Horst Müller hat mit seinen Brieftauben so ziemlich alle Titel errungen, die man bei Meisterschaften gewinnen kann. Seine Faszination für die intelligenten Vögel ist weiterhin ungebrochen. Auch die Stadttauben sind ihm ein Anliegen.

Esslingen - Man sieht ihm seine Vorliebe für Tauben bereits auf den ersten Blick an: Auf seinen Arbeitskittel ist eine Brieftaube gestickt, um seinen Hals hängt eine Goldkette auf dessen Anhänger eine eingravierte Taube abgebildet ist, und im Wintergarten, der den Blick auf den großen selbst gebauten Taubenschlag freigibt, sind Pokale und Fotos von Tauben so weit das Auge reicht. Horst Müller aus Esslingen-Berkheim hielt bereits im Alter von neun Jahren seine ersten eigenen Tauben. Heute, 68 Jahre später, ist er ein gefragter Mann, wenn es um die intelligenten Vögel geht, die aus großer Entfernung wieder in ihren Taubenschlag zurückfinden. Nicht nur in Esslingen wird sein Rat oft benötigt, sondern in der ganzen Region. Und sogar aus China kommen Anfragen zum Kauf seiner Zuchtvögel.

 

„Im Jahr 1955 habe ich mit meinen Brieftauben zum ersten Mal an einem Wettflug teilgenommen“, sagt Horst Müller, der seit 54 Jahren Vorstand des Berkheimer Brieftaubenvereins ist. Der 77-Jährige hält rund 40 Flugtaubenpaare, 20 Zuchttaubenpaare und 30 Hochzeitstauben, weiße Brieftauben. Den großen Taubenschlag hinter seinem Haus hat er bereits 1954 zusammen mit seinem Vater gebaut, als „aus jedem Haus noch eine Kuh rausgeschaut“ habe, so Müller.

Rund 130 bis 700 Kilometer legen die Brieftauben bei einem Wettflug zurück. Die Vögel tragen einen Chip um den Fuß, mit dem die Daten per Zeitmesssystem auf einen Rech ner übertragen werden. Der Taubenfreund hat auch schon an Wettbewerben in Barcelona, Marseille und Rennes teilgenommen, wo die Vögel eine Strecke von rund 1000 Kilometern zurücklegten. Die Wettflugsaison dauert von April bis September. „Dann ist Schluss, denn im Winter ist die Gefahr für Tauben besonders groß, einem Habicht, Falken oder Sperber zum Opfer zu fallen.“

Kaum Brieftauben unter den Stadttauben

„Falken schlagen ihre Beute in der Luft“, erklärt der 77-Jährige. „Ein Falke würde keine Taube, die auf einem Asphaltboden sitzt, attackieren.“ Von der Theorie, das Falken, die in Kirchtürmen nisten, dazu beitragen, dass die Population der Stadttauben konstant bleibt, hält er daher nichts. „Als in Esslingen noch Falken im Turm der Stadtkirche nisteten und das Nest anschließend gesäubert wurde, kamen dort lauter Ringe zum Vorschein.“ Das bedeute, das die Falken nicht Stadttauben gefressen, sondern gezüchtete Brieftauben vertilgt hätten. Denn diese haben einen Ring um den Fuß, auf dem Daten wie das Geburtsjahr, der Vogelhalter oder Verband und eine Nummer eingetragen sind.

Auch kann er die These nicht bestätigen, dass sich die Stadttaubenpopulation wegen verirrter Brieftauben vermehren würde. „Seit ich mich mit Tauben beschäftige, habe ich in der ganzen Stadt nur vier beringte Tauben gefunden“. Esslingen gilt in Sachen Tauben als Vorzeigestadt. Ihr Konzept wurde 2005 mit dem Landestierschutzpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet. Um die Tauben in der Innenstadt kümmert sich Müller, der auch Mitglied im Tierschutzverein ist, seit fast 17 Jahren. Drei Mal in der Woche besucht er die vier Taubenschläge, putzt und desinfiziert sie, füttert die Tauben und tauscht die Eier gegen Attrappen aus Gips aus. 25 Kilogramm wiegt ein Sack mit Futter, den der 77-Jährige zu Fuß viele Treppenstufen bis zum Taubenschlag tragen muss.

Die älteste Taube wurde 21 Jahre alt

Die Vögel, die Horst Müller besonders ans Herz gewachsen sind, erhalten einen Namen. So etwa die mit 17 Jahren verstorbene Lisel, die vor Jahren sogar mal eine Rolle in der Fernsehreihe „Tatort“ ergattert hatte. Die älteste Taube, die derzeit in Müllers Taubenschlag haust, ist 15 Jahre alt, die älteste bislang wurde 21 Jahre alt. Doch Horst Müller macht sich auch Gedanken um die Zukunft seines Hobbys. „Ich gebe dem Brieftaubensport noch zehn Jahre,“ sagt er. Früher sei der Verein in Berkheim noch so bekannt gewesen wie der Sportverein, heute seien es gerade mal noch zwei Mitglieder im Ort. Vielen Taubenzüchtern heutzutage gehe es nur um den Profit, sagt Müller, „die putzen ihre Schläge nicht mal selbst und lassen an Wettflügen dann 200 Vögel antreten“.

Müller fasziniert an seinen Schützlingen am meisten das gute Heimfindevermögen. „Die Faszination für das kreative Tier lässt mich einfach nicht los“, sagt er.

Esslingen ist Vorzeigestadt in Sachen Tauben

Projekt
In öffentlichen Gebäuden in der Innenstadt befinden sich vier Taubenschläge, die ein ehrenamtlicher Taubenwart betreut. Dreimal wöchentlich werden die Tauben mit Futter versorgt, die Nistzellen und der Boden werden gereinigt und desinfiziert.

Fortpflanzung
Die Eier werden gegen Attrappen ausgetauscht. Durch den Austausch wird verhindert, dass sich die Tiere vermehren. Dadurch wird die Stadttaubenpopulation mittel- bis langfristig reduziert. Die Nist- und Schlafzellen sorgen für eine Entlastung der Gebäude. 80 Prozent der Hinterlassenschaften bleiben in den Schlägen.

Finanzierung
Für die Futterkosten, Putzmittel und weiteres Material benötigt der Tierschutzverein Esslingen Spenden aus der Bevölkerung.