Die Degerlocher haben zwar seit einem Jahr den Fair-Trade-Titel, vermissen aber die entsprechende Denke im Bezirk.

Stuttgart-Degerloch - Die Euphorie der Anfangszeit ist offenbar verflogen. Seit einem Jahr hat Degerloch das Fair-Trade-Siegel – damals als erster Stadtbezirk in Stuttgart. Doch hinter dem Siegel steckt derzeit nicht allzu viel, beklagen die Verantwortlichen. In den Köpfen der Einzelhändler, Gastronomen und Verbraucher sei der Fair-Trade-Gedanke noch nicht ganz angekommen, heißt es.

 

„Wir hatten anfangs echte Erfolge“, sagte Horst-Henning Grotheer, ein Grünen-Bezirksbeirat und Vorsitzender des Vereins „Degerloch fair“ bei der jüngsten Bezirksbeiratssitzung. Beispielsweise haben der örtliche Weltladen und der Gewerbe- und Handelsverein (GHV) die Degerloch-Schokolade aufgelegt, die gut ankam. Eine Buchhandlung in der Innenstadt ist aufgesprungen und verkauft nun die Stuttgart-Schokolade. „Und im Jugendhaus gibt es ein faires Frühstück“, sagte Grotheer.

Fair Trade ist hipp

Die Degerlocher stellen fest, dass die Arbeit mit dem Siegel allein nicht getan ist. „Bei den Leuten tut sich nichts“, sagte Grotheer. Und auch im Handel und in der Gastronomie schlage sich das Konzept nicht genügend nieder. Er erzählt von einem Café, das 80 Portionen für ein faires Frühstück vorbereitet hatte. „Zwei wurden am Ende verkauft“, sagte der Grünen-Bezirksbeirat.

Bei aller Ernüchterung unterm Fernsehturm, Fair Trade ist hipp. Bad Cannstatt, Wangen und jüngst Vaihingen haben sich an Degerloch ein Beispiel genommen – und wurden mittlerweile mit dem Siegel ausgezeichnet. Andere bemühen sich noch um den Titel. Im vergangenen Sommer fasste der Gemeinderat den Beschluss, dass ganz Stuttgart Fair-Trade-Stadt werden soll – und rief die Stadtbezirke auf, sich um die Auszeichnung zu bemühen.

In Sillenbuch ist es bisher still um das Thema. Deshalb haben nun die örtlichen Grünen die Initiative ergriffen und den Bezirksvorsteher Peter-Alexander Schreck aufgefordert, sich der Sache anzunehmen. Schließlich habe der Gemeinderat vergangenen Sommer beschlossen, dass die Bezirksvorsteher eine tragende Rolle auf dem Weg zum Siegel übernehmen sollen.

„Es darf nicht nur beim Weltladen bleiben“

„Es wird einen entsprechender Projektbeschluss des Bezirksbeirats für die Sitzung am 20. Juni 2012 in Form einer Beschlussvorlage vorbereitet“, schreibt Schreck in seiner Antwort auf die Anfrage der Grünen. Um diese Antwort ging es bei der jüngsten Sitzung vergangene Woche. Sowohl die Grünen als auch die CDU baten darum, den Beschluss schon im Mai zu fassen. „Sonst wird es Jahresende, bis was daraus wird“, sagte der Grünen-Bezirksbeirat Richard Hiller-Bixel. Doch Schreck blieb dabei, er brauche die Zeit, um das Thema vorzubereiten. „Wir verlieren ja nichts“, sagte er. Die Sillenbucher Liberalen hatten grundsätzliche Bedenken zum Fair-Trade-Projekt. Sie sehen nicht ein, weshalb sich die Stadt darum kümmern solle. „Das ist doch Sache der Geschäftsleute“, sagte Annemarie Franz für die FDP. Die würden schließlich auch Geld mit den fair gehandelten Waren verdienen.

In Degerloch ist das Projekt auch ein Projekt des GHV. Und dessen Vorsitzender Rolf Armbruster zeigte sich mit dem Gang der Dinge vor Ort ähnlich unzufrieden wie Hans-Henning Grotheer. „Es darf nicht nur beim Weltladen bleiben“, sagte er. „Wir haben mehr Potenzial.“

Die Degerlocher setzen nun aufs Theater

Resignieren wollen Armbruster, Grotheer und die anderen auf keinen Fall. Der Verein „Degerloch fair“ und der GHV wollen nun 5000 Euro in Werbung investieren. „Wir müssen das Thema in die Köpfe der Leute kriegen“, sagte Grotheer. Denn nur wenn der Druck und die Nachfrage der Kunden wachsen, würden die Gastronomen und Einzelhändler mitziehen, ergänzte Armbruster, der nicht nur dem GHV vorsitzt, sondern auch CDU-Bezirksbeirat ist.

Die Degerlocher setzen nun aufs Theater. „Wir konnte den Regisseur Stefan Bruckmeier vom Theater Rampe gewinnen“, sagte Grotheer. In den Schulen und bei Veranstaltungen im Stadtbezirk wollen sie den fairen Handel auf der Bühne bekannter machen. „Wir hoffen, dass wir so besser an die Menschen rankommen“, sagte Grotheer. Daneben sollen mit den 5000 Euro auch Banner, Flugblätter und ein Infostand finanziert werden. Letzterer kostet 900 Euro. Diese Summe spendiert der Bezirksbeirat aus seinem Budget für ehrenamtliches Engagement. Weitere 200 Euro trägt der GHV, für den großen Rest sind Förderanträge gestellt. Grotheer und Armbruster hatten ihre Beiratskollegen in der Sitzung von ihrer Idee überzeugt, diese votierten einstimmig für den Zuschuss.