Die EU kennt jetzt auch „gute“ Schulden. Das sind für Angela Merkel solche, die in den neuen Investitionsfonds gesteckt werden. Doch Schwarz-Rot ist in dieser Sache bei weitem nicht so harmonisch wie der EU-Gipfel.

Brüssel - Vom kommenden Jahr bis 2017 sollen in Europa mindestens 315 Milliarden Euro investiert werden, um der grassierenden Wirtschaftskrise entgegenzuwirken. Die 28 EU-Staaten haben sich in der Nacht zu Freitag einstimmig hinter das von Kommissionschef Jean-Claude Juncker vorgeschlagene Investitionsprogramm gestellt. „Europa braucht einen Kick“, sagte Luxemburgs junger Ministerpräsident Xavier Bettel zum zentralen Punkt der europäischen Anti-Krisenstrategie, die er als „eine positive Botschaft“ zum Jahresende bezeichnete. „Wir haben die Richtung und den Zeitplan vorgegeben“, sagte der neue EU-Ratspräsident Donald Tusk.

 

Im Juni soll der Fonds stehen, der mit öffentlichen Garantien von bisher 21 Milliarden Euro private Kapitalgeber anlocken soll. Am 13. Januar wird die EU-Kommission dafür den entsprechenden Gesetzesvorschlag unterbreiten.

Es existiert bereits eine von den Mitgliedstaaten erstellte Liste möglicher Investitionsprojekte mit einem Gesamtwert von 1,3 Billionen Euro. Zudem gibt es den Wunsch vieler Regierungen, die Investitionen gleichmäßig über die EU-Staaten zu verteilen. Kanzlerin Angela Merkel setzte jedoch eine Klarstellung durch, wonach der Fonds innerhalb der Europäischen Investitionsbank angesiedelt wird und deren Regeln auf die zur Auswahl stehenden Projekte angewendet werden. „Es soll nicht politisch entschieden werden“, so Merkel: „Die Projekte gehen jetzt alle durch den Check.“

Im Gegenzug machte sie ein Zugeständnis. Sie beharrte im Gegensatz zu Diplomatenangaben vor dem Gipfel nicht mehr darauf, eine Passage im Abschlusstext streichen zu lassen, die sich darauf bezieht, welche Rolle mögliche nationale Geldbeiträge bei der Haushaltsüberwachung durch die Brüsseler Kommission spielen. Deren Chef Juncker wirbt dadurch um Finanzzusagen für den Fonds; die Beiträge sollen „nicht in Betracht gezogen“ werden, wenn ein Land allein durch diese die maximal zulässige Neuverschuldung von drei Prozent der Wirtschaftsleistung überschreitet.

Italien geht die flexiblere Regelung noch nicht weit genug

Im Januar wird seine Behörde ein Papier vorlegen, wie sie diesbezüglich den Stabilitäts- und Wachstumspakt auszulegen gedenkt. Dies muss nach Angaben aus Kommissionskreisen zwar noch von der Runde der EU-Finanzminister abgesegnet werden, Merkel erhob aber beim Gipfel im Namen der Bundesregierung keine grundsätzlichen Einwände gegen das Konzept „guter“ Schulden, das bereits ähnlich mit den staatlichen Garantien für den Euro-Rettungsschirm ESM praktiziert wird. „Wir akzeptieren, dass die Kommission einen gewissen Ermessensspielraum hat“, sagte ein EU-Diplomat der Stuttgarter Zeitung. Die Kanzlerin ließ im Gipfelkommuniqué nur klarstellen, dass sich mehr Flexibilität „innerhalb der geltenden Regeln“ abspielen muss.

Damit jedoch dürfte Juncker auf Europas Sozialdemokraten zugehen können, die seit Jahren fordern, bei der Art der Neuverschuldung zu unterscheiden. So hatte Italiens Premier Matteo Renzi erst im Sommer gefordert, etwa die Kosten für den Ausbau digitaler Breitbandnetze von der Schuldenberechnung auszunehmen. Österreichs SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann begrüßte ebenfalls die „Diskussionswende hin zu mehr Investitionen“. Der Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, Gianni Pittella, sprach von einem „ersten Schritt in die richtige Richtung“, forderte aber bereits, dass auch nationale Kofinanzierungen für einzelne Projekte nicht in die Defizitberechnung einfließen sollen – was die Bundesregierung strikt ablehnt. „Der Kampf für mehr Flexibilität“, so Pitella, „ist noch nicht vorbei.“ „Natürlich wollten die Italiener mehr, aber das ist schon ein gewisses Zugeständnis Merkels“, sagte ein belgischer EU-Diplomat: „Es ist aber begrenzt, da die Investitionsfondsbeiträge nur dann nicht zählen, wenn sie der Auslöser für ein Defizitverfahren wären. Für Deutschland ist es der beste schlechte Kompromiss.“

Der CSU-Politiker Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Parlament, erwartet nun, „dass möglichst viele Mitgliedstaaten Geld bereitstellen. Damit würde der Fonds noch mehr Schlagkraft bekommen“. Dies dürfe jedoch „nicht mit einem Aufweichen der Regeln für den Stabilitäts- und Wachstumspakt verbunden sein“. Frankreichs Staatschef Francois Hollande erklärte in Brüssel bereits, sein Land werde sich beteiligen.

In der Frage eines deutschen Beitrags zeichnet sich bereits ein Koalitionsstreit ab. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat dies bereits gefordert. „Der neue europäische Fonds steht womöglich auf schwachen Beinen, wenn er nicht durch die Mitgliedstaaten gestützt wird“, teilte sein Berliner Parteifreund Joachim Poß nun mit. „Deswegen sollte ernsthaft geprüft werden, auf welche Weise und in welcher Höhe eine Beteiligung sinnvoll ist.“ Aus der deutschen Gipfeldelegation war jedoch zu hören, eine Beteiligung sei unwahrscheinlich, da sonst die Erwartung geweckt werde, dass es zusätzliche Investitionsprojekte in Deutschland geben müsse, wo doch die Krisenländer der Hauptadressat seien.