Welch ein denkwürdiges Spiel an der Anfield Road! Lange Zeit sieht der BVB wie der sichere Sieger aus, ehe Liverpool mit einer Aufholjagd noch zurückkommt. Klopp feiert seinen größten Sieg mit Liverpool.

Liverpool - Jürgen Klopp klatschte seine Helden von der Anfield Road ab, die Liverpooler Fans sangen inbrünstig die Kult-Hymne „You’ll never walk alone“. Die Spieler von Borussia Dortmund standen dagegen wie bedröppelt auf dem Rasen und konnten es kaum fassen. In einer denkwürdigen Nacht ist der BVB vom FC Liverpool und Ex-Trainer Klopp aus allen Träumen gerissen worden. Trotz einer 2:0- und 3:1-Führung kassierte die Elf von Trainer Thomas Tuchel am Donnerstag noch eine 3:4 (2:0)-Niederlage bei den Reds und verpasste damit das Halbfinale der Europa League. Klopp darf dagegen weiter auf seinen ersten Titelgewinn mit dem englischen Traditionsverein in seiner Premieren-Saison hoffen.

 

Henrich Mchitarjan (5.), Pierre-Emerick Aubameyang (9.) und Marco Reus (57.) hatten vor 45 000 Zuschauern den BVB bereits mit 2:0 und 3:1 in Führung gebracht, doch Liverpool drehte durch Divock Origi (48.), Coutinho (66.), Mamadou Sakho (78.) und Dejan Lovren (90.+1) ein völlig verrücktes Spiel. Damit kassierte der BVB im 19. Pflichtspiel im Jahr 2016 die erste Niederlage. Zugleich bleiben deutsche Mannschaften an der Merseyside weiter ohne Sieg. Wer im Halbfinale (28. April und 5. Mai) Gegner von Liverpool ist, entscheidet sich am Freitag (12 Uhr) bei der Auslosung in Nyon.

Tuchels Taktik war zunächst voll aufgegangen

„Borussia Dortmund kann überall auf der Welt zwei Tore schießen“, hatte Klopp noch vor dem emotionalen Duell mit seiner „alten Liebe“ gewarnt. Dass er bereits nach neun Minuten auf schmerzliche Weise bestätigt wird, hätte der Coach aber wohl kaum für möglich gehalten.

Doch sein Ex-Club übernahm von Beginn an die Initiative, kombinierte schnell und mit hoher Präzision nach vorne. Die Belohnung folgte schon in der fünften Minute: Nach einem Liverpooler Ballverlust ging es ganz schnell. Über Shinji Kagawa und Gonzalo Castro gelangte der Ball zu Aubameyang, der aus kurzer Entfernung an Keeper Simon Mignolet scheiterte, den Abpraller drückte aber Mchitarjan über die Linie.

Und es ging weiter nur in eine Richtung, Liverpool wirkte in der Anfangsphase geradezu geschockt. Das nutzte der BVB eiskalt aus. Nach einer starken Balleroberung ließ Reus mehrere Liverpooler Spieler stehen und setzte mit einem Traumpass Aubameyang in Szene, der aus halbrechter Position zum 2:0 traf. Klopp registrierte den Nackenschlag mit versteinerter Miene, während neben ihm Tuchel Luftsprünge fabrizierte. Beide Trainer mussten sich eine Coaching-Zone teilen.

Tuchels Taktik mit einer offensiven Ausrichtung war voll aufgegangen. Nachdem er seine Stars beim Revierderby noch geschont hatte, veränderte er seine Elf auf acht Positionen. Mit Kagawa und Castro wählte er die offensivere Variante, für den nach einer Fußprellung genesenen Ilkay Gündogan reichte es wie auf Schalke (2:2) zunächst nur für die Bank.

Es entwickelte sich eine irre Schlussphase

Die Reds gaben sich nach der Horror-Viertelstunde aber keineswegs auf und meldeten sich zurück. Im Abschluss haperte es jedoch. Divock Origi (17. und 25.) sowie Alberto Moreno mit einem Volleyschuss (18.) und der Ex-Hoffenheimer Roberto Firmino per Kopf (27.) vergaben gute Chancen.

Es entwickelte sich ein hochklassiges Spiel mit packenden Szenen und vielen Torchancen. Auch die Dortmunder blieben bei ihren Kontern stets gefährlich, allein Aubameyang hatten noch im ersten Durchgang drei große Chancen (26., 31. und 36.).

Schon Minuten vor dem Wiederanpfiff zur zweiten Halbzeit schickte Klopp seine Mannschaft zurück aufs Feld. Und seine Spieler waren gleich hellwach. Nach Zuspiel von Emre Can war Origi frei durch und sorgte für den so dringend benötigten Anschlusstreffer. Doch die Hoffnung währte keine zehn Minuten. Mats Hummels bediente mit einem genialen Pass Reus, der den Zwei-Tore-Abstand wiederherstellte. Liverpool gab sich aber auch da nicht geschlagen und machte es dank der Treffer von Coutinho und Sakho wieder spannend. Es entwickelte sich eine irre Schlussphase, in der Lovren in der Nachspielzeit das goldene Tor glückte.

Bevor der Showdown begonnen hatte, war es in Anfield aber ganz still geworden. Vor der Partie gab es eine Schweigeminute für die 96 Opfer der Hillsborough-Tragödie in Sheffield, die sich am Freitag zum 27. Mal jährt.