Ausländer, die zu ihrem Ehepartner nach Deutschland ziehen wollen, müssen Grundkenntnisse der deutschen Sprache nachweisen. Für türkische Bürger gilt diese Regel künftig nicht mehr.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes hat eine heftige integrationspolitische Debatte ausgelöst. Die Sprachtests für Ehepartner von in Deutschland lebenden Türken verstoßen gegen EU-Recht, haben die Luxemburger Richter entschieden. Die SPD, Grüne und die Linke sehen sich nun in ihrer Kritik an dem Gesetz bestätigt. Die Union hingegen kündigt an, „im Grundsatz am Sprachnachweis beim Ehegattennachzug festzuhalten“, so deren innenpolitische Sprecher Stephan Mayer. Das ist auch nach dem Urteil durchaus möglich. Im Augenblick ist der Richterspruch nur für einen relativ kleinen Teil von zuzugswilligen Ehegatten relevant. Das könnte sich jedoch in absehbarer Zeit ändern. Der Urteilsspruch Türkische Staatsbürger, die zu ihrem türkischen Ehepartner nach Deutschland ziehen wollen, müssen künftig keine Deutschkenntnisse mehr nachweisen. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Sprachtests gegen das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei verstoßen. Die in den 70er Jahren vereinbarte so genannte Stillhalteklausel verbietet neue Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit. Geklagt hatte die türkische Ehefrau eines Mannes, der seit mehr als 15 Jahren in Deutschland wohnt und in Ulm eine Baufirma betreibt. Die Frau ist Analphabetin. Der Sprachtest Die Bundesregierung hatte die Sprachtests im Jahr 2007 für alle visumspflichtigen Ausländer eingeführt. Mit ihnen sollten Zwangsehen erschwert und die Integration gefördert werden. Ohne den Nachweis so genannter „einfacher Deutschkenntnisse“ wird den Antragstellern kein Visum mehr ausgestellt. Es gibt grundsätzlich mehrere Möglichkeiten, seine Kenntnisse der deutschen Sprache unter Beweis zu stellen. Am häufigsten ist ein bestandener Test auf dem so genannten A1 Niveau. Dabei wird sowohl mündlich als auch schriftlich geprüft. Das geschieht oft bei den Goetheinstituten. Die Kosten dafür sind von Land zu Land unterschiedlich. Um die 500 Euro müssen für den mehrwöchigen Deutschkurs im Vorfeld der Prüfung meistens aufgebracht werden. Lebt der Einreisewillige in der Provinz, wo es keine Unterrichtsangebote gibt, kommen Fahrt- und Übernachtungskosten zu Kurs und Prüfung hinzu. Die betragen oft ein Vielfaches.

 

Nach einer Statistik des Auswärtigen Amtes liegt die Durchfallquote bei etwa einem Drittel, in manchen Ländern wie Pakistan oder dem Irak bei etwa 50 Prozent. Hiltrud Stöcker-Zafari, die Bundesgeschäftsführerin vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften hält den Sprachtest in seiner bisherigen Form für ungeeignet: „Nach dem Test steht den Einreisewilligen das aufwändige und zum Teil bis zu einem Jahr lange Visumverfahren bevor. Wenn der Ausländer dann in Deutschland ankommt, ist das Erlernte auch schon wieder vergessen.“

Begründung des Gerichts Der Europäische Gerichtshof hat das Ansinnen des deutschen Gesetzgebers, Zwangsehen zu verhindern und die Integration zu fördern, ausdrücklich gebilligt. Dies könnten zwingende Gründe des Allgemeininteresses sein. Die Richter erklären allerdings, dass der verpflichtende Sprachtest vor der Einreise ein zu weitgehendes Mittel ist, um dieses Ziel auch zu erreichen, da der fehlende Nachweis „automatisch zur Ablehnung des Antrags auf Familiennachzug führt, ohne dass bestimmte Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.“ Für wen das Urteil gilt Der Europäische Gerichtshof hat die deutsche Regel verworfen, weil sie gegen ein Abkommen verstößt, welches die Türkei und die EU (damals EWG) zu Beginn der 70er Jahre geschlossen haben. Der Richterspruch hat damit nur Auswirkungen für Menschen, die aus der Türkei nach Deutschland nachziehen möchten. Von den 32 777 Visa zum Ehegattennachzug, die im Jahr 2013 erteilt wurden, sind weniger als ein Drittel für türkische Staatsbürger ausgestellt worden. Das Urteil ist sogar noch spezieller: es gilt ausschließlich für die Türken, die zu einem türkischen Ehepartner ziehen wollen, der bereits rechtmäßig in der Bundesrepublik lebt. Für Türken, die zu einem deutschen Ehepartner ziehen möchten, gilt der Richterspruch nicht. Sie müssen auch weiterhin einen Sprachtest absolvieren – ebenso wie alle anderen visapflichtigen Ausländer.

Änderung für alle möglich Weil das Gericht in der deutschen Regelung bereits einen Verstoß gegen die Vereinbarung mit der Türkei gesehen hat, ist eine ursprünglich noch weitergehende Prüfung des Antrags in dem Urteil nicht mehr erfolgt. Christoph Käss, der Anwalt der nun obsiegenden türkischen Ehefrau, hatte auch einen Verstoß gegen die allgemeinen Familiennachzugsrichtlinie der Europäischen Union gerügt. Die gilt für sämtliche Ausländer, die in die EU wollen, egal ob sie aus Nigeria, Indien oder Russland kommen. Während des Prozesses hatte sich die EU-Kommission bereits dahingehend geäußert gehabt, dass auch diese Richtlinie vom deutschen Gesetzgeber durch den verpflichtenden Sprachtest verletzt wurde. Nach Angaben des Anwalts ist bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, zudem sei am Gerichtshof ein weiterer Fall anhängig, der den Verstoß gegen diese Richtlinie rüge.