Die Evakuierungszone um den Reaktor in Neckarwestheim soll deutlich wachsen. Wenn das so eintritt, befinden sich Kommunen wie Ludwigsburg, Bietigheim-Bissingen oder Marbach künftig in der Evakuierungszone – und das hat Folgen.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Es ist nicht leicht, bei diesem Thema an exakte Informationen zu gelangen. Was die Ausweitung der Evakuierungszone um das Atomkraftwerk Neckarwestheim für die Region bedeutet? Das Regierungspräsidium (RP) verweist auf das Landesinnenministerium. Das Innenministerium verweist auf das RP. Das Landratsamt gibt keine Auskunft. Das Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit will sich zu Details nicht äußern und erklärt: „Kernkraftwerke dürfen nach deutscher Rechtslage nur betrieben werden, wenn Schäden durch ionisierende Strahlung praktisch auszuschließen sind.“

 

Immerhin räumt die Behörde in Berlin ein, dass es Notfallschutzmaßnahmen gibt und dass diese derzeit, in Reaktion auf das Reaktorunglück in Fukushima, auf dem Prüfstand stehen. Einige politische Ebenen tiefer erklärt ein Bürgermeister im Kreis Ludwigsburg offenherzig, sich bislang nie mit Katastrophenschutz befasst zu haben. „Wir haben eigentlich keine Sorge, dass etwas Schlimmes passiert.“

Der Radius der Zone soll auf 20 Kilometer ausgedehnt werden

Weil Hoffnung nicht immer ausreicht, hat die Strahlenschutzkommission des Bundes unlängst vorgeschlagen hat, die Evakuierungszonen rund um Atomkraftwerke auf einen Radius von 20 Kilometer auszudehnen – das wird zwar in Berlin nicht offiziell bestätigt, ist aber längst durchgesickert.

Bislang gilt für das Gemeinschaftskernkraftwerk Neckarwestheim (GKN) folgende Regelung: in einem Radius von zwei Kilometern um die Anlage befindet sich die sogenannte Zentralzone, die Evakuierungszone umfasst einen Radius von acht bis zehn Kilometern, die Außenzone 25 Kilometer. In jedem dieser Kreise gelten Auflagen: so werden beispielsweise in der Evakuierungszone Jodtabletten an die Haushalte verteilt und in der Außenzone nur in den Bürgermeisterämtern eingelagert.

Die Innenministerkonferenz (IMK) berät im Dezember über den Vorschlag der Kommission, wird dann aber wohl noch keinen Beschluss fassen. „Und wir werden definitiv keinen Alleingang machen“, sagt ein Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums. Erst wenn die IMK ihre Entscheidung gefällt habe, werde man diese zügig umsetzen.

Die Katastrophenschutzpläne müssen überarbeitet werden

Wächst der Radius wie vorgeschlagen auf 20 Kilometer, befinden sich Kommunen wie Ludwigsburg, Bietigheim-Bissingen oder Marbach künftig in der Evakuierungszone – und das hat Folgen. Alle Evakuierungspläne müssen überarbeitet werden, wobei jede Kommune in der Zone eine andere Kommune außerhalb zugewiesen bekommt. Aktuell würde im Notfall beispielsweise die Bevölkerung von Kirchheim in Böblingen aufgenommen oder jene von Gemmrigheim in Nürtingen. Die Städte und Gemeinden müssen überdies im Ernstfall den Transport aller Menschen organisieren, die sich nicht selbst in Sicherheit bringen können, etwa Krankenhauspatienten oder Bewohner von Altenheimen. Standorte für Sammelstellen und Stationen zur Dekontamination müssen gefunden, eventuell weitere Strahlenspürtrupps aufgebaut werden.

Die Liste ist lang, aber für Atomkraftgegner nur ein Placebo. „Hier wird der Bevölkerung Sicherheit vorgespielt“, sagt Wolfram Scheffbuch vom Bund der Bürgerinitiativen mittlerer Neckar. „Japan konnte Fukushima nicht bewältigen, ebenso wenig könnte Deutschland Neckarwestheim bewältigen.“ Zumal eine kreisförmige Zone ein Witz sei, weil die atomare Verseuchung je nach Windrichtung und -stärke mehrere Hundert Kilometer weit reiche.

Zuletzt kam es zu mehreren kleineren Unfällen im Atomreaktor

Um dies zu verdeutlichen, haben Aktivisten am Samstag Tausende gelbe Luftballons an AKW-Standorten in Deutschland aufsteigen lassen, auch in Neckarwestheim. Die Ballons sollen eine Strahlenwolke symbolisieren, und die Organisatoren werten aus, wo sie wieder runter kommen – ein Ballon hat es vom GKN bis ins Elsass geschafft. Auch das beweise, dass ein 20-Kilometer-Radius völlig unzureichend sei, sagt Herbert Würth vom Aktionsbündnis Castor-Widerstand. Würth fordert, dass im Umfeld von Atomreaktoren mindestens einmal auch größere Städte wie Ludwigsburg komplett evakuiert werden – zu Übungszwecken. „Wenn so etwas nie gemacht wird, droht im Ernstfall Chaos.“

Der Grünen-Landtagsabgeordnete Daniel Renkonen drückt seine Skepsis gegenüber den Plänen diplomatisch aus. Natürlich sei dies unter Umständen ein Tropfen auf den heißen Stein. „Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, dass mehr Menschen zusätzlichen Schutz erhalten sollen.“ Renkonen plädiert dafür, auch Stuttgart in die neue Evakuierungszone aufzunehmen.

Wichtiger sei jedoch, die Katastrophe zu verhindern. Nachdem zuletzt bei Arbeiten am Druckluftbehälter in Neckarwestheim mehrfach erhöhte Mengen an Radioaktivität frei geworden waren, appelliert Renkonen an den Betreiber des Kraftwerks, die EnBW. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums waren die leicht erhöhten Werte unbedenklich. „Panikmache wäre daher völlig fehl am Platz“, sagt Renkonen. „Aber auch eine Verkettung kleinerer Störfälle muss Konsequenzen nach sich ziehen.“ Die EnBW müsse ihre internen Kontrollmechanismen überprüfen. „Diese Fehler müssen abgestellt werden.“