In den vergangenen Wochen hat die Polizei im Kreis Esslingen mehrmals erlebt, dass sich Passanten mit mutmaßlichen Tätern solidarisierten und Beamte angriffen.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Ein elfjähriger Junge beleidigt einen Kioskbesitzer am Kirchheimer Bahnhof. Anschließend schreit er unkontrolliert herum und verprügelt einen 14-Jährigen. Als die Polizei eintrifft, um die Situation zu beruhigen, unterstützen Zugreisende nicht die Beamten, sondern solidarisieren sich mit dem Täter. Am Ende sind sechs Polizisten notwendig, um die Situation in den Griff zu bekommen.

 

Die Polizeiarbeit im Kreis Esslingen scheint mit einer neuen Entwicklung konfrontiert. Unbeteiligte, die den Beamten das Leben schwer mehr machen. Björn Reusch, der Chef der Reutlinger Polizeipressestelle spricht von einer Erscheinung, die in den vergangenen fünf bis zehn Jahren spürbar zugenommen habe. „Wo früher ein Streifenwagen ausreichte, um einen Streit in einer Diskothek zu schlichten, benötigen wir heute deutlich mehr Einsatzkräfte.“

Mehrere Streifenwagen mussten auch ins Kirchheimer Freibad ausrücken. Dort hatte sich ein Jugendlicher aus Mali mit dem Bademeister angelegt, dass dieser die Polizei holen musste. Daraufhin beschimpften etwa 30 Badegäste, die meisten von ihnen waren um die 20 Jahre alt, die Polizeibeamten als „brutale Polizei“ und „Rassisten“ und feuerten den 17-Jährigen mit „Lass Dir das nicht gefallen!“ regelrecht an. Eine besonderes Brisanz hatte die Situation auch dadurch, weil zur gleichen Zeit fünf minderjährige Mädchen dort sexuell belästigt wurden.

Warum sich Unbeteiligte vermehrt in solche Situationen einmischen, darüber kann die Polizei nur spekulieren. „Es spricht zwar nichts dafür und es gab auch keine Beschwerden. Vielleicht wurde irgendeine Handlung eines Polizisten falsch verstanden“, erklärt Björn Reusch. Wahrscheinlicher aber sei eine reine Sensationsgier, die Motivation der Beteiligten nach dem Motto „Jetzt geht hier mal was!“

Die Kirchheimer Fälle sind nicht einmal die heftigsten. Im Januar biss in Göppingen ein 19-Jähriger einem Polizisten in den Arm, ebenfalls im Januar griff ein Junkie im Stuttgarter Hauptbahnhof Polizisten mit einer Spritze an und forderte die Beamten auf, ihn zu ersc hießen. In Freiberg wollten Beamte einem An getrunkenen aufhelfen. Er revanchierte sich dafür mit Fußtritten. Seit Jahren bewegt sich die Zahl der Angriffe auf Polizisten auf hohem Niveau bei steigender Tendenz. Alkohol spielt bei den Übergriffen eine wesentliche Rolle. Knapp zwei Drittel der 254 Tatverdächtigen waren betrunken , oft sind es psychisch Kranke, die auf die Polizisten losgehen.

Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Schon weit vor einem tätlichen Übergriff sind die Kollegen von Björn Reusch fast täglich mit Respektlosigkeit, Provokationen und Beleidigungen konfrontiert, mit denen oft aus Gruppen heraus junge Leute vor ihren Freunden angeben wollen.

Klar ist aber auch, dass die Polizei keinerlei Aggression oder Gewalt gegenüber den Beamten duldet. Sie versucht, den Behinderungen und Pöbeleien entgegenzuwirken. Ein Heilmittel besteht nach Björn Reusch darin, die Polizeieinsätze korrekt und entschlossen durchzuführen und solche Verstöße konsequent zu ahnden.

Dabei stellt der Widerstand gegen Polizeibeamte alles andere als ein Kavaliersdelikt dar. Der Gesetzgeber sieht dafür in besonders schweren Fällen sogar eine Höchststrafe von bis zu fünf Jahren Haft vor. Bereits bei Beleidigungen werden leicht mehrere Hundert Euro Strafe fällig.

Doch ein Ende ist nicht in Sicht: Am Donnerstag zog die Polizei in Nürtingen einen betrunkenen unter Drogen stehenden 22-Jährigen aus dem Verkehr, der zuvor mit seinem BMW-Cabrio geflohen war. Als er kontrolliert wurde, versuchte er, einem Beamten ins Gesicht zu schlagen.