit zu: „Es kommt darauf an, der Wissenschaft genügend Freiräume zu schaffen, damit sie alte Gewissheiten infrage stellt und Neues wagt.“

Die Hochschulen sollen Studierende besser ausbilden

Diese Freiheit fordert die Wissenschaft auch für sich ein – und der Wissenschaftsrat hält fest, dass es deshalb erst recht darauf ankomme, sauber und verlässlich zu arbeiten. Wie aber garantiert man das? Indem man die Strafen erhöht? Der Wissenschaftsrat setzt vielmehr bei den Ursachen an: bei der Ausbildung und bei den Anreizen für Wissenschaftler. Wer vorbeugt, muss weniger abschrecken.

Nur 57 Prozent der Fakultäten, die auf eine Umfrage antworteten, haben Kurse zur guten wissenschaftlichen Praxis in ihrem Studienangebot – zu wenig, findet der Wissenschaftsrat. In solchen Kursen lernt man nicht nur das Führen von Laborbüchern und das Zitieren von Fachliteratur, sondern diskutiert auch Zweifelsfälle. Warum darf man Messwerte, die offensichtlich falsch sind, nicht einfach löschen? Muss man anerkannte Theorien, die im Lehrbuch stehen, zitieren? Und was ist davon zu halten, wenn der Betreuer der Abschlussarbeit in der Fachveröffentlichung als Mitautor genannt werden möchte, obwohl er nicht mitgearbeitet hat? Der Wissenschaftsrat empfiehlt zudem, dass für jede Doktorarbeit eine Betreuungsvereinbarung unterschrieben wird, die klar macht, was ein Doktorand zu beachten hat und was er von seiner Hochschule erwarten kann.

Der wirkliche Stress für die Wissenschaft beginnt aber, wenn es auf die Professur zugeht. Typischerweise haben Bewerber nach der Promotion fünf Jahre oder länger Forschergruppen geleitet – oft im Ausland. In ihrer Bewerbung führen sie auf, welche Fördermittel sie in dieser Zeit eingeworben und welche Fachartikel sie veröffentlicht haben. Aus diesen Angaben berechnen manche Hochschulen sogar Kennzahlen, um die Kandidaten zu vergleichen. „Eine Berufung nur auf quantitative Kriterien zu stützen greift zu kurz“, kritisiert jedoch Manfred Prenzel. Und die Politik müsse aufpassen, bei der Mittelvergabe nach Leistung nicht der vermeintlichen Präzision der Zahlen zu erliegen, heißt es in der Stellungnahme des Wissenschaftsrats.

Die Verlage sollen auch Langweiliges publizieren

Der Publikationsdruck ist enorm: „Publish or perish“ lautet die Devise, publiziere oder gehe unter. Wichtig ist nicht nur die Zahl der Fachartikel, sondern auch, sie in möglichst renommierten Journalen unterzubringen. Beliebte Magazine müssen fast alle Manuskripte ablehnen, und ob sie immer die besten annehmen, ist umstritten. Kein Wunder, wenn mancher Forscher versucht, seine Experimente zu beschleunigen oder die Ergebnisse zu verbessern, indem er Daten unterschlägt oder hinzudichtet. Oder er nutzt die Möglichkeiten der Grauzone: Versuche so lange zu wiederholen, bis das Ergebnis stimmt, eine Forschungsarbeit auf mehrere Fachartikel aufzuteilen oder sich mit Kollegen zum gegenseitigen Zitieren zu verabreden, was den Eindruck erweckt, die zitierten Arbeiten seien relevant.

Es gibt noch eine weitere Konsequenz, die der Wissenschaft zu schaffen macht: Forscher bemühen sich darum, mit möglichst überraschenden Ergebnissen auf sich aufmerksam zu machen. Das führt dazu, dass sie sich nicht damit aufhalten, die Studien ihrer Kollegen zu prüfen, obwohl die gegenseitige Kritik zum Kern der wissenschaftlichen Methode gehört. Und sie lassen negative Ergebnisse oft in der Schublade verschwinden, weil sie damit nicht punkten können. Dabei lässt sich auch aus Fehlschlägen etwas lernen.

