Der Bienenfresser ist mit den Spechten verwandt, der Falke mehr mit den Sperlingen als mit dem Adler. 200 Wissenschaftler aus zwanzig Ländern haben in aufwendigen Analysen und Berechnungen den Stammbaum der Vögel neu gezeichnet.

Stuttgart - A

 

ls vor 66 Millionen Jahren mit einem Donnerschlag nicht nur die Dinosaurier, sondern sehr viele weitere Arten in einem gigantischen Massensterben ausgelöscht wurden, nutzten die wenigen Überlebenden ihre Chance: Vor allem Säugetiere und Vögel besetzten den Freiraum, den das Verschwinden der Großen hinterlassen hatte. Zumindest legen theoretische Überlegungen eine solche Entwicklung nahe, handfeste Beweise fehlten bisher aber. Ein wichtiges Indiz haben jetzt rund 200 Wissenschaftler aus zwanzig Ländern gefunden, als sie das Erbgut von 45 Vogelarten analysierten und in 23 Artikeln in verschiedenen Fachzeitschriften wie „Science“ und „Genome Biology“ miteinander verglichen: Das Massensterben war demnach eine Art Urknall für die wenigen Überlebenden, die in nicht einmal 15 Millionen Jahren alle Weichen hin zur Vielfalt von mehr als zehntausend heute lebenden Vogelarten gestellt hatten.

Frühere Analysen berücksichtigten dagegen nur einen Bruchteil des Vogel-Erbguts und legten einen deutlich älteren Ursprung der heutigen Vogelvielfalt bereits zu Zeiten der Dinos nahe. „Das aber passte schlecht zu den Fossilfunden, mit denen die neue Analyse besser übereinstimmt“, meint der Spezialist für die Evolution der Vögel Gerald Mayr vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main. Diesmal hatten die Forscher, die von Guojie Zhang von der Nationalen Genbank Chinas, Thomas Gilbert vom dänischen Naturhistorischen Museum und Erich Jarvis von der Duke University, USA, koordiniert wurden, nahezu das gesamte Genom der Arten miteinander verglichen.

Aufwendige Berechnungen

Auch wenn das Erbgut eines Vogels normalerweise rund 70 Prozent kürzer als bei einem Säugetier ist, waren die nötigen Vergleiche der Erbgut-Analysen eine wahre Sisyphos-Arbeit. Alexandros Stamatakis vom Heidelberger Institut für Theoretische Studien und vom Karlsruher Institut für Technologie und sein Mitarbeiter André Aberer verteilten die Rechenarbeit auf 4000 parallel arbeitende Prozessoren und hatten so nach einem Monat das Ergebnis.

Dieser neue Stammbaum unterscheidet sich nicht allzu sehr von den bisherigen Ergebnissen, entscheidet aber einige bisher vorhandene Streitfälle. So wissen die Forscher schon lange, dass die Laufvögel, zu denen zum Beispiel die afrikanischen Strauße gehören, und die Steißhühner Südamerikas schon sehr lange eigene Wege in der Evolution gehen. Neben dieser Unterklasse der Urkiefervögel gibt es nur noch die Neukiefervögel, zu denen die weit überwiegende Zahl aller Vogelarten gehört. Sehr urtümlich bei diesen wiederum sind Hühnervögel, Gänse und Enten.

Von den restlichen Neukiefervögeln spaltete sich wohl sehr rasch eine bisher unbekannte Gruppe ab, die Siavash Mirarab von der University of Texas in Austin und Tandy Warnow von der University of Illinois in Urbana-Champaign als Columbea zusammenfassen. Zu ihr gehören so unterschiedliche Arten wie Lappentaucher, Flamingos und Tauben.

Der Falke ist mehr Sperling als Adler

Außer dieser neuen Gruppe liefert die aufwendige Analyse bei den Neukiefervögeln aber keine großen Überraschungen mehr. Wie schon länger angenommen wird, gingen danach die Kuckucke eigene Wege. Ihnen folgten Segler und Kolibris, sowie später die Kraniche. Anschließend kommt im Stammbaum ein großer Ast, der sich rasch in die Zweige der Tropikvögel, Seetaucher, Pinguine und einer weiteren Gruppe mit Pelikanen, Reihern und Kormoranen aufteilt. Danach wächst aus dem Stammbaum ein weiterer kurzer Trieb, der sich schon bald in drei Gruppen mit Neuwelt-Geiern und anderen Greifvögeln, Eulen, sowie den Spechten, Bienenfressern und Nashornvögeln aufteilt. Ganz am Ende kommt dann noch der Ast der Falken, sowie die Papageien und ein großer Rest mit allen Sperlingsvögeln, die mehr als die Hälfte aller Vögel stellen.

