Ins Stromnetz muss immer genauso viel Energie eingespeist werden, wie Groß- und Privatkunden gerade benötigen. Der Preis wird an der Börse ermittelt.

Stuttgart - In einem Windenergiepark in der Nordsee kommt eine Brise auf. Die Rotoren beginnen sich zu drehen, die Generatoren erzeugen Strom. In den Leitungen, die zum Festland führen, setzen sich Bausteine der Atome in Bewegung, die Elektronen. Der Weg des Elektrons vom Generator im Norden zu einem Stromverbraucher zum Beispiel in Stuttgart zeigt, wie komplex das System der Stromversorgung ist, und wie sich diese Komplexität verstärkt hat, seit Erzeugung und Verteilung nicht mehr in der Hand eines regionalen Monopolisten liegen.

 

Der größten Ungewissheit begegnet das Elektron schon zu Beginn seiner Reise. Trifft der Strom aus dem Windpark an der Küste auf Leitungen, die durch andere Stromversorger ausgelastet sind, dann muss ihm eine alternativer Weg angeboten werden – oder es muss irgendein Kraftwerk heruntergefahren werden. Das passiert immer häufiger, je mehr der unzuverlässigen Lieferanten Wind und Sonne ans Netz angeschlossen sind. „Windparks haben eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung als Leitungen“, sagt Jens Langbecker, Leiter der Abteilung Energiemarkt beim baden-württembergischen Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW. Das Netz den gelieferten Energiemengen anzupassen werde „das größte Thema der Zukunft sein“. Die Transnet BW, die mehrheitlich der EnBW gehört, ist bisher von den Unregelmäßigkeiten des Winds weniger betroffen als die Betreiber an der Küste, 50 Hertz und Tennet (siehe Interview auf Seite 14).

Den Weg des Elektrons, so Langbecker, kann man sich unter zwei Perspektiven anschauen. Da ist zunächst die physikalische Sicht: Schon auf einer Plattform des Offshorewindparks wird der Strom, der mit 10 000 oder 20 000 Volt aus den Generatoren kommt, auf 220 000 oder 380 000 Volt transformiert. Je höher die Spannung, desto geringer sind die Verluste beim Transport. Deshalb unterscheidet man zwischen vier Spannungsebenen. Das Höchstspannungs- oder Übertragungsnetz betreiben, getrennt nach vier Regelzonen in Deutschland, vier Unternehmen: Transnet BW, Tennet, 50 Hertz und Amprion. In das Hochspannungsnetz mit 60 000 bis 110 000 Volt speisen kleinere Windparks und kleinere Kraftwerke ein, und manche Großunternehmen beziehen daraus Strom. In das Mittelspannungsnetz für die Industrie mit meist 10 000 oder 20 000 Volt speisen Stadtwerke, Solarparks, Wasserkraftwerke und andere kleinere Kraftwerke ein. Am Niederspannungsnetz schließlich hängt die Steckdose im Haus.

Aufgabe der Börse: Angebot und Nachfrage zusammenbringen

Wohin das einzelne Elektron fließt, entscheidet sich, physikalisch gesprochen, danach, wo der elektrische Widerstand am geringsten ist – das heißt, wo die Nachfrage gerade am größten ist. Strom fließt, vergleichbar dem Wasser, immer dorthin, wo das Spannungsgefälle am größten ist.

Die zweite Sicht auf das Netz ist die des Stromhandels. Schon bevor das Elektron seinen Weg beginnt, ist es möglicherweise in einem Paket elektrischer Energie an einen Stromversorger in Baden-Württemberg verkauft, etwa die EnBW. Der Übertragungsnetzbetreiber Tennet im Norden ist informiert, dass er für einen bestimmten Zeitraum zum Beispiel eine Leistung von 30 Megawatt nach Süddeutschland leiten soll. Liefert dann der Wind über der Nordsee nur 28 Megawatt, besorgt Tennet über eigens dazu vorgehaltene Kraftwerke sogenannte Regelenergie. Transnet BW übernimmt das Paket und leitet es zum Kunden der EnBW durch. Braucht der nun doch 32 statt 30 Megawatt, gleicht Transnet BW die Differenz mit Regelenergie aus.

Sowohl der ursprüngliche Kauf wie auch der Kauf der Regelenergie läuft über unabhängige Stromhändler, die Pariser Börse Epexspot oder die Leipziger Börse EEX. Leipzig ist für langfristige Verträge über Monate oder Jahre zuständig, Paris für den morgigen Tag. In Paris kauft man den Strom in Paketen von Stunden oder seit Jahresanfang auch viertelstundenweise. Für kurzzeitigere Schwankungen sichern sich die Übertragungsnetzbetreiber Regelenergie. Stromerzeuger bieten ihre geplanten Erzeugungsmengen einen Tag im Voraus an der Börse an, Händler und einzelne Großverbraucher melden ihren Bedarf vor. Aufgabe der Börse ist es, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen.