In den Schwimmbädern der Region Stuttgart herrscht akuter Fachkäftemangel. Warum will kaum noch jemand Bademeister werden?

Region: Verena Mayer (ena)

Stuttgart - Und dann noch der Wasserball. Erst die Jungs, die Tauchringe wollen, obwohl alle im Einsatz sind. Dann der Mann, der irgendwo hier im Hallenbad den Schlüssel für seinen Spind in der Umkleidekabine verloren hat. Und schließlich noch der Wasserball. „Haben Sie ein Pflaster?“, fragt ein Bub und hält Vilja Souvard seinen schlaffen Ball vor die Nase. Er hat ein Loch, das Pflaster soll sein Leben retten, erklärt der Bub. „Das hat doch keinen Wert“, sagt Vilja Souvard. Aber man könne es doch mal versuchen, oder? – Nein, könne man nicht. Der Bub und seine beiden Mitspieler trotten davon. Klarer Fall: mit dieser Frau können sie nicht verhandeln.

 

Vilja Souvard sitzt auf der Tribüne am Beckenrand des Heslacher Hallenbads. Blaue Sporthose, weißes T-Shirt, rote Flipflops. Ihr Blick ist überall. Bei der Frau, die seit einer halben Ewigkeit durch Bahn eins des großen Beckens krault, und dem Herrn, der im tiefen Becken Gewichte stemmt. Ihren Augen entgeht nicht das kleine Mädchen mit den blauer werdenden Lippen. Und da drüben, da springt doch tatsächlich einer vom Beckenrand ins Wasser! Hallo, wozu ist wohl das rote Absperrband da? Und die Flusen auf dem Boden. Wo kommen die denn jetzt schon wieder her? Vilja Souvard erhebt sich, marschiert zum Schlauch und spritzt den Boden sauber.

Sechs Stunden noch bis zum Schichtende um 22.30 Uhr. Was muss passieren, damit Vilja Souvard zufrieden heimgeht? Antwort: Nix!

Wenn Vilja Souvard nach ihrem Beruf gefragt wird, sagt sie: „Ich bin Bademeister.“ Dann lacht sie. Sie weiß, dass jeder, der in dieser Branche etwas zu melden hat, einen Föhn kriegt, wenn er dieses Wort hört: Bademeister! So hießen die Kerle, die anno dazumal Not leidende Schwimmer in See- oder Freibädern retteten. Im Jargon, in albernen Filmen („Die Bademeister – Weiber, saufen, Leben retten“) und steinalten Kinderreimen („Bademeister Scheibenkleister“) lebt die Bezeichnung tapfer weiter. Doch im korrekten Berufsleben hat dieser Job längst einen anderen Namen: Der Bademeister heißt Fachangestellter für Bäderbetriebe und ist ein ordentlicher Ausbildungsberuf. Noch blöder als die tradierte Bezeichnung ist jedoch: der Beruf ist so wenig begehrt, dass die, die in der Branche etwas zu melden haben, sehr besorgt sind.

Schwäbischer Warmbadetag

In Heslach ist an diesem Freitag schwäbischer Warmbadetag – das heißt: der Aufpreis von 60 Cent ist nicht mehr fällig, aber das Wasser vom offiziellen Warmbadetag am Donnerstag noch gut aufgeheizt. Konkret bedeutet das: Im Becken beträgt die Temperatur 30 Grad, außerhalb 32. Auf der Stirn von Vilja Souvard sitzt nicht eine Schweißperle. „Gewöhnungssache“, sagt die Fachangestellte für Bäderbetriebe. Im Vergleich zum Vortag ist das Hallenbad fast leer. An Warmbadetagen verwandeln sich die Sportbahnen regelmäßig in Staubahnen, und das überschaubare Nichtschwimmerbecken gleicht eher einem Steherbecken. Von den 2,7 Quadratmetern Platz, die jedem Badegast im Schnitt zur Verfügung stehen sollen, ist nichts mehr zu sehen. Aufsichtsauge sei wachsam!

Wobei in Heslach zurzeit ohnehin jeder Tag ein Ausnahmetag ist. Seit das Sonnenberger Bad wegen eines üblen Brands im Juli repariert werden muss, ziehen viele Schwimmer vier Kilometer in den Süden der Stadt hinab. Und nicht zu vergessen die vielen Kurse: Babyschwimmen, Seepferdchen, Wassergymnastik und so weiter. „Alles ist machbar, wenn man ein bisschen Rücksicht nimmt“, sagt Vilja Souvard und lässt ihren Blick über eine orangefarbene Lampe an der Wand schweifen. Blinkt sie? Nein. Also kein Notfall in der Sauna. So soll es sein.

