Marianne Rist, Inhaberin der weithin bekannten Buchhandlung Stocker und Paulus, hört nach 19 Jahren auf. Die Kundschaft schätzte ihr umfassendes Wissen.

Esslingen - Erst führt der Weg über ein kurzes Stück roten Teppich, dann eine Stufe hoch und durch die Eingangstür hinein in den Laden, sodann entlang einer Büchertheke vor bis zum Suchmaschinen- und Kassenbereich. Bis dahin bleibt Marianne Rist genügend Zeit, ihre rückwärtige Büroklause zu verlassen, um nach zwei Stufen abwärts den Kunden zu begrüßen. So war das fast 19 Jahre lang – doch seit wenigen Tagen ist Schluss: Die Inhaberin der Buchhandlung Stocker und Paulus hat ein Lebenskapitel abgeschlossen, und damit endet auch ein weiteres Kapitel in der langen Chronik des ältesten kommerziellen Literaturhorts in Esslingen. „Alles hat seine Zeit und findet auch einmal sein Ende“, hat Marianne Rist ihre Stammkundschaft wissen lassen.

 

Hermann Hesse dürfte vorgesprochen haben

Seit dem 1. Januar 1911 residiert Stocker und Paulus in dem denkmalgeschützten Haus von 1724 gleich beim Postmichelbrunnen, laut Handelsregister seinerzeit eingetragen als „Vereinigte Buchhandlungen Adalbert Stocker, Samuel Mayer, Nachfolger Eduard Paulus“. 16 Jahre vor der Zusammenlegung, da ist sich Marianne Rist ziemlich sicher, dürften die Genannten auch Gesprächspartner von Hermann Hesse gewesen sein, als der spätere Literaturnobelpreisträger auf der Suche nach einer Buchhändlerlehrstelle im Jahre 1895 auch zweieinhalb Tage in Esslingen verbrachte, sich dann aber für den Buchhändler Heckenhauer in Tübingen entschied.

1998 trat Marianne Rist im Handelsregister und im wirklichen Leben als Inhaberin von Stocker und Paulus auf den Plan. Gebürtig aus Donauwörth in Bayrisch-Schwaben, hatte sie zuvor an verschiedenen Orten eine umfassende Ausbildung rund ums Buch und das Verlagswesen genossen. So qualifizierte sie sich unter anderem an der Fachschule des Deutschen Buchhandels in der Mainmetropole Frankfurt als Handelsassistentin, war Sortimentsleiterin bei Reinhold Gondrom in Kaiserslautern und wurde Außendienstmitarbeiterin beim Verlag Thienemann in Stuttgart. In dieser Funktion kam Marianne Rist auch mit Stocker und Paulus in Verbindung – und hat den guten Ruf des Hauses in Esslingen mitbekommen, wie sie sagt.

Die Kunden sind viele Jahre lang treu geblieben

Als der Inhaberwechsel anstand, griff die pragmatische Schwäbin beherzt zu – und dies, obwohl nur einen Steinwurf entfernt, im heutigen Kögel-Herrenmodenhaus, auf drei Stockwerken Konkurrent Wittwer vertreten war und sich der nächste Wettbewerber in der Inneren Brücke fand (und findet). Sie habe auf ihre Fachkompetenz auf den Feldern der Literatur, einschließlich der Klassik, der Geschichte und Politik, der Biografien und der Frauenbewegung vertraut. Immerhin durfte die Leseratte schon als Grundschülerin unweit ihres Elternhauses in der Schlossbibliothek des Freiherrn Alexander von Bernus in Donaumünster nach Herzenslust schmökern.

„Ausgangs der 1990er Jahre habe ich den Kundenstamm von Stocker und Paulus übernommen“, sagt Marianne Rist, „und viele, die mich jetzt verabschiedet haben, haben mich damals auch schon begrüßt“. Und wie muss man sich die Zukunft des Ladens vorstellen? „Es bestehen gute Aussichten, dass es mit dem Buchgeschäft weitergeht“, sagt hoffnungsvoll die scheidende Inhaberin.

Eine Bolivien-Reise für ein Kinderhilfsprojekt steht an

Der Buchexpertin aber, Mitbegründerin und Präsidentin der Esslinger Gruppe der weltweiten Frauenvereinigung „Soroptimist“, wird es künftig bestimmt nicht langweilig. Für eine zweiwöchige Projektreise der Kinderhilfsstiftung „Plan“ nach Bolivien hat sie schon mal einen Stapel Bücher hingerichtet – doch fraglich ist, ob es diesmal mit dem Lesen überhaupt was wird.