Es ist schon eine kuriose Situation, in die nur eine ums Überleben kämpfende Partei geraten kann, ein Schauspiel, bei dem das Chaos Regie führt. Der Showdown findet zwischen dem 6. Mai in Schleswig-Holstein und dem 13. Mai in Nordrhein-Westfalen statt. Das Schicksal Philipp Röslers, manche sagen, das der FDP, liegt jetzt in den Händen zweier Dreitagebart-Träger, die von der Parteiführung eigentlich abgeschrieben waren, die andere politische Ziele verfolgen, die normalerweise nichts weiter wären als Einzelgänger.

 

Der eine ist Lindner. Der andere erfährt ein paar Hundert Kilometer weiter nördlich an der Grenze zu Dänemark vom Ende der rot-grünen Minderheitsregierung in Düsseldorf. Wolfgang Kubicki steigt am Mittwoch gegen 11 Uhr vor einem Bauernhof in Sprakebüll aus seinem Wagen, das Smartphone am Ohr, seine Kiefer mahlen, stahlblaue Augen fixieren einen Punkt im Nirgendwo. Die FDP lässt soeben aus Versehen in Düsseldorf den Haushalt scheitern. Der 60-Jährige findet das eigentlich gut. Widerstand ist für den Strafverteidiger selten zwecklos. Ihn stört nur, dass die Landtagsfraktion und die Parteiführung da reingestolpert sind, dass sie mutig wider Willen waren. Es passt zu seinem Bild von einer Partei, in der zu viele Karrierefeiglinge ihr Unwesen trieben, Leute, die – so würde er es sagen – keinen Arsch in der Hose hätten.

Wenig später mahnt Kubickis Sprecherin zur Vorsicht. Ihr Chef sitzt am Steuer eines kleinen Elektroautos. „Schnallen Sie sich lieber an“, raunt sie. Auch auf der Rückbank? Auch auf der Rückbank! „Der fährt schnell.“ Und schon beginnen Bäume und Felder vorbeizufliegen. Lässig lenkt die linke Hand das flinke Gefährt. Easy Rider im Strommobil. Noch so ein Schnellfahrer, einer, der das Leben nur im Rennmodus spürt, so wie Lindner, nur viel älter. Christian Andresen sitzt auf dem Beifahrersitz. Der junge Landwirt, nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, ist doch in Sorge, als Kubicki den Wagen auf einen Acker steuert. „Nicht, dass wir uns festfahren“, murmelt er.

Aber ein sicherer Halt auf befestigtem Boden kommt für Kubicki nicht in Frage, er setzt auf Risiko, hat auf dem Feld eine Kamera des Norddeutschen Rundfunks gesichtet. Kubicki will Bilder eines Machers, und er weiß, wie das geht. Forsch fährt er vor, schwingt kurz vor der Kameralinse die Beine aus dem Wagen. So will der Fraktionschef gesehen werden, so will er als Spitzenkandidat bei der Wahl in Schleswig-Holstein bestehen. 14,9 Prozent holte Kubicki im September 2009. Zwei bis drei Prozent wären es aktuell. Kubicki hätte nie geglaubt, dass es so weit kommen würde. Und er glaubt zu wissen, wer schuld ist: Berlin.

Mit der Hauptstadt an sich und der Parteiführung im Speziellen stand Kubicki schon immer auf Kriegsfuß. In einem Gespräch mit der „Zeit“ begründete er 2010 seine Entscheidung für die Provinz. In Berlin würde er zum „Trinker, vielleicht auch zum Hurenbock“. Er sprach auch darüber, wie er 1993 „vielleicht zehn Minuten lang“ überlegte, sich das Leben zu nehmen. Ihm war damals vorgeworfen worden, er hätte als Anwalt dubiose Machenschaften einer Mülldeponiefirma unterstützt. Er musste deshalb als Partei- und Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein zurücktreten. Er war am Ende. Aber er kam zurück. Und scherte sich fortan um wenig. Am wenigsten um die Führung der FDP.