Die 52-Jährige arbeitet seit 37 Jahren in ihrem Beruf. „Du schwimmst gern und gut“, sagte sie sich nach dem Schulabschluss – und war fortan noch öfter im Bad zuvor. Wenn Uwe Klatte solche Geschichten hört, wird er ganz wehmütig. Das waren noch Zeiten. Uwe Klatte arbeitet bei den Stuttgarter Bäderbetrieben und ist dort unter anderem für die Ausbildung der Fachangestellten zuständig. Früher hat Klatte seine Zöglinge oft direkt im Schwimmbecken angeworben. Doch wenn er heute junge Vielschwimmer fragt, ob sie ihr Hobby zum Beruf machen wollten, blickt der Ausbilder in der Regel in verständnislose Gesichter.

„Bis vor ein paar Jahren hatten wir noch 100 Bewerber für fünf Ausbildungsplätze“ sagt der Ausbilder Klatte. Heute ist er froh, wenn er seine Plätze für seine drei Mineralbäder, acht Hallenbäder und fünf Freibäder überhaupt besetzt bekommt. Bei der Agentur für Arbeit suchen an die 200 Kommunen Lehrlinge für 2016 und etwa 400 Kommunen suchen ausgebildete Fachkräfte für sofort. Vor dem Hintergrund, dass die    gesamte Berufsgruppe aus gerade mal 26 000 Frauen und Männern besteht, wird deutlich, wie massiv der Fachkräftemangel in der Branche mittlerweile ist. „Man muss immens kämpfen“, sagt Uwe Klatte. Dieses Jahr war er siegreich: Kein Ausbildungsplatz blieb unbesetzt. Doch Klatte weiß, nach dem Kampf ist vor dem Kampf. Voriges Jahr etwa hat er nur drei Lehrlinge gefunden.

Immer kann alles passieren

Auf dem Startblock von Bahn fünf reckt sich ein Mädchen im rosa Badeanzug für seinen großen Sprung. Blick von Vilja Souvard: Ist die Bahn wirklich frei? Durch die Eingangstür humpelt ein Mann mit Rollator und breitem Schwimmgurt. Hat der Herr keine Begleitperson dabei? Und vor der Dusche hüpft ein kleiner Nackedei auf und ab. Der wird ja wohl jetzt nicht auf den Boden pieseln?

Im Prinzip muss man als   Aufpasser in einem Schwimmbad immer mit allem rechnen. Weil immer alles passieren kann.

In Heslach gab’s mal einen, der Spaß daran hatte, ewig auf dem Grund des tiefsten Beckens auszuharren. Dass er das nur zu bestimmten Zeiten machen durfte, interessierte den Apnoetaucher nicht. In Sonnenberg ist vor ein paar Jahren ein Junge vom Fünfer gesprungen und im Kreuz eines Mädchens gelandet, das verbotenerweise unter dem Turm tauchte. Seither ist es querschnittgelähmt. Und im Vaihinger Freibad wurde dieses Jahr ein technikverliebter Typ aus dem Becken gefischt, der unter Wasser Fotos schoss.

Und dann diese ständigen Diskussionen. Nein, es ist nicht Ordnung, in Jeans zu schwimmen. Nein, es nicht erlaubt, zu zweit auf den Sprungturm zu klettern. Nein, es ist nicht in Ordnung, das Personal anzuschreien!

Wohin soll das führen?

Früher, erinnert sich Uwe Klatte, war der Herr Bademeister eine Respektsperson, wie der Herr Bürgermeister und der Herr Pfarrer. Widerworte gab es kaum. Heute kann es vorkommen, dass der Fachangestellte für Bäderbetriebe von renitenten Gästen bedroht oder gar geohrfeigt wird. Hat Klatte alles schon erlebt. Ihn wundert nicht, dass der Beruf immer weniger begehrt wird. „Das will sich doch keiner auf die Schultern packen.“

In Hechingen am Rand der Alb mussten sich die Stadträte 2012 damit befassen, ihr Kombibad zu einem Solobad zu degradieren – weil es am nötigen Fachpersonal fehlte. Rund um Kassel endete die Freibadsaison 2013 bereits wenige Wochen nach dem Start – weil es am nötigen Personal fehlte. Im sächsischen Schöna wurde sie 2014 gar nicht erst eröffnet – weil es am nötigen Personal fehlte. Und beim Landesverband Deutscher Schwimmmeister vergeht schon lange kein Monat mehr, in dem nicht ein Bürgermeister anruft, über fehlendes Personal klagt und um dringende Unterstützung bittet.

