Der Online-Markt für Essensbestellungen ist hart umkämpft. Investoren pumpen Millionen in junge Internetfirmen – das Wachstumspotenzial ist jedoch umstritten.

Stuttgart - Ein orientalischer Prinz auf einem fliegenden Teppich, darunter Fotos von Pizza, Hamburger, Spaghetti bolognese – und eine Telefonnummer. Als Jitse Groen den Flyer eines Stuttgarter Lieferdienstes sieht, lächelt er kurz, sagt dann aber bestimmt: „Solche Prospekte wird man in einigen Jahren nicht mehr sehen.“ Der 34-jährige Holländer sitzt in einem Café am Stuttgarter Schlossplatz, nippt an einer Tasse Cappuccino und erzählt, wie er sich das so vorstellt mit dem „sehr interessanten deutschen Markt“.

 

Groens Geschäftsmodell sind Online-Bestellplattformen fürs Essen zu Hause. Statt einzelner Prospekte oder Internetseiten von Restaurants, die ihre Speisen auch liefern, sollen die Besteller ein zentrales Portal ansteuern – per Website oder per Smartphone-App. Gibt man dort seine Postleitzahl ein, erhält man eine Liste von Restaurants mit angeschlossenem Lieferdienst. Ein weiterer Klick und die jeweilige Menükarte zeigt das Angebot: Pizza, Pasta, Schnitzel, Sushi und vieles mehr. Spezielle Online-Rabatte sollen die Hungrigen zusätzlich zur Registrierung und zur Bestellung motivieren. Gelingt dies, fließt eine Umsatzbeteiligung – meist zwischen acht und zehn Prozent – in die Kasse des Sammelportalbetreibers. Die teilnehmenden Restaurants wiederum sollen mit Hilfe des Portals Kunden gewinnen, die sie mit ihrer herkömmlichen Werbung nicht erreichen. Um die Belieferung der Besteller kümmern sie sich – wie bereits zuvor – selbst.

Rund 100 Millionen Euro Bestellumsatz

„Die Umsatzzuwächse für unsere Partner bewegen sich zwischen 20 und 80 Prozent“, sagt Groen. In den Niederlanden sei er mit seinem Portal Thuisbezorgt.nl schon seit mehreren Jahren Marktführer, ebenso wie in Belgien und Luxemburg. Mittlerweile ist Groen in elf nordeuropäischen Ländern mit entsprechenden Websites vertreten und liefert den insgesamt rund 10 000 angeschlossenen Restaurants einen zusätzlichen Bestellumsatz in Höhe von rund 100 Millionen Euro, wie er sagt. Rein rechnerisch ergäbe sich für Groen selbst daraus ein Umsatz von etwa zehn Millionen Euro.

Seit dem Jahr 2007 ist der Holländer auch auf dem deutschen Markt mit seinem Portal Lieferservice.de aktiv. Rund 4000 Restaurants sind dort derzeit zu finden. Doch Groen hat Appetit auf mehr: bis 2014 sollen es 12 000 Partner sein – was in etwa der geschätzten Gesamtzahl aller hiesigen Restaurants mit angeschlossenem Lieferservice entspräche. Die

Jitse GroenLieferservice.de

Mehrheit von Groens rund 160 Angestellten arbeitet mittlerweile in Deutschland. Denn der deutsche Markt bietet seiner Meinung nach noch viel Potenzial. Auch wenn es keine offiziellen Zahlen über den Online-Anteil bei den Essensbestellungen gibt, schätzt Groen, dass momentan „nur zehn bis 15 Prozent“ aller Essensbestellungen in Deutschland übers Internet laufen. In England oder seiner Heimat werde viel mehr übers Netz bestellt.

„Wir wollen die Gewohnheiten der Deutschen ändern“, so Groen. 13 Millionen Euro Wagniskapital hat er im Januar dafür vom Investor Prime Ventures bekommen. Das Geld fließt bislang hauptsächlich in Werbung, online, aber auch im Fernsehen – etwa in das Sponsoring der Zeichentrickserie „Die Simpsons“.

Risikokapital in Millionenhöhe

Dass Groen nun so kräftig für sein Portal wirbt, liegt vor allem an zwei Berliner Start-ups, die ebenfalls kräftig Geld in die Hand genommen haben, um sich mit einem mehr oder weniger identischen Geschäftsmodell ein möglichst großes Stück vom deutschen Bestellmarkt zu sichern. Lieferando.de ging im Jahr 2009 an den Start, sammelte schnell Risikokapital in Millionenhöhe ein, etwa von Dumont Venture oder Mountain Super Angel, und besitzt eigenen Angaben zufolge derzeit 6000 Lieferpartner.

Erst im November 2010 startete Lieferheld.de, sicherte sich aber in den ersten Monaten seiner Existenz von Investoren wie dem Lebensmittelhändler Tengelmann oder Holtzbrinck Ventures schnell mehr als 20 Millionen Euro und gibt an, ebenfalls rund 6000 Partner in rund 700 deutschen Städten zu haben. Die Lieferhelden haben jedoch nicht nur Deutschland im Visier. Seit Anfang dieses Jahres sind sie Teil der internationalen Holdinggesellschaft Delivery Hero. „Wir wollen zum weltweiten Marktführer Just-Eat aufschließen“, erklärte Lieferheld- und Delivery-Hero-Geschäftsführer Fabian Siegel kürzlich gegenüber der „Financial Times Deutschland“. Erst im April übernahm das Start-up die Onlinepizza Norden Group für einen zweistelligen Millionenbetrag und ist damit auch in Schweden, Österreich, Finnland und Polen aktiv. Ab 2013 will Lieferheld laut Siegel profitabel sein.

