Die Liberalen demonstrieren auf ihrem Parteitag eine unübliche Harmonie. Das verdanken sie dem politischen Gegner: Das Rot-Grüne Feindbild schweißt das Spitzenduo Philipp Rösler und Rainer Brüderle enger zusammen.

Nürnberg - Rainer Brüderle kommt bei seiner Rede schnell zur Sache und macht von Beginn an seinem Spitznamen „Brüllerle“ alle Ehre. Der Spitzenkandidat der FDP grollt und grölt und prügelt dabei unablässig mit der Handkante die verbrauchte Luft in der Nürnberger Messehalle Ost, so als verdächtige er selbst die sozialistischer Umtriebe. Vor allem die Grünen nimmt er aufs Korn, wie am Tag zuvor schon Philipp Rösler.

 

Die Grünen haben der FDP mit ihren Steuererhöhungsplänen eine Art Aufbauspritze verpasst. Die Stimmung ist bei der FDP erstaunlich gut, bei manchen Liberalen fast schon euphorisch. Und das, obwohl nach wie vor die Liberalen bei der Bundestagswahl vor der Frage stehen: Sein oder Nichtsein. Sie liegen seit vielen Monaten bei vier bis fünf Prozent, da hat sich zuletzt nicht viel getan. Normalerweise wäre das Grund genug, der Führung an den Kragen zu gehen – gerade bei einer so streitlustigen und machtverliebten Partei wie der FDP.

Nichts dergleichen war in Nürnberg zu spüren. Die Machtfragen sind seit der Niedersachsenwahl vorerst geklärt, die Hackordnung zwischen Parteichef Philipp Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle scheint tatsächlich allseits akzeptiert und allein die Steuererhöhungspläne der Grünen sind für viele Mitglieder Grund genug, sich bei der FDP wieder bestens aufgehoben zu fühlen.

Rot-Grün ist Brüderles Feindbild

Brüderle beschäftigte sich in seiner Rede denn auch mehr mit dem Feindbild Rot-Grün als mit dem eigenen Wahlprogramm. Rot-Grün wolle die Bürger „im ökosozialistischen Gleichschritt marschieren lassen“, schrie Brüderle in den Saal. „Die Roten, die Grünen wollen die Menschen vom Staat abhängig machen“, sie stünden für einen „Neokollektivismus“, stritten gar für eine „andere Republik“, wollten in Europa „Zinssozialismus“ und „Schuldensozialismus“. In Allianz mit dem französischen Präsidenten François Hollande wollten die Roten und die Grünen hier die Steuern erhöhen, um damit in Ländern wie Frankreich die Schulden zu bezahlen. Spitzenkandidat Jürgen Trittin sei ein „Vampir“, der dem Mittelstand „an die Gurgel wolle“.  Es müsse Schluss sein mit dieser „Geisterstunde“.

Überhaupt hatte die FDP an diesem Wochenende eine große Vorliebe für Monster und Unholde aus dem Reich der Legenden und Märchen. Rösler sagte, Trittin sei kein Robin Hood, sondern der Räuber Hotzenplotz, und in Peer Steinbrück erkannte Rösler gar das Ungeheuer von Loch Ness. Von solchen Kreaturen umzingelt, fühlt sich die Partei einig wie selten. Rainer Brüderle stellte das auch für die noch bis zum März heillos zerstrittenen Parteispitze in Aussicht. „Zwischen uns passt kein Blatt Papier dazwischen, das spürt ihr alle“, sagte Brüderle über sein Verhältnis zu Parteichef Philipp Rösler. „Das ist das Entscheidende: das ihr seht, wir sind eine Mannschaft.“ Auch dies nahmen die Delegierten dankbar zur Kenntnis.

Diese für die FDP eher unübliche Harmonie half auch darüber hinweg, dass die Partei am Samstagabend nach einer harten Auseinandersetzung von Kritikern und Befürwortern die Öffnung der FDP für branchenspezifische, regional unterschiedliche Mindestlöhne mit knapper Mehrheit beschloss. Sowohl Rösler als auch Brüderle hatten sich dafür eingesetzt. Am Ende war das Ergebnis mit rund 57 Prozent knapp.

Liberale wollen das Eigentum schützenm

Die FDP zieht in diesen Wahlkampf als Partei des Bestandsschutzes, diesmal ohne steile Thesen und diesmal auch ohne das Versprechen auf drastische Steuersenkungen. Wo die Grünen mit „17 neuen Steuern und Abgaben“ die „Hand aufs Geld, Hand aufs Haus, Hand aufs Auto legen“ wollten, würden die Liberalen das Eigentum der Menschen schützen, so Brüderle. Das reicht der FDP als Versprechen. Deutschland, so Brüderle, bleibe „Merkel-Rösler-Land“.

Womit auch die Koalitionsfrage geklärt wäre. Die aber stand ohnehin auf diesem Parteitag nicht ernsthaft zur Debatte. Denn selbst jene, die mit Sozialliberal oder mit einer Ampelkoalition hin und wieder geliebäugelt haben, können nach den Beschlüssen von SPD und Grünen glaubhaft versichern, mit denen – jedenfalls diesmal – nichts zu tun haben zu wollen.