Die Energiewende hat auch die Rathäuser erreicht. Gebäude, in denen zwar nicht gewohnt, aber gearbeitet wird, sollen künftig energiebewusst saniert werden.

Stuttgart - Ein Gebäude abzureißen, ist für Renigard Baron der letzte Ausweg. „Um die Ressourcen zu schonen und die Umwelt zu entlasten, sollten Ersatzbauten nur in begründeten Fällen realisiert werden“, betonte der Architekt kürzlich in Stuttgart. Das baden-württembergische Umweltministerium hatte Experten verschiedener Fachrichtungen zu der Tagung „Energetische Sanierung von Nichtwohngebäuden“ eingeladen. Der Hintergrund: seit dem 1. Juli 2015 fallen auch Gebäude, die nicht zu Wohnzwecken genutzt werden, unter das erweiterte Erneuerbare-Wärme-Gesetz des Landes (siehe Infokasten). Das trifft neben Unternehmen, die über Fertigungsstätten und Bürogebäude verfügen, auch Gemeinden und das Land, wenn es um Rathäuser, Schulen und Verwaltungsgebäude geht.

 

Ein besonders gelungenes Beispiel, wie sich eine ehemalige Industriehalle ökologisch und ökonomisch sinnvoll revitalisieren lässt, ist für Renigard Baron das neue Rathaus samt Gemeindezentrum der belgischen Gemeinde Oostkamp südlich von Brügge. Dort hat der junge spanische Architekt Carlos Arroyo das frühere Logistikzentrum von Coca Cola in ein Rathaus samt Halle für den gemeindeeigenen Fuhrpark verwandelt. Dabei wurde gleichzeitig das Gebäude energetisch aufgerüstet. Und das alles zu recht attraktiven Kosten: 6,5 Millionen Euro hat die „Verwandlung“ der 11 000 Quadratmeter großen Halle auf dem vier Hektar großen Gelände gekostet – was laut Baron „äußerst günstigen“ 591 Euro pro Quadratmeter entspricht.

Heizenergie sparen

Nachhaltige Dämmung, unterschiedliche Klimazonen und ein zwiebelschalenartiger Aufbau, zu dem würfelförmige Zimmer und Besprechungsräume in der Gebäudehülle gehören, sparen kostbare Heizenergie. Trotz aller Funktionalität bleibt die Ästethik nicht auf der Strecke: Renigard Baron, der unter anderem an der Universität Weimar Honorarprofessor für Öffentliches Bauen ist, berichtet begeistert von der Deckenlandschaft aus Gipskarton-Halbkugeln mit ihren Lichtkuppeln, die „dem Rathaus eine ganz besondere Atmosphäre verleihen“.

Mehrfach betonte Baron auf der Stuttgarter Tagung, wie wichtig eine auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz ausgerichtete Planung sei – was sowohl für Neubauten als auch auf die Sanierung und energetische Aufrüstung bestehende Gebäude zutreffe. Dies sei nach den gleichen Rechtsvorschriften und Normen zu planen sei wie bei Neubauten. Als Beispiel nannte der Architekt den Neubau des dreiteiligen Rathauskomplexes in Freiburg. Hierfür sind 76 Millionen Euro Erstellungskosten für das erste Gebäude veranschlagt. Die Betriebskosten für die Nutzung von 40 Jahren werden weit höher sein: Baron rechnet mit 304 Millionen Euro. Somit sind die sogenannten Lebenszykluskosten mit 380 Millionen Euro zu veranschlagen – wobei mögliche Abrisskosten nach Gebrauch nicht mitberücksichtigt sind. Bei diesen Zahlen wird schnell deutlich, wie wichtig bei der Planung nicht nur die Erstellungskosten, sondern auch die Nutzungskosten sind.

Dies gilt nicht nur für Neubauten, sondern auch für die energetische Sanierung vor allem von Nichtwohngebäuden, bei denen noch viel mehr Faktoren eine Rolle spielen als bei bewohnten Häusern: Produktionsanlagen, Beleuchtung oder Klimatisierung, um nur einige wichtige Beispiele zu nennen. Da ist nicht nur Dämmen gefragt, sondern eine optimierte Betriebsführung oder eine „kluge“ Lüftung, bei der zum Beispiel Wärme zurückgewonnen wird. Untersuchungen zufolge ist aber die Gebäudetechnik für viele Betreiber zu komplex, sodass sie nur allzu oft nicht bedarfsgerecht geregelt und damit nicht optimal genutzt wird. Auch Wartung und Instandhaltung werden nicht selten vernachlässigt. Mit eine Rolle spielt dabei, dass häufig nicht klar ist, wer für die Energieeffizienz etwa eines Bürohauses verantwortlich ist.

Energetische Sanierung

Die aktuelle Gebäudestudie der Energieagentur Dena zeigt, dass der energetischen Sanierung von Nichtwohngebäuden eine deutlich größere Rolle zukommt als bisher angenommen. Und das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass rund 40 Prozent des Energiebedarfs aller Gebäude auf Nichtwohngebäude entfällt– wobei es weit weniger Nichtwohngebäude als bewohnte Gebäude gibt. In Baden-Württemberg etwa wird der Bestand auf 300 000 bis 400 000 Nichtwohngebäude plus die in öffentlicher Hand befindlichen Häuser geschätzt.

Die wichtigste Voraussetzung für eine auch ökologisch wie ökonomisch sinnvolle Sanierung ist eine genaue Vorstellung darüber, welche Maßnahmen verwirklicht werden und wie diese am besten aufeinander abzustimmen sind. Nach einer Dämmung sinkt zum Beispiel der Heizbedarf enorm – also muss eigentlich auch die Heizung an die neuen Bedingungen angepasst werden. Eine gute Basis hierfür ist der sogenannte Sanierungsfahrplan, der nun auch als Maßnahme im Sinne des aktualisierten Wärmegesetztes anerkannt wird. „Dies ist kein Freikaufen“, betonte Helmfried Meinel, Ministerialdirektor im baden-württembergischen Umweltministerium, bei der Fachtagung. Vielmehr gebe der Sanierungsplan wichtige Anstöße zu einer ganzheitlichen Betrachtung einer energetischen Sanierung von Gebäuden.

Baden-Württemberg will bei der Sanierung und energieeffizienten Nutzung von Landesgebäuden übrigens mit gutem Beispiel vorangehen. Bis 2020 sollen die durch landeseigene Bauten verursachten CO2-Emissionen um 40 und bis 2030 um 60 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Neben der energetischen Sanierung bestehender Gebäude und energieeffizienten Neubauten sind ein optimierter Gebäudebetrieb sowie erneuerbarer Energien die wichtigsten Bausteine in diesem Konzept.