Allein in Stuttgart sind am Donnerstag 1511 städtische Mitarbeiter dem Streikaufruf von Verdi gefolgt. Eltern macht die Aussicht auf einen langen Streik Sorgen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Sie wirkten fest entschlossen: Bekleidet mit Warnwesten haben streikende Erzieherinnen, Kinderpflegerinnen und Sozialpädagogen auf dem Schlossplatz rote Karten in die Luft gehalten und dabei „Aufwerten – jetzt“ gerufen. Die Gewerkschaft Verdi hatte am Donnerstag zum Warnstreik aufgerufen, weil sie eine höhere Eingruppierung für die Berufsgruppen aus dem Sozial- und Erziehungsdienst fordert.

 

Auszubildende haben mitprotestiert, wie die angehende Erzieherin Nuseybe Yigit aus Stuttgart, die „mehr Anerkennung des Erzieherberufs“ will. Gestandene Erzieherinnen wie Sybille Frehr sind auch dabei gewesen. Sie wolle nicht mehr, dass eine kaputte Waschmaschine ihr Sorgen bereite, weil am Ende des Monats kein Geld mehr übrig gewesen sei, um Rücklagen zu bilden, sagte sie. Sie wolle von ihrem Gehalt auch in Stuttgart leben können. Die Stuttgarter Einrichtungsleiterin Petra Kern-Noack merkte an, dass sie eigentlich Managerin sei – und als solche habe sie vor allem ein Problem: qualifiziertes Fachpersonal zu finden. „Es wird immer schwieriger, junge Leute für diesen Beruf zu begeistern“, sagte Petra Kern-Noack.

169 von 184 Kitas geschlossen

An dem Zug zum Schlossplatz haben nach Gewerkschaftsangaben 3000 Demonstranten aus Stuttgart und der Region teilgenommen, die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl auf 2000. Laut Jugendamt waren 1511 städtische Mitarbeiter im Warnstreik, darunter 1439 vom Jugendamt, die übrigen verteilten sich aufs Schulverwaltungsamt, das Sozialamt und das Gesundheitsamt. 169 der 184 städtischen Kitas waren nach Angaben der Stadt zu, fünf teilweise offen. Zudem wurden zwölf Schülerhäuser bestreikt.

Der Stuttgarter Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) kritisierte das Vorgehen der Gewerkschaft, flächendeckend zu streiken. Das sei „ nicht verhältnismäßig, weil die Auswirkungen für Eltern und Kinder erheblich sind und sie nichts dafür können.“ Für die Stadt bedeutete das Modell, das Verdi vorschlägt, Mehrkosten von rund 20 Millionen Euro im Jahr. Das sei „nicht finanzierbar“, stellte Wölfle klar.

Einen Tag kriege man organisiert, sagt ein Vater

Alles deutet auf lange Verhandlungen hin. Der Geschäftsführer von Verdi Stuttgart, Cuno Hägele, kündigte bereits an: „Wenn die Arbeitgeber nicht zur Vernunft kommen, wird es so weitergehen.“ Die Erzieherinnen riefen in Anlehnung an den Rosaroten Panther am Ende der Kundgebung: „Heute ist nicht alle Tage. Wir kommen wieder, keine Frage.“

Die letzte Tarifauseinandersetzung 2009 hatte sich über 13 Wochen hingezogen. Hört man sich unter betroffenen Eltern um, wird deutlich, dass diese die Forderungen der Erzieherinnen zwar unterstützen, aber Sorgen bezüglich der Länge des Streiks haben. „Einen Tag kriegt man organisiert“, sagt zum Beispiel Christian Franz, der Donnerstag frei genommen hat, um sich um seine vier Jahre alte Tochter zu kümmern. Aber wenn der Streik länger dauere, „wird es für mich und meine Frau problematisch“. Sie arbeiteten beide Vollzeit und hätten keine Großeltern, die einspringen könnten – ab Ostern stünden bei ihm zudem wichtige Projekte an. Unabhängig von der eigenen Situation betont Franz, dass die Erzieherinnen besser entlohnt werden sollten. „Sonst will keine mehr Erzieherin werden“, sagt der Vater. Im Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Bedeutung stünden sie zu schlecht da. Schon jetzt sei alles auf Kante genäht. Krankheitsfälle könnten nicht kompensiert werden.

Nachbarin unterstützt bei der Kinderbetreuung

„Wer Qualität fordert, muss auch Qualität bezahlen“, meint auch Miriam Engel, die als Pädagogin beim Tagesmütterverein arbeitet und zwei Kinder im städtischen Kindergarten hat. Um die beiden hat sich am Donnerstag eine Nachbarin gekümmert, die selbst Kita-Mutter ist. „Wir werden kreativ zusammenarbeiten, sollte der Streik länger dauern“, sagt Miriam Engel. Die 36-Jährige merkt aber auch an: Die Hauptstreiklast liege auf den Müttern, die das mit ihren Arbeitgebern regeln müssten. Sie selbst habe da Glück. Beim Tagesmütterverein, wo sie beschäftigt ist, könnte sie die Kinder notfalls auch mitnehmen.

Ein langer Streik werde für die Eltern extrem schwierig, sagt die Sprecherin des Gesamtelternbeirats der städtischen Kitas, Monika Schneider. Die Eltern müssten planen können. Problematisch sei, dass flächendeckend gestreikt werde – anders als 2009, als bereichsweise vorgegangen worden sei. Die Mutter Miriam Engel hingegen kann Verdis Taktik nachvollziehen: „Nur wenn tatsächlich etwas lahmgelegt wird, passiert auch etwas“, sagt sie.