Leichtlebiger Sirtaki-Rentner und kaltherziger Paragrafen-Teutone: Nationale Stereotype scheinen in Zeiten der Euro-Krise auf dem Vormarsch. Bei näherer Betrachtung überrascht der Rückgriff auf solche Darstellungen aber wenig.

Stuttgart - Fotomontagen und Karikaturen, die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel oder ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) mit Hitlerbärtchen oder Hakenkreuz-Armbinde zeigen, sind seit Ausbruch der Euro-Schuldenkrise in Europa keine Seltenheit mehr. Im Internet, auf Plakaten und in Zeitungen kursieren antideutsche Stereotype – etwa Schäuble als KZ-Aufseher oder Merkel in Wehrmachtsuniform.

 

Die Botschaft ist klar: Die Rolle Deutschlands in der Euro-Krise soll mit der Unterwerfung Europas durch die Nationalsozialisten gleichgesetzt werden. Immer wieder geschieht das in der griechischen Tagespresse. Die Zeitung „Demokratia“ titelte beispielsweise diese Woche: „Griechenland in Auschwitz“. Auf der ersten Seite der Tageszeitung „Avgi“ war zu lesen: „Deutschland zerstört wieder Europa“. Und im sozialen Netzwerk Twitter kursierten Boykott-Aufrufe gegen Deutschland wegen der jüngsten Brüsseler Beschlüsse.

Effektvolle Bilder

Der Griff in die Klischee-Kiste ist nach Ansicht des Hamburger Europa- und Gesellschaftsforschers Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen ein gängiges Mittel, um komplizierte Sachverhalte darzustellen. Die Versuchung, bei der Beschreibung der heutigen deutschen Rolle in Europa auf die Nazi-Zeit zurückzugreifen, sei groß. „Solche Bilder sind effektvoll, wenn sie auch die heutige Wirklichkeit nicht wiedergeben“, sagt Reinhardt.

Das „Feindbild des herrschsüchtigen Deutschen“ sei in Europa noch in guter Erinnerung. Es sei deshalb viel einfacher, dieses Bild wiederzubeleben, als sich beispielsweise mit dem kleinen, als meist neutral bekannten Finnland zu beschäftigen, das sich immerhin für einen noch strengeren Sparkurs in der Schuldenkrise ausgesprochen hat.

Reinhardt betont, Vorurteile seien „eingängig und leicht verständlich. Bei Argumenten muss hingegen differenziert werden“. Gerade bei einem komplexen Thema wie der Griechenland-Krise sei eine klare Einordnung schwierig, „da ersetzt leider das Klischee oftmals die komplizierte Materie“. Das gelte im Übrigen ebenso für deutsche Medien, die sich während der Krise manches Griechen-Klischees bedienen.

Deutschland steckt im Dilemma

Gleichzeitig beobachtet der Wissenschaftler, dass Stereotype und Pauschalisierungen oft auch als solche wahrgenommen und entlarvt werden. „Ich bin sicher, nicht alle Griechen halten uns für Nazis, und ich glaube auch nicht, dass alle Deutsche glauben, dass die Griechen faul und korrupt sind“, sagt Reinhardt. Der Austausch und die Freundschaft zwischen Griechen und Deutschen sei „zu eng, als dass die Bürger diese Vorurteile tatsächlich als die Wirklichkeit begreifen würden“.

Die Bundesrepublik sieht Reinhardt dennoch in einer schwierigen Lage. Die Deutschen seien in den vergangenen Jahren immer wieder „mit erhobenem Zeigefinger gegenüber anderen Euro-Krisenstaaten“ aufgetreten. Dass dies nicht überall gut aufgenommen wurde, sei verständlich.

Gleichzeitig steckt die Bundesrepublik in einem Dilemma: „Wenn Deutschland in Europa den Ton angibt, wird ihm Dominanz vorgeworfen. Wenn sich die deutsche Politik hingegen zu sehr zurückhält, gibt es den Vorwurf der Führungsschwäche. Deutschland kann es nie allen recht machen“, resümiert Reinhardt. An diese wiedersprüchliche Kritik müssen sich die Deutschen allerdings gewöhnen, denn, so Reinhardts Fazit: „Die meisten mächtigen Länder polarisieren auf diese Weise. Man liebt oder man hasst sie. Eine gleichgültige Haltung ist dagegen eher selten.“