Ein neues Buch beschreibt das Leben von Samson Mayer, dem Erfinder der Streichhölzer. Der Neffe des Esslinger Mathematikers und Astronomen Tobias Mayer war ein ideenreicher Tausendsassa, er starb aber ziemlich verarmt.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - In seine wirren Träume vom Feuer dringt der Ton der Sturmglocke, „Feuri – i – o“ ruft es, Brandgeruch zieht durch das Fenster. Der Mann rennt auf den Esslinger Marktplatz, dort steht das Haus des Kaufmanns Christian Leberecht Koch in Flammen. Die Bürger schlagen die Türe ein, die heiße Luft schlägt ihnen wie aus einem glühenden Backofen entgegen. Gebückt wagt sich Johann Samson Wilhelm Mayer mit einem Wassereimer in das brennende Haus und löscht den Brandherd in einem Warenfach. 20 Mann kommen nach und bringen das Feuer unter Kontrolle.

 

Bei seiner Rettungsaktion bekommt Samson Mayer zwei Eimer Wasser und das Rohr einer Wasserspritze ins Genick. Skurril ist, dass Mayer bei diesem Brand im Jahr 1821 mit seiner eigenen Erfindung zusammengestoßen ist. Mit dem Bau von Handfeuerspritzen hat er seine Kupferschmiede am Beutaubrunnen am Laufen gehalten, in der Stadt bekannt geworden ist er jedoch als „Zündhölzles Mayer“. Er war ein Erfinder, der sich mit immer neuen und verrückten Dingen abgab. Sein Patenonkel war der geniale Esslinger Mathematiker und Astronom Tobias Mayer.

Neubronner hat das Leben von Mayer nachgezeichnet

Nun hat der Journalist Eberhard Neubronner das Leben des Erfinders Wilhelm Samson Mayer aus Esslingen nachgezeichnet. Neubronner hat eine Art Collage zusammengestellt, in deren Zentrum die Tagebücher Samson Mayers stehen, die im Stadtarchiv ruhen.

Während Tobias Mayer den ersten Mondglobus baute und Professor in Göttingen wurde, musste sein Neffe Samson Kupferschmied werden, obwohl er das Zeug zu mehr gehabt hätte. Doch sein Vater wollte, dass der Sohn bei ihm in die Lehre geht. Nach der Ausbildung geht es von 1809 an auf die Walz. Samson Mayer durchwandert Frankreich und Flandern, arbeitet in Breda und in Amsterdam und korrespondiert mit seinem Patenonkel. „Das irdische Paradies liegt in uns, weil wir denken können“, schreibt ihm Johann Tobias Mayer aus Göttingen. Der reiche Patenonkel unterstützt Samson sein Leben lang und hilft ihm auch in den schweren Zeiten, als Mayer seine Kupferschmiede in Esslingen eröffnet und seine Ehefrau im Alter von 19 Jahren stirbt, nach nur 15 Monaten Ehe. Die Leichenpredigt, schreibt Samson Mayer, sei so schlecht gewesen, dass sie die Gänse nicht gefressen hätten. Der Krieg gegen Napoleon hatte das Land arm gemacht, dazu kam das verhängnisvolle Jahr 1816, in dem die Asche des indonesischen Vulkans Tambora den Himmel in Europa verdunkelte und eine katastrophale Missernte hervorrief. Die Winter waren hart, wenn der Neckar fror, konnten die Wassermühlen nicht arbeiten, die Menschen hungerten. In Baltmannsweiler starben innerhalb von drei Wochen 40 Kinder an den Masern,

Die Not steigt aufs Höchste

„Nirgends will Geld her, und ich soll überall zahlen“ klagt Samson Mayer. Doch die Teuerung wird noch schlimmer, die Menschen glauben, das Ende der Welt sei gekommen. Er berichtet in seinem Tagebuch, dass am 23. Mai 1817 die radikalen Pietisten in den Kaukasus abreisen, wo sie die Wiederkunft Christi erwarten. Die Bäcker verkaufen das Brot zu einem Gulden und 20 Kreuzern. Zum Vergleich: Sein Haus hat Mayer für 1800 Gulden gekauft.

Die Not steigt aufs Höchste. Auch fürs Geld kann man nichts mehr kaufen. „Überall ist Gärung, dem ganzen Land steht ein Sturz bevor. Gott sei bei uns“, fleht Mayer in seinem Tagebuch. Dazu kommt ein Hochwasser, wie Esslingen es noch nie erlebt hat: Straßen werden ruiniert, Brücken zerstört. Verzweifelt kämpfen die Esslinger ums Überleben. Der Brotmangel ist schrecklich. „Zwanzig Personen stehen vor einem Beckenhaus, welches ein wenig Wecken backt.“ Aber die Esslinger halten durch, und der Allmächtige, so glauben sie, erhört ihre Gebete. Der Weizen steht im Sommer 2017 prächtig, und die Ernte wird gut. Auch Samson Mayer kommt wieder auf die Füße. Er heiratet wieder.

