Vor vier Jahren ist Judith Skudelny nach dem Rekordergebnis der FDP als junge Mutter überraschend in den Bundestag eingezogen. Vor gut zwei Monaten flog die Anwältin ebenso überraschend wieder raus. Ein Blick in die politische Achterbahn.

Leinfelden - Der kleine, hämische Seitenhieb drängt sich derart auf, dass ihn die Frau lieber gleich selbst raushaut. „Judith Skudelny“, stellt sie sich vor, „Insolvenzverwalterin und damit genau richtig in der FDP.“ Dann lacht sie, was aber nicht unbedingt bitter klingt, und versucht vergeblich, ihre sofort spürbare Energie am Strohhalm der Latte macchiato vor ihr abzuarbeiten. Hinter der Glasfront des Cafés in Leinfelden liegt der architektonisch supertriste Neue Markt der Großen Kreisstadt unter einem noch grauen Himmel. Das Depri-Wetter prallt an der Frau mit der akkuraten Businessfrisur einfach ab, an dem kleinem Tisch brodelt ein mühsam kontrollierter Verbalvulkan, der am liebsten nur nach vorne schauen möchte, aber erst mal vier Jahre zurückblicken soll.

 

September 2009, Bundestagswahl: die FDP rockt die Hochrechnungen, und gegen Mitternacht klingelt bei der damals 33-jährigen jungen Mutter das Telefon. Birgit Homburger, die damalige FDP-Landeschefin, ist dran und gratuliert zum Einzug in den Bundestag. Platz zwölf auf der Landesliste, eigentlich die erste Sicher-nicht-Position, hat überraschend gereicht. Die FDP sammelt bundesweit stattliche 14,6 Prozent der Zweitstimmen und stellt 93 Abgeordnete. In Skudelnys Wahlkreis Nürtingen gibt es für die Liberalen sogar 20,7 Prozent – mehr als für die SPD. Und am Ende des Tages wird die junge Anwältin in den Berliner Bundestag gespült.

Für viele ist schnell wieder Schluss

Damit hatte sie selbst am wenigstens gerechnet, und am nächsten Morgen saß sie um acht Uhr im Flieger nach Berlin. Mit dabei ihre drei Monate alte Tochter, ein paar Windeln und der Tipp von einem erfahrenen Abgeordneten, das hektisch erworbene Lufthansa-Ticket nicht achtlos wegzuwerfen, da sie die Kosten ersetzt bekommen würde. In Berlin angekommen, gab es von ihrem Kollegen Jörg van Essen noch eine Art parlamentarische Kurzeinweisung mit dem Hinweis, dass für die Hälfte der neuen Mitglieder des Hohen Hauses erfahrungsgemäß nach vier Jahren auch wieder Schluss sei und dass man Geld zurücklegen sollte, damit man nach zwei Jahren auch brav seine Steuern bezahlen könne. Ein Punkt, den so mancher offenbar gerne vergesse, sagt Skudelny heute.

Vier Jahre später, 22. September 2013, wieder Bundestagswahl. Die FDP schmiert historisch ab, verpasst zum ersten Mal mit blamablen 4,8 Prozent den Sprung ins Parlament und wird kübelweise mit Häme übergossen. Judith Skudelny schickt an diesem Abend bei der FDP-Wahlparty im Stuttgarter Restaurant Kachelofen erst mal ihren Mann und die beiden Kinder nach Hause. Sie selbst schüttelt sich gegen den Frust und schreibt eine Art Jetzt-erst-recht-Manifest, das sie Freunden und Mitstreitern schickt und auf Facebook stellt. Am nächsten Tag fliegt sie wieder nach Berlin, dieses Mal aber, um das Büro abzuwickeln, die Wohnung aufzulösen und ihren sechs Mitarbeitern bei der Arbeitssuche zu helfen. „Alle haben bereits einen neuen Job gefunden“, sagt sie jetzt stolz.

Nach vier Jahren kommt die Rolle rückwärts

Und sie ist wieder vermehrt im alten Beruf unterwegs. Fachanwältin für Insolvenzrecht in einer Stuttgarter Kanzlei. Viele, denen das Wasser finanziell bis zum Hals steht, bekommen Besuch von ihr, und dann wird es weniger lustig. „Ich sage lieber beim ersten Gespräch, dass sie mich bald hassen werden“, erklärt die Frau, die so überhaupt nicht nach Tough Lady aussieht, aber schon an mehr als 600 Insolvenzverfahren, meistens für Privatleute und kleine Handwerksbetriebe, mitgewirkt hat – auch irgendwie ein Leben in der Gefühlsachterbahn. Morgens dem Sohn noch Fußballschuhe in die Sporttasche stecken und dann einem Gescheiterten die für das Alter gedachte Lebensversicherung zwangsweise verkaufen – das muss man abkönnen.

