Der türkische Präsident Erdogan will die deutsche Meinungsfreiheit beschneiden, weil ihm ein Satirevideo von extra 3 nicht gefällt. Eine groteske Idee, kommentiert StZ-Redakteur Knut Krohn.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Satire kann wehtun. Sie ist bisweilen böse, übertreibt oft, spitzt zu und verzerrt die charakteristischen Züge der Personen. Gute Satire kann eine aufklärerische Funktion haben, sie kann dem Betrachter die Augen öffnen, denn sie zeigt die Wirklichkeit, wie sie tatsächlich ist. Satire ist aber noch mehr, sie ist auch ein Test für die Humor- und Ironiekompetenz der Beschriebenen. Dass der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf diesem Feld sehr wenig Spaß versteht, hat er im eigenen Land bereits des Öfteren bewiesen. Kaum ein Karikaturist in der Türkei ist vor seinem Zorn sicher.

 

Dass der Staatschef seine vermeintlichen Feinde sogar im Ausland verfolgt, ist allerdings ungewöhnlich. Nun aber hat das türkische Außenministerium den deutschen Botschafter wegen eines NDR-Satirebeitrags über den Präsidenten einbestellt. Aus Diplomatenkreisen heißt es, die türkische Seite habe sogar verlangt, die Sendung zu löschen. Dieser Vorgang lässt tief blicken und sagt sehr viel über Erdogan, sein überbordendes Selbstbewusstsein und auch sein Demokratieverständnis aus. Allerdings müssen auch Deutschland und der Rest Europas mächtig ins Grübeln kommen. In diesem Sinne hat die Satire ihre Wirkung bereits entfaltet.

Bei Lichte betrachtet spielt sich ein ziemlich grotesker Vorgang ab: der nicht gerade zuschauerstarke NDR sendet zur nicht gerade besten Sendezeit ein kurzes Spottliedchen mit dem Titel „Erdowi, Erdowo, Erdogan“, das nicht einmal besonders witzig ist. Der Rest der Welt hätte davon keine Notiz genommen, würde der türkische Präsident den Fall nicht zur Staatsaffäre aufblasen. Deutlich wird, wie dünnhäutig Erdogan ist und wie stark seine Maßstäbe verrutscht sind. Überall wittert er Intrigen, Verschwörungen und versteht jede Art von Kritik als Angriff auf seine Person. Zuletzt brachte er nicht nur Journalisten und Blogger vor Gericht, sondern auch einfache Bürger, darunter Jugendliche, die sich wegen „Präsidentenbeleidigung“ verantworten müssen. Recep Tayyip Erdogan, einst angetreten, um die verkrusteten Strukturen des Staates mit demokratischen Mitteln zu zerbrechen, offenbart inzwischen erschreckend despotische Züge. Er benutzt scheindemokratische Manöver als Deckmantel, unter dem er rücksichtslos die eigene Macht zementiert.

Erdogan glaubt, Europa in der Hand zu haben

Im aktuellen Fall des NDR wird Erdogan allerdings erkennen müssen, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland nicht durch rasende Machtpolitiker beschnitten werden. Das ist, gelinde gesagt, eine reichlich absurde und lächerliche Vorstellung. Dennoch ist der Vorfall keine Lappalie. Beachtlich ist, dass der türkische Präsident sich auf diese rüde Weise in die deutsche Medienlandschaft einmischt – und versucht, die Regierung in Berlin zur Erfüllungsgehilfin Ankaras herabzuwürdigen.

Erdogan tut das, weil er glaubt, Europa in der Hand zu haben. Sein Pfand sind Hunderttausende von Flüchtlingen, die in der Türkei Schutz vor dem Bürgerkrieg in Syrien suchen. Die EU ist darauf angewiesen, dass Ankara diese Massen zurückhält, da Brüssel kein funktionierendes Konzept zur Lösung dieser Krise hat. Aus diesem Grund schweigt Europa: wenn türkische Kampfjets kurdische Dörfer angreifen und Tausende Zivilisten töten, wenn wieder einmal Journalisten ins Gefängnis geworfen werden, wenn der Staat ausgehöhlt und die Gewaltenteilung ausgehebelt wird.

Es ist an der Zeit, dass Europa Erdogan entschieden entgegentritt und deutlich macht, dass in Europa nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts gilt. Vielleicht können die Politiker dazu von den Journalisten des NDR lernen. Die haben den Staatschef mit ihren eigenen Mitteln geschlagen: sie haben Erdogan angesichts des unverhofften Werbeauftritts zum Mitarbeiter des Monats ernannt. Das ist Satire in seiner schönsten Form.