Weil seine Schwägerin 2014 in den Gemeinderat gewählt wurde, durfte Norbert Wiedmann diesem als naher Verwandter nicht mehr angehören. Dagegen klagt er nun. Der Haken: das entsprechende Gesetz wurde 2015 geändert, aber nicht rückwirkend.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Alfdorf - Norbert Wiedmann ist im Regierungsbezirk Stuttgart der letzte, der wegen der alten Fassung des Paragrafen 29 der Gemeindeordnung Klage erhebt. Nach diesem durften in Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern keine Verwandten bis zum zweiten Grad gleichzeitig dem Gemeinderat angehören, egal, in welcher Fraktion. Durften, denn im Dezember 2015 wurde das Gesetz geändert – mit Wirkung aber erst von 2019 an, also zur nächsten Kommunalwahl.

 

Norbert Wiedmann trat 2014 in Alfdorf für die Freien Wähler an, seine Schwägerin für die CDU. Er bekam 1702 Stimmen, sie 1776. Nach dem bis Dezember 2015 geltenden Recht kam Birgit Wiedmann in den Gemeinderat, weil sie mehr Stimmen hatte. Ihr Schwager Norbert Wiedmann, seit nahezu 30 Jahren im Gremium, durfte daher nicht. Dennoch stimmte der alte Gemeinderat zwei Mal gegen den Ausschluss Wiedmanns, also gegen damals geltendes Recht.

Richter: „Ein Husarenstück des Gemeinderates“

Seit Mittwoch wird die Sache vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht verhandelt. „Das war ein Husarenstück des Gemeinderates“, nannte der Berichterstatter der 7. Kammer das Verhalten des Gremiums. Davor hatten sich die Mitglieder der Kammer um die Vorsitzende Richterin Sylvia Thoren-Proske bereits die Köpfe über dem Fall zerbrochen, da dieser komplizierter ist, als der Laie denken mag. Denn Eva Gölz, Anwältin Wiedmanns und frühere Freie-Wähler-Gemeinderätin in Alfdorf, argumentiert, der Paragraf 29 der Gemeindeordnung sei zum Zeitpunkt der Wahl 2014 verfassungswidrig gewesen. Zur Begründung zog sie eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1996 heran. Darin entschied dieses, dass der Ausschluss von geschiedenen Eheleuten aus einem Gemeinderat verfassungswidrig ist.

Darüber könne das Verwaltungsgericht so nicht entscheiden, sagte die Vorsitzende Richterin, da es sich um Verfassungsrecht handle. „Wir müssten den Antrag zuerst dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.“ Der Haken an der Sache sei, dass das Land mittlerweile gehandelt und den Paragrafen 29 der Gemeindeordnung geändert habe. „Die Frage wird deshalb wahrscheinlich nicht die höchste Priorität beim Bundesverfassungsgericht haben. Der Grund für die Klage ist ja mittlerweile nicht mehr vorhanden.“ Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts würde die Angelegenheit dann wieder beim Verwaltungsgericht Stuttgart landen, erläuterte die Richterin den Ablauf.

Der Kläger will eine Entscheidung des Gerichts

Der Gesetzgeber habe in der Änderung des Gesetzes vom Dezember 2015 zudem ausdrücklich verfügt, dass diese keine rückwirkende Gültigkeit habe. Das Verwaltungsgericht könne also nicht „contra legem“ gegen das damals geltende Recht urteilen. Genauso wenig, wie die Alfdorfer Gemeindeverwaltung und anschließend das Landratsamt in Waiblingen als Aufsichtsbehörde die beiden Beschlüsse des Gemeinderates akzeptieren durften. Denn jene „Husarenstücke“ erfolgten gegen das geltende Recht.

Entscheidet das Gericht ohne Umweg über Karlsruhe nach der damaligen Rechtslage, kommt es mit Sicherheit zum selben Ergebnis. Da es sich um ein auslaufendes Gesetz handelt, komme eine nach dem Verwaltungsrecht notwendige Begründung für eine Berufung allein aus der Dauer solcher Prozesse kaum in Frage.

Norbert Wiedmann hat sich nach einer kurzen Beratung mit seiner Anwältin doch für eine Entscheidung des Gerichts entschlossen. „Wir nehmen, was da kommt“, sagte Eva Gölz. Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts wird sein Urteil den Parteien schriftlich zukommen lassen.

„Diese willkürliche Grenze von 10 000 Einwohnern ist einfach nicht nachvollziehbar“, sagt Norbert Wiedmann. „Das benachbarte Lorch hat nur wenig mehr als 10 000 Einwohner und dort sitzen Vater und Sohn im Gemeinderat.“ Er habe sich nach der Wahl an mehrere Landtagsabgeordnete gewendet, allem Anschein nach mit Erfolg, denn ein Jahr nach der Kommunalwahl trat die Gesetzesänderung in Kraft. „Sie haben sich praktisch selbst abgeschafft“, meinte seine Anwältin, was Wiedmann mit Humor zur Kenntnis nahm. Rückhalt habe er durchaus von seinen Wählern bekommen. „Da habe ich viel positives Feedback bekommen“, sagt Wiedmann. Es habe auch seinen Grund gehabt, warum der Gemeinderat zwei Mal für seinen Verbleib im Gremium votiert habe.

Regelung sollte Vetternwirtschaft verhindern

Die Regelung der Gemeindeordnung, nahe Verwandte in Orten unter 10 000 Einwohnern nicht zusammen im Gemeinderat zu dulden, hatte das Ziel, möglicher Vetternwirtschaft einen Riegel vorzuschieben. „Es sollte nicht der Fall eintreten, dass eine Familie den Gemeinderat dominiert“, erklärte die Vorsitzende Richterin. Diese Regelung habe in Baden-Württemberg eine Art von Rechtstradition gehabt, wie das Bundesverfassungsgericht 1996 feststellte. Mittlerweile gilt sie aber als nicht mehr zeitgemäß.