Am Tage seines Rücktritts im Dezember sagte Lindner, sein Schritt solle „eine neue Dynamik“ ermöglichen. Er verabschiedete sich mit den Worten: „Auf Wiedersehen“ und ließ offen, wie das zu verstehen war. Im Januar redete Lindner dann unter vier Augen. Es sollte ein Gespräch werden mit Abstand und ohne den handelsüblichen Argwohn. Er sollte davon erzählen, wie Politik in der vordersten Frontlinie einen Menschen verändert, wie Freunde mit einem umgehen, was vom Leben übrig bleibt. Es waren Themen, die Lindner nicht gefielen. Sie machten ihn unruhig. Er sagte, dass man ja wohl hoffentlich nicht davon ausgehe, mit einem Politiker im Ruhestand zu sprechen. Bilanzgespräche seien besser mit einem Franz Müntefering zu führen, nicht mit ihm. Die Lust auf die zweite Chance quoll ihm in seinem papierlosen Abgeordnetenbüro aus jedem Knopfloch. Blieb nur die Frage, wann er zurückkehren würde. Sie ist beantwortet.

Sie können Rösler retten oder ihn in den Untergang ziehen

Es ist schon eine kuriose Situation, in die nur eine ums Überleben kämpfende Partei geraten kann, ein Schauspiel, bei dem das Chaos Regie führt. Der Showdown findet zwischen dem 6. Mai in Schleswig-Holstein und dem 13. Mai in Nordrhein-Westfalen statt. Das Schicksal Philipp Röslers, manche sagen, das der FDP, liegt jetzt in den Händen zweier Dreitagebart-Träger, die von der Parteiführung eigentlich abgeschrieben waren, die andere politische Ziele verfolgen, die normalerweise nichts weiter wären als Einzelgänger.

Der eine ist Lindner. Der andere erfährt ein paar Hundert Kilometer weiter nördlich an der Grenze zu Dänemark vom Ende der rot-grünen Minderheitsregierung in Düsseldorf. Wolfgang Kubicki steigt am Mittwoch gegen 11 Uhr vor einem Bauernhof in Sprakebüll aus seinem Wagen, das Smartphone am Ohr, seine Kiefer mahlen, stahlblaue Augen fixieren einen Punkt im Nirgendwo. Die FDP lässt soeben aus Versehen in Düsseldorf den Haushalt scheitern. Der 60-Jährige findet das eigentlich gut. Widerstand ist für den Strafverteidiger selten zwecklos. Ihn stört nur, dass die Landtagsfraktion und die Parteiführung da reingestolpert sind, dass sie mutig wider Willen waren. Es passt zu seinem Bild von einer Partei, in der zu viele Karrierefeiglinge ihr Unwesen trieben, Leute, die – so würde er es sagen – keinen Arsch in der Hose hätten.

Wenig später mahnt Kubickis Sprecherin zur Vorsicht. Ihr Chef sitzt am Steuer eines kleinen Elektroautos. „Schnallen Sie sich lieber an“, raunt sie. Auch auf der Rückbank? Auch auf der Rückbank! „Der fährt schnell.“ Und schon beginnen Bäume und Felder vorbeizufliegen. Lässig lenkt die linke Hand das flinke Gefährt. Easy Rider im Strommobil. Noch so ein Schnellfahrer, einer, der das Leben nur im Rennmodus spürt, so wie Lindner, nur viel älter. Christian Andresen sitzt auf dem Beifahrersitz. Der junge Landwirt, nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, ist doch in Sorge, als Kubicki den Wagen auf einen Acker steuert. „Nicht, dass wir uns festfahren“, murmelt er.

Aber ein sicherer Halt auf befestigtem Boden kommt für Kubicki nicht in Frage, er setzt auf Risiko, hat auf dem Feld eine Kamera des Norddeutschen Rundfunks gesichtet. Kubicki will Bilder eines Machers, und er weiß, wie das geht. Forsch fährt er vor, schwingt kurz vor der Kameralinse die Beine aus dem Wagen. So will der Fraktionschef gesehen werden, so will er als Spitzenkandidat bei der Wahl in Schleswig-Holstein bestehen. 14,9 Prozent holte Kubicki im September 2009. Zwei bis drei Prozent wären es aktuell. Kubicki hätte nie geglaubt, dass es so weit kommen würde. Und er glaubt zu wissen, wer schuld ist: Berlin.

