1995 starben bei einem Erdbeben in Kobe mehr als 6000 Menschen. 200 000 wurden obdachlos. Noch heute leidet die Stadt unter den Folgen.

Japan - Kobe ist die Lieblingsstadt vieler Nichtjapaner, die das Land gut kennen. Das liegt nicht so sehr an dem leckeren Rindfleisch, für das Kobe bekannt ist, oder daran, dass sich dort die Wiege des japanischen Baumkuchens befindet. Der Grund ist vielmehr die idyllische Lage der Stadt und ihre für die nur fünftgrößte Stadt Japans relativ weltoffene Atmosphäre. Die Ausläufer der Stadt erstrecken sich bis hinauf in die Berge in ihrem Rücken, von wo aus sich ein beeindruckender Blick bis zum Hafen bietet, Kobes Tor zur Welt.

 

Das ist schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts so, als der Hafen einer der wenigen war, wo ausländische Schiffe zum Handel mit Japan ankern durften. Bis vor 20 Jahren hatte sich Kobe zum größten Containerhafen des Landes entwickelt. Doch ausgerechnet dort entstanden am 17. Januar 1995 die meisten Schäden.

Um 5.46 Uhr morgens rüttelte ein Erdbeben der Stärke 7,3 auf der Richterskala die 1,5 Millionen Einwohner von Kobe und Bewohner umliegender Gebiete aus dem Bett. Weil das Epizentrum fast direkt darunter und in nur wenigen Kilometern Tiefe lag, war das Ausmaß des nur etwa 20-sekündigen Bebens viel heftiger als erwartet. Um die Welt gingen schockierende Bilder von der auf Betonpfeilern gebauten Hanshin-Autobahn, die Kobe mit Osaka verbindet: Sie war auf einem halben Kilometer Länge einfach zur Seite gekippt. An einer Stelle ragte ein Bus mehrere Meter über den Abgrund. In der ganzen Stadt brachen Hunderte Feuer aus. Schwarze Rauchwolken hingen über der Stadt. Über eine Million Quadratmeter dicht besiedeltes Gebiet wurde in Schutt und Asche gelegt.

Kritik am Katastropheneinsatz

Kritik am Katastropheneinsatz

Die Bilanz eines der schlimmsten Beben Japans waren 6434 Tote, rund 15 000 Verletzte und über 200 000 Obdachlose. Eine Woche blieb der Strom weg. Drei Monate dauerte es, bis die Wasser- und Gasversorgung wieder funktionierte. Erst nach zwei Jahren war der Hafen wieder funktionstüchtig, was Kobe seinen Spitzenplatz im Ranking kostete. Immerhin ist Kobe heute der viertgrößte Containerhafen Japans und der neuntgrößte der Welt.

Schon wenige Tage nach dem Erdbeben wurde Kritik am Katastropheneinsatz der Feuerwehr, der Polizei und der Selbstverteidigungskräfte laut. Sie hätten zu lange mit ihren Einsatzbefehlen gewartet, bemängelten japanische Medien. Fehlende Kommunikationskanäle und übertriebener Bürokratismus behinderten die schnelle Einleitung von Rettungsmaßnahmen. Dazu trug auch das Zögern an oberster Stelle bei. Der Gouverneur der Präfektur Hyogo, Toshitami Kaihara, ließ damals vier Stunden verstreichen, bis er Hilferufe an höhere Instanzen absetzte. Erst nach zwei Tagen besuchte der damalige Premierminister Tomiichi Murayama die Stadt.

Japanische Mafia verteilt Hilfsgüter

Viele kritisierten, dass es kein übergreifendes System zur Katastrophenbekämpfung gab, keine Kommandozentrale, an der alle Fäden zusammenliefen. All diese Verzögerungen führten zu der für eine Industrienation, die auf ihre technischen Standards sehr stolz ist, relativ hohen Opferzahl.

Die Menschen waren auf sich allein gestellt

Ganz Japan war damals schockiert, hatte man doch fest an die Erdbebensicherheit der Gebäude geglaubt. Und noch einen zweiten Mythos hatte das Beben zerstört: Dass sich die Betroffenen automatisch auf die Hilfe der Behörden würden verlassen können. Stattdessen waren die Menschen auf sich allein gestellt oder wurden, vor allem in Gegenden mit vielen Alteingesessenen, von ihren Nachbarn unterstützt. Nicht wenige erinnern sich noch heute an die schnelle Hilfe durch die Yakuza, die japanische Mafia, die Hilfsgüter verteilte.

Unerwartet für viele Betroffene war die große Zahl an freiwilligen Helfern, die aus dem ganzen Land nach Kobe strömte, um bei den Rettungsarbeiten, in den schwierigen Monaten danach und beim Wiederaufbau zu helfen. Bis dahin hatte man in Japan die Freiwilligenarbeit häufig mit Hilfsaktionen in Entwicklungs- und Schwellenländern verbunden. Das Kobe-Beben gilt als Geburtsstunde der Nichtregierungsorganisationen (NROs) in Japan.

„Damals kümmerten wir uns alle gegenseitig umeinander, auch um Fremde“, erinnert sich Junko Nakamura. Sie leitet CS Kobe, eine NRO, die sie kurz nach dem Beben gründete und die heute zu den größten der rund 1000 NROs in der Stadt zählt. Sie erinnert sich, dass NROs früher in Japan nicht nur positiv besetzt waren, auch mangels einschlägiger Gesetzgebung, die erst 1998 vom Parlament verabschiedet wurde. Stattdessen hätten sich die Behörden in Japan lange auf Nachbarschaftsorganisationen verlassen. Aktivitäten, die sie nicht selbst übernehmen konnten oder wollten, hatten sie „von oben“ an sie ausgelagert. Die NROs geben eigeninitiativ Wünsche „von unten“ ins System ein.

Noch heute leidet die Stadt unter den Folgen des Bebens

Noch heute sei die Spendenbereitschaft in Japan für Katastrophenopfer hoch, wie das große Beben in Nordjapan am 11. März 2011 gezeigt habe, sagt Nakamura. Sie wünscht sich, dass noch mehr Landsleute NROs unterstützen. „Wir arbeiten mit unserer Organisation daran, die Verbindungen zwischen den Menschen wieder zu stärken“, sagt sie. Das ist nicht zuletzt deshalb nötig, weil sich 40 Prozent der Bevölkerung Kobes seit dem Beben geändert habe. Den besonderen „Geist von Kobe“, den der Bürgermeister Kizo Hisamoto kürzlich beschwor, hält sie für Wunschdenken.

Bis auf wenige Gedenkstätten am Hafen und ein sehenswertes Museum über das Erdbeben sieht es in Kobe heute auf den ersten Blick aus wie in jeder anderen japanischen Stadt, vielleicht einen Tick moderner. Aber noch heute leidet Kobe unter den Folgen des Bebens. Es gibt weniger Arbeitsplätze, die Gehälter sind geringer. Manche müssen zwei Hypotheken abbezahlen, die für ihr zerstörtes Haus und ihr neues. Das konnten bisher weder ein neuer Cluster in Medizin und Biotechnologie noch einer der schnellsten Supercomputer der Welt ausgleichen. Sie wurden auf dem Gelände errichtet, wo nach dem Beben viele Übergangsunterkünfte standen, und gelten als Symbol für den Wiederaufbau.