Seinem Tagebuch vertraut er den Kummer jener Jahre an: Ein Sohn stirbt ihm in den Armen, die Frau hat Fehlgeburten, ständig gibt es Streit mit dem Vater und dem Schwiegervater. Aber was soll er sagen, schließlich trauert das ganze Königreich Württemberg, Katharina, die Frau Wilhelms I., ist gestorben und Samson Mayer schickt an den König ein Trauergedicht, worauf ihm dieser 22 Gulden schenkt.

Das Geschäft läuft nicht gut

Sein Geschäft läuft nicht gut und Mayer versucht alles Mögliche, um durchzukommen. Er macht Branntwein und verkauft ihn, schließlich kommt er auf die Idee, eine Lotterie aufzulegen mit seinem Hausrat. Er verlost alles, was er besitzt, um Frau und Kinder durchzubringen. Er erfindet Tinte, die nach Gewürzen riecht und Schuhcreme. Er kauft Äcker für Kartoffeln, er versucht, Likör herzustellen und eröffnet eine Gartenwirtschaft. Und wenn gar nichts mehr geht, dann nimmt Samson Mayer an Preisschießen teil, wo er regelmäßig Geldpreise einheimst.

Da tut sich endlich eine Verdienstmöglichkeit auf: Mayer erfindet eine neue Handfeuerspritze und Carl Deffner, der Esslinger Blechlackierer, wirbt für ihn in der Esslinger Zeitung. So verkauft Samson mehrere Spritzen nach Stuttgart.

Fünf Kinder muss er versorgen, und Mayer weiß, dass der Beruf des Kupferschmieds keine Zukunft mehr hat. Immer noch träumt er, und immer noch träumt er auch vom Feuer. Das verhilft ihm zu einer neuen Geschäftsidee. In Stuttgart trifft er Friedrich Steinkopf, den geistreichen Buchhändler und Verleger und kauft ihm ein Chemie-Buch von Berzelius ab. Darin findet er eine Anleitung für Zündhölzer. Soll man sagen, er kupferte sie ab? Immerhin stellt er als Kupferschmied nun chemische Feuerzeuge her und Schwarzpulver, auch verkauft er Feuerwerkskörper. Doch sind die Zündhölzer damals umständlich zu handhaben. Sie brennen nur, wenn man Schwefelsäure darauf träufelt. In England wird das Streichholz erfunden, das brennt, wenn man es über Sandpapier streicht. Mayer gelingt es, diese Hölzer nachzumachen. Jetzt ziehen Deffner und er einen internationalen Vertrieb auf und verkaufen nach Amerika, Russland – dahin, wo es deutsche Auswanderer gibt. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Andere Zündholzhersteller drängen auf den Markt. Weil es keinen Patentschutz gab, musste ein Erfinder immer weiter erfinden, koste es, was es wolle.

Der Magistrat verbietet die Herstellung

Was also macht Mayer? Da damals der Magnetismus, eine Form esoterischer Praktiken, modern wurde, verkaufte Mayer Magnete. „Kommt, Ihr Herren jung und alt, kommt auch schöne Frauen, des Magnetes Allgewalt, geb ich euch zu schauen“, reimt er in der Esslinger Zeitung. Mayers Firma steht jetzt im Zenit, doch trifft ihn ein weiterer Schicksalsschlag: Seine zweite Frau stirbt. Mayer heiratet wieder – eine junge Frau, die Schwung in sein Geschäft bringt. Inzwischen kann er mehrere arme Familien in seiner Firma beschäftigten.

Doch in dieser Hochphase mehren sich auch kritische Stimmen: In Zeitungsartikeln wird vor der Gefährlichkeit der Zündhölzer gewarnt. Seine Nachbarn verklagen Mayer, weil sie glauben, dass durch die Fabrikation von Zündhölzchen das Haus abbrennen könne. Der Magistrat der Stadt Esslingen verbietet die Herstellung. Der blühende Produktionszweig ist dadurch abgewürgt, und Mayer sitzt mit inzwischen elf Kindern und seiner Frau auf dem Trockenen. Eine Zeit lang hält er sich als Friedhofswärter über Wasser. Doch krank und zu alt zum Arbeiten, stirbt er am 18. Dezember 1856 – völlig verarmt.