Die Stuttgarter-Hip-Hop-Legenden sind am Samstagabend zum Abschluss ihrer „Rekord“-Open-Air-Tournee bei Mercedes-Benz in Sindelfingen aufgetreten. Die Band pflegt seit jeher ein entspanntes Verhältnis zur bürgerlichen Mitte.

Stuttgart - In den großen Popnationen ist es gang und gäbe, dass Popstars bei Feierlichkeiten von Konzernen auftreten: In den USA kann man die prominentesten R’n’B-Vertreter gegen einen entsprechenden Obolus selbstverständlich für Firmenfeste buchen, und als der Austropop in Österreich in den achtziger Jahren den Höhepunkt seiner Popularität erreichte, spielten seine angesagtesten Protagonisten natürlich auch bei der Eröffnung von Schuhmärkten. In Deutschland hingegen hat der Sog von großem Geld auf große Musik traditionell ein Gschmäckle, und wer diesbezüglich ein bisschen herumtelefoniert, der erfährt bald von königlichen Gagen, verbunden mit dem Schwur: „Aber wir machen das nicht.“

 

Die Fantastischen Vier, die seit jeher ein entspanntes Verhältnis zur bürgerlichen Mitte pflegen, ficht das natürlich nicht an. Die Stuttgarter-Hip-Hop-Legenden sind am Samstagabend zum Abschluss ihrer „Rekord“-Open-Air-Tournee und gleichzeitig zur gebührlichen Feier der hundertjährigen Präsenz von Mercedes-Benz in Sindelfingen auf einem großen, betonierten Platz im Werksgelände aufgetreten. Rund 24000 Zuschauer (ausverkauft) bekamen von der Riesenbühne zwei Stunden lang Bassdrum und Bass satt sowie genretypisch jede Menge Silben pro Takt. Gespielt wurde im Wesentlichen dasselbe Programm wie im Dezember 2014 in der Stuttgarter Schleyerhalle (viele Hits plus das Drängendste vom neuen Album „Rekord“), dazu diesmal „Die da!?!“, den allerersten Hit. Und schon bei einem der ersten Lieder, „Und los“, konnte man sich ausmalen, dass bandintern womöglich nicht allzu lange darüber diskutiert worden ist, ob man so einen Tourneeabschluss denn einfach an einen Autobauer verkaufen darf: „Wir wolln ne Revolution oder ne schnelle Million“, heißt es da, und dann wird einfach weitergereimt: „Im Moment fehlt die Vision, doch irgendwas findet sich schon.“

Das Publikum kommt aus „Benztown“

Irgendwas findet sich immer: „Ich weiß nicht, wie ich euch nennen soll“, bekennt Michi Beck zu Beginn, „Sindelfingen? Stuttgart? (mehr Applaus), Benztown?“ Smudo entscheidet dann: „Einigen wir uns auf Benztown, dem Anlass entsprechend.“ Woraufhin Thomas D sagt, es sei „schee, dahoim zu sei“. Dann singen die drei Vordermänner ein Lied, in dem sich „Danke sagen“ auf „Krankenwagen“ reimt, während And. Ypislon seine Tasten bedient und die Band im Hintergrund ordentlich Druck macht. Das Fahrzeug der S-Klasse auf seinem Podest hundert Meter neben der Bühne bleibt dann lange Zeit die einzige Reminiszenz an den Anlass des Abends. Rund um das Auto herum hat man Halogen-Scheinwerfer geschraubt. Aber die bleiben aus – schwäbisch bescheiden. Und bald fängt es zu regnen an.

„Scheißegal Leute“, schallt es deshalb von der Bühne, „wir sind hier, Ihr seid hier, was interessiert uns der Scheiß!“ Eines der großen Mysterien der Popmusik hing ja immer schon eng mit der Frage zusammen, weshalb es denen, die unter einem Dach stehen und kassieren, regelmäßig gelingt, dessen Schutzfunktion verbal ins Unendliche zu verlängern, zumindest jedoch weit über die durchnässten zahlenden Zuschauer hinweg. Und Die Fantastischen Vier waren immer schon gut darin, Botschaften wie „Werft die Hände in die Luft!“ oder „Sagt yeah yeah yeah!“ mit einem beachtlichen Erlösungsgehalt auszustatten. Dazu hüpfen sie immer noch so enthusiastisch im Takt wie sehr junge Männer. Die Fantastischen Vier werden seit einem Vierteljahrhundert nicht müde, sich selbst und ihren Fans vorzuspielen, dass das Leben eine einzige große Hüpfburg sein könnte – wenn man sich nur genügend anstrengt.

Mit viel Selbstironie am Start

Was die Band sympathisch macht - auch in Sindelfingen – , ist ihre Selbstironie: „Nach hundert Jahren Werk jetzt Umbau – Hip-Hop-Altersheim“, schallt es nach einer Weile als Mercedes-Reminiszenz Nummer zwei (von rund einem halben Dutzend) von der Bühne, ehe im Song „Das Spiel ist aus“ augenzwinkernd angedeutet wird, dass irgendwann mal die Luft aus der ewigen Hüpfburg entweichen könnte, auch wenn man derzeit noch birst vor lauter Energie: „Zeigt Eure Hände, braune Flecken, am Anfang kann man sie noch kaum entdecken.“ Später dann folgt im Lied „Typisch ich“ der pubertär gangsterhafte Gegenpol, der im Mercedes-Werk besondere Bedeutung erlangt: „…da hab ich halt nem anderen Wagen einfach mal den Lack zerkratzt!“

Aber nein: der Werksschutz in Sindelfingen muss sich bei diesem Konzert keine Sorgen um die Unversehrtheit der dezent übers Gelände verstreuten Ausstellungsstücke der Oberklasse machen: Neben all den neuen Songs spielen Die Fantastischen Vier genügend alte Hits wie „Locker bleiben“, „Was geht“, „Sie ist weg“, „Populär“ oder „MFG“. Das Soloset von Thomas D („Tag am Meer“, „Krieger“) gerät künstlerisch mal wieder ganz besonders ambitioniert, und der Song „Ernten was wir säen“ kommt vielleicht deshalb noch ein bisschen rockiger daher als gewöhnlich, weil die hiesigen Hip-Hop-Stars die Identifikation mit sich selbst ebenso engagiert befeuern wie die mit dem Arbeitgeber: „Are you ready to Schweinerock? Let’s do it together Daimler-Style!“ Ui, da explodiert die E-Gitarre beinahe vor lauter Wucht.

Mercedes-Benz und Die Fantastischen Vier, das waren immer schon Brüder im Geiste: Schaffer, Tüftler, Cleverle. Wer bisher daran gezweifelt hat, darf sich von der Schlussansage der Hip-Hop-Quartetts bekehren lassen: „Das erste Auto kommt von hier. Das erste deutschsprachige Rap-Album kommt von hier. Wir sind stolz, von hier zu sein!“ Noch mehr Wumms vom Bass, noch mehr Silben in der Abschlussnummer „Troy“, die von der Beziehung zwischen Band und Fans schwärmt. Dann bunte Raketen. So reibungslos organisiert ist das alles, dass, wer schlau geparkt hat, das Ende des Feuerwerks schon von der Autobahn aus erleben kann.