Dem Darmstädter Sozialrichter und bundesweit anerkannten Familienexperte Jürgen Borchert kommt ob solcher Polit-Stümperei die Galle hoch. „Das sind doch Kinkerlitzchen“, schimpft er über das Betreuungsgeld, und seine Anmerkung zur Begründung der Bundesregierung, erst damit erhielten Eltern Wahlfreiheit, ist nicht zitierfähig. Für den Sozialrechtler geht die Debatte über die neue Leistung komplett an den wahren Problemen vorbei. „Horst Seehofer ist Politiker, und Politiker wollen die Spendierhosen anhaben, um ihre Omnipotenz zu beweisen“, lautet sein Verdikt. „Doch da wird als Geschenk deklariert, was nichts anderes ist als die Rückgabe von Diebesgut.“ Denn den Familien werde durch Steuern und Sozialabgaben zuvor im Vergleich zu Kinderlosen überproportional viel aus der Tasche gezogen.

 

Seit 20 Jahren kämpft der 61-Jährige gegen die strukturelle Benachteiligung von Familien. Das Trümmerfrauen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem erstmals die Erziehungsleistung rentenrechtlich anerkannt wurde, geht auf seine Initiative zurück, ebenso das Karlsruher Pflegeurteil, das dazu führte, dass Kinderlose 0,25 Prozent mehr Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen müssen als Eltern. Er ist auch spiritus rector einer vom Katholischen Familienbund unterstützten Klage einer Familie mit mehreren Kindern, die inzwischen beim Bundessozialgericht in Kassel liegt: Es geht darin um die Forderung der Karlsruher Richter in ihrem Pflegeurteil, die Erziehungsleistung der Eltern gegenüber Kinderlosen nicht nur bei der Pflege-, sondern auch bei der Kranken- und Rentenversicherung angemessen zu berücksichtigen. Bisher, so Borchert, habe sich die Politik aber geweigert, das zu tun. Thorsten Kingreen, Professor für öffentliches Recht an der Universität Regensburg, der die Kläger vertritt, bezeichnet das als „Grundrecht der Eltern auf intragenerationelle Gleichbehandlung“. Übersetzt heißt das: Der Staat muss Menschen einer Generation gleichstellen. Eltern sind dies aber gegenüber Kinderlosen nach Überzeugung Borcherts aber nur dann, wenn von ihrem Bruttoeinkommen nicht nur bei der Einkommensteuer das Existenzminimum für die unterhaltsberechtigten Familienmitglieder abgezogen wird sondern auch bei den Sozialabgaben. Und er verweist darauf, dass mehr als die Hälfte der staatlichen Einnahmen aus indirekten Verbrauchssteuern stammen – unter denen leiden aber besonders Familien, weil sie einen höheren Bedarf haben. Auch dies müsste berücksichtigt werden. „Kinder sind Investitionen in die Zukunft. Das muss endlich anerkannt werden“, fordert Borchert.

Frankreich macht Familiensplitting

Frankreich ist zumindest bei der Einkommensteuer schon lange erfolgreich in diese Richtung gegangen. Dort gibt es ein Familiensplitting: Wie in Deutschland gibt es für den Ehepartner den Faktor eins; für das erste und das zweite Kind jeweils den Faktor 0,5 und vom dritten Kind an wieder den Faktor eins. Das führt nicht nur dazu, dass viele Familien praktisch steuerfrei bleiben. Die Geburtenrate liegt höher als in Deutschland, und es gibt auch mehr kinderreiche Familien als hierzulande. Während in Deutschland rund 26 Prozent der 1960 geborenen Frauen lebenslang kinderlos bleiben, sind es in Frankreich nur zehn Prozent. Gleichwohl gibt Frankreich nicht mehr, sondern weniger staatliche Mittel aus als Deutschland. Viel hilft viel stimmt als politische Maxime also nicht, entscheidend ist, dass die Mittel zielgerichtet eingesetzt werden. Und auch da schneidet Deutschland nicht gut ab: 14 Prozent aller Kinder leben inzwischen von Sozialgeld. Dabei haben viele Studien gezeigt, dass sich bei Kindern, die in Armut und damit fast immer auch mangelhaften Bildungschancen aufwachsen, sich die Perspektivlosigkeit verfestigt.