In Deutschlands Hauptstadt der Steigungen liegen hippe Velos mit elektrischem Zusatzantrieb im Trend. Und auch wer ohne Motor unterwegs ist, sitzt lieber auf teuren Designmodellen statt auf alten Drahteseln.

Wenn es jetzt allmählich warm wird, dann kann man ihn wieder sehen, den großen Verkehrstrend im Städtle. Waren Radfahrer lange Jahre eine milde belächelte Minderheit oder weggehupte Hindernisse im Autoverkehr, rollen sie heute lächelnd an den Staus vorbei. Das Velo als Bypass im städtischen Verkehrsinfarkt hat zumindest von März bis Oktober Konjunktur. Wer in der Stadt radelt, ist meist schneller, hat so gut wie keine Betriebskosten, und gesünder ist es auch noch. Sagt man zumindest.

 

Das Rad ist schon lange mehr als ein Fortbewegungsmittel für Menschen, denen es finanziell nicht zum Auto reicht oder die in Wollsocken eine Gesinnung spazieren fahren. Der urbane Mensch zeigt sein vitales Lebensgefühl immer öfter im Sattel. Und als kostspieliges Statussymbol taugt das Rad auch. Wenn der Banker morgens zu seinem Arbeitsplatz radelt, bewegt er nicht selten ein Velo in der Preisklasse eines Kleinwagens. Waren vor ein paar Jahren Fahrräder im Bereich über 5000 Euro ausschließlich Rennmaschinen mit unter sieben Kilogramm Gewicht, liegen heute auch jede Menge Cityräder in dem Preisbereich.

Unikate aus Bambus, futuristische Designobjekte aus federleichtem Carbon, handgenähte Sättel für 1200 Euro – die Richtung ist klar: mehr Qualität, mehr Design, mehr edle Technik und vor allem mehr E.

In Stuttgart braucht man Stahlwaden oder einen Motor

Der elektrische Rückenwind ist der Trend schlechthin, manche Hersteller haben ihr Programm komplett auf mit Elektromotoren unterstützte Fahrräder umgestellt. „Den Trend hält keiner mehr auf“, sagt dazu Ulrich Weckler. Der Mann sollte es wissen, seit sechs Jahren verkauft er in seinem Laden Stromrad sogenannte Pedelecs. „Für viele unsere Kunden ist das E-Bike in der Stadt die Alternative zum Auto.“

Und damit sind wir in Stuttgart, Deutschlands einziger Großstadt mit gut 300 Meter Höhenunterschied zwischen Kesselmitte und dem Birkenkopf. Wer hier in die Pedale tritt, braucht Stahlwaden oder eben ein Motörle. Der Radler hier kennt jedenfalls so ziemlich jede topografische Herausforderung. Und da Stuttgart in den kommenden Jahren zwar unterhöhlt, aber dabei hoffentlich nicht eingeebnet wird, sollte das auch so bleiben. Dem Radler stellen sich zum Beispiel kurze, aber böse Wellen wie die im Mittleren Schlossgarten über die Cannstatter Straße in den Weg. Wir haben relativ leichte, aber wegen ihrer Länge dann doch klebrig zähe Anstiege, wie den von Kaltental hinauf nach Vaihingen oder auch die schwäbische Antwort auf den prügelharten Mont Ventoux im Süden Frankreichs: genannt die Alte Weinsteige.

Käufer von E-Bikes werden jünger

Und genau da zwischen Marienplatz und Degerloch, zwischen anfänglicher Euphorie (geht schon) und Kollaps (geht eben doch nicht) kann man den großen Zweiradtrend spüren und auch hören. Spüren am leichten Windhauch, wenn einen ein nur mäßig angestrengt wirkender Mensch in aufrechter Haltung passiert, und Hören am sanften Singen des Elektromotors. Keine Frage, das E vor dem Bike hat in einer Stadt wie Stuttgart Sinn. Und die Leistung dieses eingebauten Rückenwinds ist ja auch erstaunlich. „Was für eine herrliche Aussicht“, flötet Mister E kurz nach der Wielandshöhe, „wie schön sich hier der Blick öffnet.“ Mag sein, der Blick des schwer hechelnden Motorlosen öffnet sich dagegen auf den Pulsmesser, der Zahlen zeigt, die kein Arzt gutheißen würde.

Sei’s drum, auch in der flachen Stadtmitte nehmen E-Bikes zu, und die Käufer werden jünger. Wecklers Kunden sind im Schnitt 40, vor ein paar Jahren noch Mitte 50. Für viele ist das Rad auch Statussymbol, das man schön präsentierten kann. Anders als fürs flotte Cabrio findet man fürs Velo auch einen Parkplatz vor dem Straßencafé. Ein Trend geht dabei zu filigranen, edlen und leichten Pedelecs. Sahen die ersten E-Bikes noch ziemlich nach Sanitätshaus aus, geht das jetzt eher in Richtung Designstudie. Übrigens auch ohne Motor. Wer was auf sich hält, fährt ein sogenanntes Urban-Bike. Schlank, leicht, ohne viel Schnickschnack und ganz sicher ohne Einkaufskorb. Dafür zum Beispiel mit integriertem Licht, Ledergriffen oder aufwendigen, aber wartungsfreien Nabenschaltungen.

Das Rad muss glänzen

Mit Motor sind neben leichten Cross-Rädern unter 20 Kilo jetzt auch Kompakt-Bikes groß im Kommen. Das sind Velos mit 20-Zoll-Rädern statt der üblichen 28 Zoll. Praktischerweise kann man diese kleinen Cityflitzer mit ein paar Handgriffen auch noch zum Platz sparenden Winzling werden lassen. Lenker quer stellen, Sattel runter, Pedale anklappen wie einen Auto-Rückspiegel – und schon passt das Rad prima in die S-Bahn oder in fast jeden Kofferraum, ohne dass Vorder- oder Hinterrad ausgebaut werden müssen. Man muss es sich aber leisten können – E-Bikes, die länger als ein halbes Jahr Spaß machen sollen, kosten von 1500 Euro an aufwärts. Auch wenn sie klein sind.

Wichtig ist mittlerweile auch – ein Rad hat sauber zu sein. Glänzende Speichen, blitzende Felgen, silbrige Zahnkränze. Alte Kisten mit verrosteten Ketten und stumpfen Felgen sieht man zwar auch noch, aber doch eher selten. Gutes Rad ist sauberes Rad. Auf der Fachmesse Eurobike wurde im vergangenen Herbst ein Waschautomat für Fahrräder vorgestellt, es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis man in Stuttgart sein Radel in die Waschanlage bringen kann. In München, sorry, gibt es das schon.

Ein weiterer Trend, wenn auch noch ziemlich am Anfang, ist das vernetzte Bike. Es ist bereits ein Rad auf dem Markt, das automatisch einen Notruf absetzt, wenn sich der Fahrer auf die Straße legt, oder die Daten der Fahrt automatisch auf das Smartphone sendet. Nun ja, wer’s braucht. Spannend bleibt aber die Frage, ob sich der Spaßtrend Fatbike in der Stadt durchsetzen wird. Diese Räder mit den gaaaanz dicken Reifen sind eigentlich für die Wüste, für Schotterpisten oder für den Schnee. Damit kann Stuttgart aber nur im direkten Umfeld diverser Großbaustellen dienen. Sonst eher nicht. Als Hingucker taugt das Bike aber unbedingt.

Man darf also auf den Radsommer gespannt sein.