Das Wohlfahrtswerk setzt in drei Stuttgarter Pflegeheimen Molekularküche ein. Bei den Senioren kommt das an.

S-Süd - Wie ausgeschleckt sieht der Teller aus, als Ingelore Stoll Messer und Gabel zur Seite legt und sich den Mund abwischt. Nur ein kleines Häufchen Kartoffelbrei hat sie übrig gelassen und an den Tellerrand geschoben. „Den mochte ich noch nie“, sagt die Seniorin, die im Altenburgheim in Bad Cannstatt lebt. Das liegt aber nicht an der Konsistenz: Bratwurstpüree und Rotkohlgelee hat sie mit Appetit verspeist. Weil es mit dem Schlucken nicht mehr klappen will, bekommen Ingelore Stoll und rund zwei Dutzend weitere Bewohner des Altenburgheims alle Mahlzeiten in Form von Gelees, Pürees oder Schäumen serviert.

 

„Opti Mahl“ heißt das Projekt von Wohlfahrtswerk, Hampp Texturas und Culinaris Catering, das im Sommer des vergangenen Jahres in drei Senioreneinrichtungen in Stuttgart gestartet ist. Seither ist in den Küchen des Altenburgheims in Bad Cannstatt, der Eduard-Mörike-Seniorenwohnanlage im Stuttgarter Süden und des Ludwigstifts im Westen ungewöhnliches Handwerkszeug zu finden: Um dickflüssiges Erdbeermark in die Sahnekugel mit Geleehülle zu füllen, zieht der Koch Kurt Gollnik schon mal eine Spritze auf. Diese sogenannten Sphären platzen im Mund, sobald sie leicht mit der Zunge zerdrückt werden. „Solche Kugeln sind natürlich aufwendig herzustellen und eher eine Spielerei als die Regel“, sagt Gollnik. Die Grundprinzipien der sonst der gehobenen Küche vorbehaltenen Molekularküche verwendet er inzwischen aber täglich: „Alle Speisen werden püriert und dann mit Texturas verrührt.“

Agar, Metil, Xantana und Iota heißen die pulverförmigen Küchenhelfer auf Mais-, Soja- und Algenbasis, die als Gelier-, Emulgier- oder Bindemittel wirken und die Konsistenz von Mahlzeiten völlig verändern: Obst, Gemüse, Fleisch und Sättigungsbeilagen werden zu Schäumen, Pürees und Gelees. Diese können nach Belieben geformt werden: So wird Ingelore Stoll die Bratwurst als Tortenstück und der Rotkohl in Muffinform serviert. Im Mund zerfließt alles wieder zu seiner ursprünglichen Konsistenz.

Das Team um Claus Krafcyk, den Leiter des Altenburgheims, hat in den vergangenen Monaten viele positive Erfahrungen mit der modernen Küche gemacht: „Den Bewohner schmeckt es besser und sie essen mehr“, sagt Krafcyk. Das sei sowohl auf den unveränderten Eigengeschmack der auf diese Weise pürierten Kost zurückzuführen als auch der Optik zu verdanken, die der herkömmlichen Mahlzeit nahekomme. Nicht zuletzt könne nun endlich auch Bewohnern mit Kau- oder Schluckbeschwerden dasselbe Essen angeboten werden wie den anderen: „Grundsätzlich lassen sich alle Speisen auf diese Weise zubereiten, auch Nudeln oder Reis.“ Früher hätten sich die Betroffenen häufig mit püriertem Fleisch und Kartoffelbrei begnügen müssen.

Der steht nun nur noch gelegentlich auf dem Speiseplan – was vor allem eine Dame freut. „Nudeln schmecken mir immer“, sagt Ingelore Stoll und lächelt. Sogar Maultaschen hat sie auf diese Art und Weise nach langer Zeit wieder einmal kosten können. Und dabei geht es nicht nur darum, dass sie ausreichend Kalorien zu sich nimmt: „Geschmackserlebnisse wecken bei Demenzkranken auch Erinnerungen“, sagt Krafcyk.