Wohin soll das führen? Zu weniger Bädern? Die Zuschussbetriebe sind für viele Kommunen ohnehin ein Klotz am Bein. Schätzungen zufolge sind in den vergangenen sieben Jahren rund 1000 der einst gut 7000 Bäder in Deutschland geschlossen worden. Führt diese Entwicklung zu mehr Nichtschwimmern? Zu einem Verlust der Badekultur? Edgar Koslowski, der Vorsitzende des Landesverbands, hat noch keine Antwort auf diese Fragen. Aber eines weiß er sicher: „Es wird immer schwieriger, ein Schwimmbad zu betreiben. Das ist traurig.“

Organisator, Lebensretter, Vermittler und Animateur

Was Patrick Knee hört, als er die Tür im Keller des Heslacher Bades öffnet, gefällt ihm. Kein Pfeifen, kein Klappern, kein Zischen. Ein Brummen, ein Rauschen, ein Klackern. Die Maschinen in der Technikzentrale atmen gleichmäßig, könnte man als Laie sagen. Der Profi sagt „klingt gut“ und beginnt seinen Kontrollgang. Der Schwallwasserbehälter – schön voll mit dem übergelaufenen Wasser der Becken ein Stockwerk höher. Die Umwälzpumpen – saugen das Schwallwasser vorschriftsmäßig ab. Das Flockungsmittel – läuft, wie es soll und verwandelt Hautfitzelchen, Haare und andere Körperabsonderungen in filterbare Flocken. Die Filter – stehen prima da und schicken sauberes Wasser zurück nach oben, wo Vilja Souvard vorübergehend alleine auf Bad und Gäste aufpassen muss. Ein Blick noch auf die Tafel mit dem pH-Wert und einen auf die Chloranzeige. Alles prima. Patrick Knee – blaue Hose, weißes T-Shirt, barfuß – hatte in der Schule Spaß an Chemie. Laborant wollte er trotzdem nicht werden. Er glaubt, das wäre ihm zu langweilig gewesen. Als er den Fachangestellten für Bäderbetriebe – Kenner sagen: Fäb – entdeckte, war Knee glücklich.

Nun hat der 24-Jährige seine geschätzte Chemie, seinen geliebten Sport und ein bis jetzt erträgliches Maß an alltäglichem Abenteuer. Das Schlimmste, was der junge Fäb bis jetzt erlebt hat, war ein gerissener Schlauch in der Filterrückspülung. Die Anlage stand vorübergehend still. Nichts passiert. Hätte schlimmer laufen können.

„Als Fachangestellter für Bäderbetriebe bist du heute Spezialist! Organisator, Lebensretter, Vermittler, Animateur! Du willst Fitness und Köpfchen einsetzen? Für dich ist Coolness selbstverständlich? Du bist nervenstark und zuverlässig, neugierig und ideenreich? Du bist einfach unverzichtbar!“ So ruft es dem Empfänger der knallbunten Broschüre entgegen, die der Ausbildungsleiter Uwe Klatte gar nicht oft genug an jugendliche Schulabgänger verteilen kann. Das farbenfrohe Heftchen mit dem prägnanten Titel „Bademeister war gestern“ hat der Bundesverband deutscher Schwimmmeister zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen aufgelegt. In der Hoffnung, das Image des Berufs aufhellen zu können und endlich mehr Nachwuchskräfte anzulocken.

Miese Bezahlung

Ganz bestimmt würde es auch helfen, die Fachangestellten besser zu bezahlen, glaubt der Chef der Landes-Schwimmmeister, Edgar Koslowski. Ein Fäb, der auf 30 000 Euro brutto im Jahr kommt, gehört schon zu den Besserverdienern. Und das bei diesen Arbeitszeiten. Werktags bis spätabends, samstags, sonntags, feiertags. Doch wie realistisch ist wohl eine saftige Lohnerhöhung, wenn das öffentliche Geld schon für Kitas, Schulen und vieles andere knapp ist? „Ganz ehrlich: als Fachangestellter für Bäderbetriebe solltest du kein Warmduscher sein!“, stellen die Verfasser der Werbebroschüre sicherheitshalber klar.

Auf Bahn zwei graben sich vier Herren mit schicken Schwimmbrillen rückwärts durch das Wasser. Sehr entspannt sehen sie aus. Im tiefen Bassin halten sich Senioren mit Aqua-Fitness jung – das ist im Wasser nicht so beschwerlich wie an Land. Im Nichtschwimmerbecken schlagen neun Kleinkinder mit aller Kraft auf das Element ein, an das sie sich erst noch gewöhnen müssen. Kommt prima an in der ersten Schwimmkursstunde. Ein Junge weint, weil ihn der Vater aus dem Bad trägt. Ein Mädchen lacht, als es von der kleinen Rutsche am Rand ins Wasser fliegt. An den Fensterscheiben sammelt sich der Wasserdampf.

Alles im grünen Bereich. So soll es bleiben.