„Markt bereits in Sättigungsphase“

„Das Problem in Deutschland ist, dass alle Spieler Geld haben“, sagt Jitse Groen im Hinblick auf seinen deutschen Markteroberungspläne. Jochen Grote sieht indes noch ganz andere Probleme. „Der Markt ist bereits in der Sättigungsphase“, sagt er. Der 50-Jährige ist Geschäftsführer von Pizza.de mit Sitz in Braunschweig. Das Portal verfügt nach eigenen Angaben über mehr als 10 000 angeschlossene Lieferrestaurants in Deutschland und bezeichnet sich als „Marktführer“. Eine Position, die Grote gegenüber der Konkurrenz schon mit einstweiligen Verfügungen verteidigt hat.

„Wobei die reine Zahl eigentlich nicht so entscheidend ist, sondern dass wir als Einzige auch große Ketten wie Joey’s oder Smiley’s Pizza bei uns mit drauf haben“, sagt Grote. Darauf ausruhen kann er sich allerdings nicht: „1,6 Millionen Euro geben wir für Marketing aus – jeden Monat“, sagt Grote. Allein dafür, dass sein Portal bei Google bei diversen „Pizza“-Suchkombinationen in Deutschland „ganz oben“ in der Trefferliste erscheine, zahle seine Firma dem Suchmaschinenriesen rund 500 000 Euro im Monat.

Pizza.de seit Jahren profitabel

„Im Gegensatz zu den anderen können wir das aber aus dem Cashflow finanzieren“, sagt Grote. Dies liegt auch daran, dass seine Firma bereits seit 1997 – anfangs noch unter dem Name Bringdienst.de – den deutschen Markt beackert. „Die Kunden sind Gott sei Dank relativ treu“, sagt Grote. Risikokapital von Investoren wolle und brauche er nicht – auch weil er nicht in andere Länder expandieren wolle. Seit Jahren sei sein Unternehmen profitabel.

Was seine kritische Marktprognose betrifft, so stützt sich der Pizza.de-Chef auf Zahlen des Marktforschers Euromonitor aus dem Jahr 2010. „Andere verlässliche Studien gibt es für unsere Branche nicht“, sagt er. Euromonitor gibt das gesamte Marktvolumen „Home Delivery/Takeaway“ für Deutschland – abzüglich von großen Lieferfranchiseketten wie Joey’s oder Hallo Pizza – mit 681 Millionen Euro an. „In schlechten Jahren stagniert der Markt, in guten haben wir zwei bis vier Prozent Wachstum“, sagt Grote.

Lieferheld hingegen rede öffentlich von einem Marktvolumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, Lieferando gar von 4,4 Milliarden. Eine Sprecherin von Lieferando erklärt hierzu schriftlich, dass sich die Marktgröße bei Euromonitor einzig auf Lieferservice-Restaurants beziehe, die keine Sitzplätze anbieten. „Viele der Lieferservice-Restaurants haben jedoch auch In-House- Sitzplatzmöglichkeiten“, heißt es weiter mit Verweis auf den „Branchenreport Gastronomie“ von BBE Retail Experts. Joey’s Pizza, die größte deutsche Lieferfranchisekette, teilt auf Anfrage mit, überhaupt keine verlässlichen Marktdaten vorliegen zu haben und bittet um Verständnis, sich nicht an „Spekulationen“ beteiligen zu wollen.

„Die belügen ihre Investoren“

Jochen Grote hat sein Urteil über die Berliner Konkurrenz jedenfalls gefällt: „Die belügen ihre Investoren.“ Da er diese Meinung auch schon anderweitig öffentlich gemacht hat, habe die Konkurrenz versucht, ihm dies per einstweiliger Verfügung zu verbieten. „Inzwischen habe ich aber die richterliche Erlaubnis, das zu sagen“, sagt Grote und legt nach: „Die sammeln immer mehr Geld ein und hoffen, irgendwann einen Dummen zu finden, der ihre Firma kauft.“ Warum Jitse Groen nun auch den überhitzten deutschen Markt ins Visier nimmt, kann Grote nicht verstehen. „Er jagt wohl dem großen Geld hinterher.“

Der Holländer selbst ist zwar auch der Meinung, dass Lieferando und Lieferheld „nur Geld verbrennen“. Sich will er da aber nicht einreihen. „Ich habe einen starken Heimatmarkt im Rücken“, sagt er. Auch deshalb gehe er in Deutschland nicht ganz so schnell und aggressiv auf Expansionskurs wie die beiden anderen. Mittelfristig sieht Groen aber ohnehin Platz für zwei oder drei Spieler in Deutschland. „Aktuell ist aber das Telefon die größte Konkurrenz für uns – und nicht die anderen.“