Erst muss die Energiewende vollendet sein, dann können E-Autos kommen? Verkehrsminister Hermann widerspricht solchen Überlegungen aus einem Papier seines NRW-Kollegen Groschek: beides müsse zugleich vorangetrieben werden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Ergibt der Umstieg auf Elektroautos klimapolitisch erst dann Sinn, wenn der Strom komplett aus erneuerbaren Energien gewonnen wird – also erst in mehreren Jahrzehnten? Für diese Aussage in einem Diskussionspapier seines Hauses (die StZ berichtete) erntet der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) jetzt massiven Widerspruch aus Baden-Württemberg. „Energiewende und Verkehrswende müssen Hand in Hand gehen, damit eine Wende hin zu einer neuen klimafreundlichen Mobilität gelingt“, sagte Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) der Stuttgarter Zeitung. Zugleich ermahnte er seinen Düsseldorfer Kollegen, den Wandel zu beschleunigen und nicht zu bremsen. „Gerade Nordrhein-Westfalen könnte das aus der Kohlegeschichte gelernt haben.“ Auch der Bundesverband Elektromobilität widersprach dem Ministeriums-Papier. „Wir können nicht bis zum Abschluss der Energiewende warten, sondern müssen Elektromobilität und die Energiewende zeitgleich vorantreiben“, sagte ein Sprecher.

 

Die Fachleute aus Groscheks Ministerium hatten erhebliche Skepsis gegenüber einem raschen Umstieg auf E-Autos geäußert. Solange der Strom dafür noch aus herkömmlichen Energien komme, sei dieser für den Klimaschutz sogar kontraproduktiv. Angesichts eines Anteils von derzeit 30 Prozent aus regenerativen Quellen könnten „fossile Kraftwerke . . . erst später aus dem Netz genommen werden“. Bis dahin verursache ein Elektro-Auto sogar einen höheren Kohlendioxid-Ausstoß als ein Fahrzeug mit modernem Verbrennungsmotor. Staatliche Zwangsmaßnahmen verböten sich daher, bis man ganz ohne fossile Kraftwerke auskomme. Die Energiewende in Deutschland müsse erst „grundsätzlich erledigt“ sein, und dies könne selbst bis 2050 „nur mit erheblicher Mühe“ gelingen.

„Wer zu lange wartet, verliert“

Auch für den Stuttgarter Verkehrsminister Hermann wären „Elektroautos, mit Kohle- oder Atomstrom angetrieben, tatsächlich kein Fortschritt. Die Elektrifizierung der Mobilität muss auf der Basis erneuerbarer Energiequellen verwirklicht werden“, sagt er der StZ. Mit E-Autos und Batterien lasse sich die Energie am besten in Bewegung umsetzen. Der Wirkungsgrad von Elektromotoren sei deutlich höher als der der besten Verbrennungsmotoren. „Wer jetzt zu lange an Alt-Technologien festhält, wird am Ende das verlieren, was er verteidigt: Wohlstand und Arbeitsplätze“, mahnte der Grüne.

„Wir können nicht von heute auf morgen, mit einem Fingerschnipsen, auf E-Autos umsteigen“, sagte auch Robin Engelhardt vom Bundesverband E-Mobilität. Schon mit Blick auf die Jobs in der Automobilbranche müsse der Umstieg „Stück für Stück“ erfolgen. Die Energiewende funktioniere indes nur, wenn zeitgleich die Elektromobilität vorangetrieben werde. Derzeit habe man ein Riesenproblem, weil die Stromproduktion durch den Umstieg auf erneuerbare Energien immer mehr schwanke, es aber an Speichermöglichkeiten mangele. Wenn man viele Millionen E-Autos habe, könnten deren Akkus „in den Standzeiten zur Stabilisierung des Stromnetzes“ dienen, sagte Engelhardt. Dieser Aspekt fehle im Groschek-Papier völlig. Die Behauptung, ein E-Auto verursache in der Gesamtbilanz einen höheren CO2-Ausstoß als ein Verbrennungsmotor, sei „einfach nur falsch“. Dabei verweist der Verband auf Berechnungen des Bundesumweltministeriums. Selbst beim derzeitigen Energiemix sind E-Autos danach klimafreundlicher als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Mit jedem Jahr, in dem die Energiewende voranschreite, würden die Klimavorteile größer.

„Papier der Arbeitsebene“

Eine Sprecherin des NRW-Ministeriums relativierte die Stellungnahme erneut als „Diskussionspapier der Arbeitsebene“, das verschiedene Antriebe vergleiche. Das Ressort unterstütze die Umrüstung auf Elektro- oder Wasserstoffantriebe, besonders bei Flotten wie Linienbussen, Taxis oder Paketdiensten, die den ganzen Tag in den Innenstädten unterwegs seien. In einem Punkt ist sich Groschek aber mit den Kritikern einig: Bei der Energiewende bleibe „noch eine Menge zu tun“.