Mit der Hauptstadt an sich und der Parteiführung im Speziellen stand Kubicki schon immer auf Kriegsfuß. In einem Gespräch mit der „Zeit“ begründete er 2010 seine Entscheidung für die Provinz. In Berlin würde er zum „Trinker, vielleicht auch zum Hurenbock“. Er sprach auch darüber, wie er 1993 „vielleicht zehn Minuten lang“ überlegte, sich das Leben zu nehmen. Ihm war damals vorgeworfen worden, er hätte als Anwalt dubiose Machenschaften einer Mülldeponiefirma unterstützt. Er musste deshalb als Partei- und Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein zurücktreten. Er war am Ende. Aber er kam zurück. Und scherte sich fortan um wenig. Am wenigsten um die Führung der FDP.

Ein Sonderling, der seine Wirkung zu nutzen weiß

Seine Arbeit als Anwalt sicherte ihm die Unabhängigkeit, um jederzeit ein freies Wort wagen zu können. Die letzten Monate unter Westerwelles Führung verglich Kubicki mit der Spätphase der DDR. Wann immer einer gesucht wurde, der gegen die FDP-Spitze Stimmung machen sollte: in Kiel war er schnell zu finden. Kubicki galt über Jahre hinweg in Berlin als Sonderling. Über ihn durfte gelacht werden. Aber zugleich wurde er bekannt, ein Talkshow-Promi, der seine Wirkung nutzte.

Strippen ziehen kann er. Gemeinsam mit seinem Spezi Jürgen Möllemann hat er am Abend der gewonnenen Landtagswahl in NRW im Jahr 2000 beim Italiener das Projekt 18 ersonnen. Nicht etwa im Suff, wie manche behaupten. Sondern davor. Erst vor Kurzem fingerte er erneut den Großen ins Lenkrad. Kubicki war der erste, der seine Partei nach dem Rücktritt Christian Wulffs für eine Kandidatur Joachim Gaucks erwärmte – gegen den Willen von Kanzlerin Angela Merkel. Mag sein, dass Kubicki sich zu wichtig nimmt, wenn er sich als Präsidentenmacher präsentiert. Aber er hatte der FDP mit dem freiheitsliebenden Gauck eine Idee ins Herz gepflanzt, die ihr kein Rösler und keine Merkel mehr herausreißen konnte.

Kubicki hasst „Geschwafel“. Die Menschen des Küstenlandes schätzen das. Die direkte Ansprache ist hier das rhetorische Mittel der Wahl. Welcher FDP-Politiker könnte derzeit in einer Einkaufspassage um Stimmen buhlen, ohne Opfer hämischer Anfeindungen zu werden? Kubicki. In Schleswig steht er vor einem Asia-Shop. Er spricht nicht von Wohltaten, sondern von leeren Kassen. Ein Passant meldet sich zu Wort: „Sie machen hier die gute Arbeit, und die in Berlin versauen alles. Sie sagen wenigstens die Wahrheit.“ Kubicki hört sich das alles an, wie immer umspielt dieses für ihn typische, ironische Lächeln seine Lippen: „Was soll ich jetzt dazu sagen?“

Das Saarland, in dem am 25. März gewählt wird, haben sie in Berlin ja schon aufgegeben. Aber sollten auch Lindner und Kubicki verlieren, ist Rösler am Ende. Was aber, wenn sie gewinnen? Kubicki war schon immer gegen Atomenergie, für eine Art Mindestlohn, gegen den Afghanistan-Einsatz, für die Finanztransaktionssteuer. Lindner würde programmatisch Segel setzen und ebenfalls einen anderen Kurs einschlagen. Gewinnen die beiden, wird die FDP eine andere sein. Und Rösler ein Vorsitzender von Lindners und Kubickis Gnaden. Eigentlich könnte Rösler sich deshalb entspannen. Denn eines ist sicher: Verlieren wird er die Wahlen so oder so.