Aber so war es für die Gemeinderätin in Leinfelden-Echterdingen ja auch in der großen Politik. Rein über Nacht, das gewohnte Leben auf den Kopf gestellt, neue Strukturen aufgebaut und dann nach vier Jahren die Rolle rückwärts. Auch nichts für Zauderer und Menschen, die einfache, bequeme Lösungen bevorzugen. Gut zwei Monate ist der Crash der Liberalen nun her, die Aufarbeitung dauert noch an, aber ein wenig Ruhe ist schon eingekehrt. Zeit auch, ein wenig darüber nachzudenken, was da im September eigentlich passiert ist. „Mein Vorteil war wohl“, sagt sie, „dass ich meinen Beruf nie ganz aufgegeben habe.“

Eine junge Mutter im Swinging Berlin

Judith Skudelny reist 2009 mit der kleinen Tochter, die sie noch stillt, und mit ihrem Vater zu den Sitzungswochen nach Berlin. Ihr Mann bleibt beim dreijährigen Sohn. Der Anfang wird hart. Guido Westerwelle muss die Mutter mit dem Säugling im Tragegurt zur konstituierenden Sitzung in den Plenarsaal begleiten, sonst wäre sie nicht an den Kontrollen vorbeigekommen. Die erste Zeit hat sie die Tochter immer dabei, einmal stillt sie die Kleine zwischen zwei Abstimmungen auf der Toilette neben dem Plenum. Heute gibt es im Hohen Haus übrigens ein Stillzimmer. Ihr Mann kommt mit dem Sohn nur selten zu Besuch, wird anfangs nur zum Aufhängen der Deckenlampen gebraucht, sagt seine Frau und: „Wir waren dann einmal zum gemeinsamen Weihnachtsshoppen in Berlin. Da war es saukalt, und danach wollten die beiden nicht mehr kommen.“

Die unvermittelte und komplette Rückkehr nach vier Jahren zur Familie fiel ihr auch deshalb eher leicht, weil sie sich nie richtig ins Swinging Berlin der Politszene eingeklinkt hatte. „Als Abgeordneter kannst du, ohne einen Euro auszugeben, Alkoholiker und fett werden“, sagt sie. „Aber ich hatte einen gänzlich anderen Einstieg, da ich ja noch gestillt habe.“ Also kaum Empfänge und Abendtermine, stattdessen Gutachten lesen. Einmal ist sie doch mit dem Säugling in der Trage zu einem Empfang gegangen, „da hat mich meine kleine Tochter komplett vollgekotzt“, erinnert sie sich.

Für die Familie ist die Rückkehr gut

Das war es dann mit dem ganzen Berliner Chichi. „Ich bin da auch nicht der Typ dafür“, sagt Judith Skudelny. Das Leben als Abgeordnete berge schon die Gefahr, sich plötzlich „superwichtig“ zu fühlen. Man bekomme überall Namensschildchen, werde mit Frau Abgeordnete angeredet, könne sich vom Fahrdienst durch die ganze Stadt gondeln lassen, und wenn man genug Termine besucht habe, dann „kennt einen plötzlich auch Frau Merkel“.

All das vermisst sie nicht, trotz des abrupten Endes. Toll an Berlin sei, dass alles ein bisschen schicker sei und sie da „die hübschen Sachen tragen konnte, die mein Mann so hässlich findet“. Das wird künftig ein wenig schwerer, aber für Judith Skudelny ist das nicht das Problem. Sie hat sich nur fachlich komplett auf die Rolle einer Abgeordneten eingelassen. Den Weg zurück findet sie wieder leichter. Für die Familie sei es auch besser. Und ihr Mann wird beim Metzger künftig wohl auch nicht mehr mit „Herr Skudelny“ angesprochen, obwohl er Novosel heißt und seine Frau den Laden noch nie betreten hat. Er dagegen, als Koch der Familie, regelmäßig. „Jetzt bin ich wieder die Zicke, neben der er jeden Morgen aufwacht und mit der er streitet, wer die Kinder zur Schule bringt.“