Hier wendet sich der Wissenschaftsrat an die Zeitschriftenverlage, von denen einige unverschämt gut verdienen. Er fordert, dass die Herausgeber auch Fachartikel mit negativen Ergebnissen und mit Bestätigungen älterer Studien akzeptieren, wenn sauber geforscht worden ist: „Die Verlagspolitik darf nicht zu einer selektiven Auswahl von aufsehenerregenden Forschungsthemen führen und damit unintendierte Anreize für wissenschaftliches Fehlverhalten setzen.“ Außerdem sollten die Verlage die Rohdaten zu den publizierten Experimenten vorhalten, damit sie von Fachkollegen leichter überprüft werden können.

Zu diesen Fragen hat sich Winfried Kretschmann beim Empfang im Schloss nicht geäußert. Er rief die Forscher vielmehr dazu auf, die Politik zu unterstützen, wenn es darum gehe, die Exzellenzinitiative für einige Jahre fortzuführen. Die Wissenschaftsminister und die Regierungskoalition im Bund haben jährlich 400 Millionen Euro in Aussicht gestellt. „Bitte seien Sie auch aufmüpfig“, forderte Kretschmann. Doch Manfred Prenzel verweist im StZ-Gespräch darauf, dass der Wissenschaftsrat derzeit die bisherige Exzellenzinitiative auswerte. Im Sommer werde der Bericht erwartet. „Anschließend werden wir unsre Beratungsrolle wahrnehmen. Wenn wir gefragt werden, äußern wir uns.“

Auslöser der Debatte um wissenschaftliche Qualität

Fälschungen
Zwei deutsche Fälle sind in den vergangenen Jahren breit diskutiert worden: Marion Brach und Friedhelm Herrmann wurde in den 90er-Jahren vorgeworfen, Daten in Krebsstudien manipuliert zu haben. Dem Physiker Jan Hendrik Schön hat die Universität Konstanz 2004 wegen gefälschter Studien den Doktorgrad aberkannt.

Plagiate
Karl-Theodor zu Guttenberg trat nach Plagiatsvorwürfen in seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2007 vor vier Jahren als Verteidigungsminister zurück. Auch Annette Schavan und Silvana Koch-Mehrin verloren politische Ämter. Meist haben anonyme Prüfer, die sich im Internet zusammenfanden, den Anstoß für die Aufarbeitung gegeben.

Zufallstreffer
In der Medizin und der Psychologie wird diskutiert, warum sich manches Experiment nicht bestätigen lässt. Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman rief seine Kollegen auf, gegen den „Schlamassel“ vorzugehen, und das Medizinjournal „Lancet“ suchte nach Wegen, den „Forschungsmüll“ zu reduzieren.

Kommentar: Weniger Wettbewerb in der Forschung

Es läuft einiges schief in der Wissenschaft, denn der Druck ist enorm. Experimente werden nicht überprüft, weil das die Karriere nicht voranbringt, und manchmal werden die Daten auch passend gemacht, damit man sich Chancen auf eine Professur erhält. Die Wissenschaft übertreibt es mit dem Wettbewerb. Etwas mehr Ruhe und – ja – Pedanterie würde ihr guttun.

Darauf weist nun der Wissenschaftsrat hin, ein bedeutendes Beratungsgremium, auch wenn er es anders formuliert und eine „Kultur der Redlichkeit und der Verantwortung für Qualität“ fordert. Er sagt damit Forschern allerdings nichts Neues, und auch seine Empfehlungen haben schon andere vor ihm geäußert. Nur auf die Probleme hinzuweisen, löst sie nicht. Das Gegensteuern wird ein zäher Prozess, und es ist noch nicht ausgemacht, dass er gelingt.

Aber ein Gutes hat der Appell des Wissenschaftsrats: Er erreicht Politik und Öffentlichkeit, die in den vergangenen Jahren den Gedanken des Wettbewerbs verbreitet haben. Sie könnten den Anfang machen und den Fuß vom Gas nehmen. Sie müssten lernen darauf zu vertrauen, dass Wissenschaftler mit ihrem Freiraum umzugehen wissen. Sie werden Zeit und Geld nicht vergeuden, sondern ihren Beitrag zum technischen, medizinischen und gesellschaftlichen Fortschritt leisten.