Die Länder wollen einen Stufenplan für den Ausstieg, und Merkel sagt Ja. So viel Konsens war selten zwischen Bund und Ländern.  

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Winfried Kretschmann hat im vergangenen Vierteljahr einige Situationen erlebt, die ihm ein paar Monate vorher noch absolut märchenhaft erschienen wären, nicht zuletzt der grüne Wahlsieg in Baden-Württemberg und seine Wahl zum Ministerpräsidenten. Nun musste der Stuttgarter Regierungschef bei seinem Zwiegespräch mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer über Stuttgart 21 gestern in Berlin einen Abstecher in die Niederungen der rauen Wirklichkeit einlegen. Aber bei der anschließenden Ministerpräsidentenkonferenz – es war Kretschmanns erste – muss er sich so ähnlich vorgekommen sein, wie der Froschkönig nach dem Kuss von der Prinzessin.

 

Denn Kretschmann erlebte im rot-schwarzen und neuerdings auch grünen Kreis der Länderchefs das Wunder der Einmütigkeit. Und das bei dem Thema, an dem das Gründungsmitglied der Grünen im Land gut 30 Jahre lang mit dem Kopf gegen vorzugsweise schwarze und gelbe Betonwände angerannt ist: beim Atomausstieg. Jetzt aber, vier Tage nach dem Grundsatzbeschluss der Berliner Koalition zum Ausstieg aus der Kernenergie in spätestens elf Jahren, einigen die 16 Länder sich auf einen ganzen Katalog von Verbesserungsvorschlägen, die sie der Kanzlerin wenig später präsentieren. Einmütig, wie gesagt. Und Kretschmann? Er zeigt sich nach den Beratungen mit den Länderchefs „zuversichtlich, dass wir uns auf dieser Basis einigen können“ und lobt den CSU-Kollegen Horst Seehofer für sein kooperatives Verhalten: „Die Südschiene zwischen Baden-Württemberg und Bayern hat voll funktioniert.“

Angela Merkel hat Interesse an einem Konsens

Das entscheidende Gespräch findet kurze Zeit später zwischen den Länderchefs und der Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt statt. Die Länder sind sich nicht nur im Grundsatz einig, dass der schwarz-gelbe Atomausstiegsplan in die richtige Richtung weist und das Gesetzespaket nicht aufgeschnürt werden darf. Sie ziehen auch bei ihren Korrekturwünschen an einem Strang und haben deshalb gute Chancen, dem Koalitionskompromiss vom Montag einen Stempel aufzudrücken. Immerhin hat Angela Merkel Interesse an einem gesamtgesellschaftlichen Konsens signalisiert.

Sachsen-Anhalts Regierungschef Rainer Haseloff, der für die unionsregierten Länder spricht, und der Mainzer Ministerpräsident Kurt Beck, der die SPD-Länder anführt, präsentierten die Forderungen. Alle Länder sprechen sich dafür aus, die deutschen Atomkraftwerke stufenweise und nach einem verbindlichen Zeitplan abzuschalten. Die Koalition dagegen will bis jetzt acht Meiler nach dem Ende des Moratoriums sofort stilllegen, sechs Atomkraftwerke spätestens 2021 und die letzten drei Meiler 2022 abschalten.

Länder wollen auf atomare Kaltreserve verzichten

Dieses zum Ende „gestauchte Verfahren“ bewerten die Länder – wie auch viele Energieexperten in den vergangenen Tagen – kritisch. Sie halten, wie Rainer Haseloff betonte, ein „Signal der Unumkehrbarkeit“ beim Atomausstieg für notwendig und sehen dies in einem solchen Stufenplan.

Darüber hinaus fordern die Länder den Bund auf, auf eine atomare Kaltreserve zu verzichten; stattdessen solle für die nächsten beiden Winter eine fossile Kraftwerksreserve vorgehalten werden. Punkt drei in ihrem Forderungskatalog ist, Windkraft an Land und vor den Küsten, Solarenergie, Biomasse und andere alternative Energieformen gleichermaßen zu fördern und keine zu diskriminieren. Außerdem wollen sie ein Gesetz für die Endlagersuche.

Bei der Endlagersuche herrscht Konsens

Bei diesen Forderungen geht es beileibe nicht um Kosmetik, sondern um substanzielle Änderungen. Doch die Kanzlerin ist so konziliant, wie die Länder einig sind. Bei der Förderung der Alternativenergien sichert Angela Merkel zu, dass es keine Privilegierung der Offshore- gegenüber der Onshore-Windkraft geben wird. Einen verbindlichen Stufenplan für die Abschaltung kündigt die Kanzlerin für Montag an – mit fixen Abschaltdaten für die verbliebenen Atomkraftwerke. Auch bei der Kaltreserve und der Endlagersuche herrscht weitgehend Einigkeit.

So viel Konsens war selten zwischen Bund und Ländern. Der Nachteil davon: Merkels Konzilianz reißt den mühsam ausgehandelten Kompromiss zwischen Schwarz und Gelb wieder auf. Im Koalitionsausschuss, zu dem Merkel nach dem Treffen mit den Ministerpräsidenten eilt, wird sie von den FDP-Vertretern relativ eisig empfangen. Die Liberalen fühlen sich durch die Vorfestlegung der Kanzlerin auf einen Stufenplan überfahren, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Wie denn, bitte schön, unter Wahrung der Eigentumsrechte die Reststrommengen auf die vier Atomkonzerne verteilt werden sollten, sei die Kernfrage des Streits. Weißer Rauch? Vorerst nicht in Sicht. „Das wird dauern.“

Atomausstieg macht Energiereserven weniger attraktiv

Ratingagentur: Nach der Atomwende der Bundesregierung nimmt die Ratingagentur Moody’s die Bonität der Betreiber von Atomkraftwerken unter die Lupe. Die Agentur teilte am Freitag mit, sie prüfe, ob die Ratings von Eon herabgestuft werden müssten. Den Ausblick für den Konkurrenten EnBW senkte Moody’s von „stabil“auf „negativ“.

Gewinnaussichten: Die Agentur verwies auf den Beschluss, die sieben ältesten Atomkraftwerke und den Meiler in Krümmel stillzulegen. Dies setze die Gewinnaussichten der Energiekonzerne weiter unter Druck. Eon muss nach dem Willen der Bundesregierung die Meiler Isar 1 und Unterweser vom Netz lassen. Hinzu kommen die AKW in Brunsbüttel und Krümmel, an denen die Düsseldorfer beteiligt sind. EnBW verliert mit dem Aus für Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 zwei von vier Reaktoren.