Judith Skudelny ist also zurück auf den Fildern, was ihr keine Sorgen macht, wohl aber die Zukunft ihrer Partei. Die FDP, so ihre Überzeugung, wurde nicht als Juniorpartner der Koalition von der Quotenqueen-Kanzlerin geschreddert – „nein, das haben wir schon selbst hingekriegt“, sagt die mittlerweile 38-Jährige. Wenn das Führungspersonal die Partei in verschiedene Richtungen zerren wolle, werde man eben zerrissen. Das sei nun aber nicht mehr zu ändern, und die großen Probleme, die kämen erst. Im Moment ist die FDP noch ein Thema im Land, aber wenn nach dem Parteitag in Berlin an diesem Wochenende die neue Bundesführung steht, das traditionelle Dreikönigstreffen in Stuttgart Geschichte ist und eine wie auch immer aufgestellte neue Regierung in Berlin die Arbeit aufnimmt, fallen die Liberalen bis 2017 bundesweit ins mediale Nirwana. „Wer interessiert sich schon für eine außerparlamentarische Opposition?“, fragt sie, ohne Zweifel an der Antwort zu lassen: kaum einer. So gesehen wird ihr Besuch heute an der alten Wirkungsstätte auch ein Abschied, zumindest für knapp vier Jahre.

Gibt es 2017 einen Neustart?

Keine Perspektive, die dem „Arbeitspferd“ (Skudelny über Skudelny) gefallen könnte. Aber eben die harte Realität, das wird zwei Monate nach dem Absturz auch der Kämpferin mehr und mehr bewusst. Deshalb kann sie wohl doch nicht so politisch zur Ruhe kommen, wie es nach dem Rückzug aus Berlin zunächst aussah. Den Sitz im Gemeinderat hat sie sowieso behalten, seit ein paar Wochen ist sie stellvertretende Landesvorsitzende der FDP in Baden-Württemberg und Landesvorsitzende der Liberalen Frauen. Mit dem Abstand der zwei Monate ist ihr klar geworden, dass ihr persönliches Ergebnis bei der für ihre Partei so desaströsen Wahl mit 8,3 Prozent nicht nur locker für den Bundestag gereicht hätte, sondern auch bundesweit das fünftbeste war. Die Partei kann jemanden wie sie für den Neustart also dringend gebrauchen, und der Kreisverband in Stuttgart hat auch schon erklärt, Judith Skudelny 2017 ins Rennen schicken zu wollen.

Ob sie das will? „Abwarten“, sagt sie. In dem Fall ganz Politprofi. Nur nicht zu früh in Position bringen. Und da nagt auch noch der leichte Ärger, dass manche ihr die Power zwischen Familie und Politik fast übel nehmen. „Ich werde oft gefragt, warum ich zwei Jobs brauche“, sagt sie mit zornig funkelnden Augen. „Wenn ein Grüner in die Politik geht und sagt, er wolle die Welt retten, dann glaubt man ihm. Dass ich auch liberale Ideale habe, sieht keiner.“

2017 wäre Skudelny immer noch bei den Jüngeren

Für Judith Skudelny fallen in Deutschland immer noch zu viele einfache Arbeitsplätze weg, die soziale Schere öffnet sich immer weiter, die Rahmenbedingungen für Frauenarbeit sind noch lange nicht gut. Da kenne sie sich aus. Und wenn die FDP mal geklärt habe, ob sie nun „näher an der AfD oder an den Linken ist“, könne man auch wieder losarbeiten und Wähler zurückgewinnen – auch von den Grünen, die „derart stockkonservativ geworden sind, dass da auch für die FDP was zu holen ist“.

Es gibt also genug zu tun, und zwar mit ihr, das scheint zwei Monate nach dem Aus klar zu sein. Der Frust des politischen Absturzes war nur ein kurzer – wenn überhaupt. Und 2017 wäre sie am Wahltag auch erst 41 Jahre alt, also immer noch bei den Jüngeren. Und das schnelle Anpassen verlernt man sicher auch nicht – was sie den Altvorderen voraushat, die einen Partei-Crash wie diesen einfach nie erlebt haben.

Käme es so, gäbe es in Stetten/Filder auch wieder die berüchtigten Geheimessen. Das sind Treffen von Vater und Sohn mit dem Teller vor dem laufenden Fernseher, von denen die Mutter in Berlin nichts wissen darf, denn so liberal ist Judith Skudelny dann wahrscheinlich doch nicht.