Reportage: Robin Szuttor (szu)

Und doch verhindert die herrschende Miasmenlehre, die Krankheiten auf giftige Ausdünstungen zurückführt, dass sich die Pest noch bis in die letzten Winkel Europas ausbreitet. Seuchentote werden außerhalb der Stadt verscharrt, ihr Hab und Gut wird verbrannt, Städte isolieren Fremde in Quarantänestationen, Kranke in Pesthäusern. Auch die Schnabeldoktoren liegen mit ihren langnasigen und kräutergefüllten Masken nicht ganz falsch. An die Bekämpfung des Rattenflohs, dem großen Übeltäter, denkt leider keiner.

 

Und zur Lehre vom Gleichgewicht der Säfte gehört auch das Gleichgewicht der Seele. Dass man im Übermaß dem Sinnesgenuss und Müßiggang frönt, liegt nicht unbedingt nur daran, dass den Leuten eh schon alles egal ist. Es ist ein Hoffnungszeichen: Man will der Angst keine Macht über sich geben. Man will die Freude wieder herbeileben, um nicht noch weiter aus der Balance zu geraten. „Alle sollten dazu beitragen, die Furcht und damit die Krankheit zurückzudrängen. Diese Strategie hat der moderne Mensch verlernt, wie wir an der aktuellen Ebola-Panik sehen können“, sagt Robert Jütte. Ist ein Erreger noch nicht beherrschbar, kriecht die Angst wieder in die Köpfe zurück – „und das ist angesichts der tatsächlichen Gefahr durch Ebola für Europa lächerlich“.

Unsere Welt wäre anders, wäre sie im 14. Jahrhundert und in den Wellen danach nicht in Unordnung gestürzt, wäre nicht alles in Frage und auf den Kopf gestellt worden. Auch das können uns die Pesttoten aus Ellwangen bewusst machen. „Die Zeiten der Pest haben etwas Neues geschaffen, nur denken wir heute nicht mehr daran“, sagt Robert Jütte. „Und wenn uns diese Heimsuchung etwas lehren sollte, dann ist es, die Menschen zu bewundern: für ihren Zusammenhalt in schlechten Zeiten, für Werke wie den ‚Decamerone’ mit seinen tröstlichen Geschichten, für die Votivkirchen, die herrlichen Gemälde aus dem Barock und der Renaissance, die ja auch unter dem Eindruck der Seuche geschaffen wurden.“ Für all das Schöne und Gute, das aus dem Chaos erwuchs wie eine leuchtende Blume aus dem Morast.