Ein genauer Blick auf diesen Stammbaum zeigt den Forschern, dass einige grundlegende Erfindungen in der Vogelwelt mehrere Male gelangen. So lernten wohl mindestens zwei Gruppen unabhängig voneinander Melodien zu singen und die Töne auch zu neuen Liedern zu komponieren. Für die Vögel scheinen die Gesänge sehr wichtig zu sein, immerhin sind bis zu zehn Prozent des Erbguts dafür zuständig. Die meisten dieser Gene steuern die Verbindung zwischen verschiedenen Nerven im Gehirn. Mehrmals erfunden hat die Natur auch die Füße mit Schwimmhäuten.

Die Zähne gingen verloren

Allerdings haben die Vögel nicht nur neue Eigenschaften entwickelt, sondern auch etliche Merkmale verloren, die andere Gruppen wie die Säugetiere behalten haben. So verschwinden zum Beispiel die Erbeigenschaften für Zahnschmelz und Zahnbein bereits vor rund 116 Millionen Jahren. Seit dieser Zeit verzichtet das Federvieh anscheinend auf Zähne und verlässt sich auf seine Schnäbel.

Sehr früh in ihrer Entwicklung haben die Vögel anscheinend auch einige hundert Erbeigenschaften verloren, die bei den Säugetieren wichtige Funktionen haben. Dazu gehören Gene, die für den Aufbau so verschiedener Organe wie Knochen und Lungen zuständig sind. Dieser Verlust aber hat den Vögeln unter Umständen geholfen, Knochen in Leichtbauweise zu entwickeln, mit denen das Fliegen erheblich leichter fällt. Auch die Vogellunge unterscheidet sich sehr stark von der eines Menschen.

Auch bei den Geschlechtschromosomen gibt es grundlegende Unterschiede zwischen Vögeln und Säugetieren. Die Weibchen des Federviehs haben im Gegensatz zu den Männchen ein „W-Chromosom“, während bei den Säugetieren der kleine Unterschied von einem Y-Chromosom herrührt, das nur die Männchen haben. Dieses ist allerdings ziemlich verkümmert, die meisten Erbeigenschaften darauf funktionieren längst nicht mehr. Nur einige wenige Gene machen den Mann zum Mann. Ganz anders bei vielen Vögeln. Bei ihnen enthält das W-Chromosom der Weibchen viel mehr aktive Erbeigenschaften, als zum Eierlegen benötigt werden. Auf den kleinen Unterschied legen die Vogelweibchen anscheinend mehr Wert als die Herren der Schöpfung bei den Säugetieren.

Sisyphos-Arbeit im Erbgut

Vogelstammbaum
Bisher hatten Forscher in aller Welt gerade einmal zehn bis zwanzig Erbeigenschaften verschiedener Vögel miteinander verglichen. Nur von den Haushühnern, Truthähnen und Zebrafinken war das gesamte Erbgut analysiert, das jeweils rund 14 000 Erbeigenschaften hat. Nun haben 200 Forscher aus 20 Ländern das Erbgut von 45 weiteren Vogelarten von Krähen, Enten und Tauben bis zu Spechten, Adlern und Straußen untersucht.

Neoaves
Diese Untersuchung bestätigte Annahmen, nach denen zum Beispiel die Straußenvögel bereits sehr früh eigene Wege einschlugen. Danach begann bald auch eine eigenständige Entwicklung von Enten und Hühnervögeln. Den gesamten Rest der Vogelwelt ordnen die Forscher einer riesigen Gruppe namens Neoaves zu, die in mindestens sechs großen Ästen so unterschiedliche Arten wie Sperlinge, Eulen, Reiher, Kuckucke und Flamingos umfasst.

Krokodile
Neben Vögeln haben die Forscher mit dem Erbgut von Mississippi-Alligator, Leisten-Krokodil und Gangesgavial auch drei Reptilien untersucht, die zu den nächsten noch lebenden Verwandten der heutigen Vögel gehören. Diese Arten führen demnach nicht nur ein viel gemächlicheres Leben als die meist sehr lebhaften Vögel. Auch die Entwicklung ihres Erbguts ist langsamer, und damit das Tempo der Evolution bei den Krokodilen.