Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge lernen Deutsch mal ganz anders – beim Bowling, beim Mountainbiken oder im Hochseilgarten. Vier Tage durften sie an einem Camp des städtischen Jugendamtes teilnehmen.

S-Süd - Was wollen Sie?“ – „Orangen!“ – „Wie viele?“ Lachend nimmt Haratshah die Orange in die Hand, die da zwischen Zitronen, Ananas, Gurken, Melonen, Pilzen, Fenchel, Tomaten und Paprikas drapiert sind. Lachend streckt er sie den Jugendlichen auf der anderen Seite des langen Tisches entgegen, der vor einer Landkarte Deutschlands aufgestellt ist. Der 18-Jährige geht ganz in dem Rollenspiel auf. Das Üben von Alltäglichem wie Ein- und Verkaufen ist Teil eines Lerncamps im Seminarhaus des Waldheims Altenberg, welches das städtische Jugendamt erstmals in den Osterferien für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge veranstaltet hat.

 

Insgesamt 17 Jugendliche aus Afghanistan, Iran und Syrien zwischen 13 und 18 Jahren sind gekommen zu „Deutsch lernen ganz anders“, wie das Motto des viertägigen Camps lautete. Ziel sei, den Jugendlichen eine praxisnahe Art des Lernens zu ermöglichen, bei der sie gleichzeitig den Ort und die Kultur kennenlernten, erklärt Waltraud Stuntebeck, die Abteilungsleiterin Erziehungshilfen im Jugendamt. Jeder Tag stehe im Zeichen eines anderen Themas. „Dazu gehören unter anderem Deutschland, Berufe oder eben gesunde Ernährung“, sagt Stuntebeck.

Fünf Lernstationen in vier Tagen

Das Programm der vier Tage konzipierte in ihrem Auftrag die Lerntherapeutin Gabriele Kurz-Ringhofer. Grundlage waren fünf Lernstationen, an denen im Wechsel von jeweils 20 Minuten die Jugendlichen mit insgesamt sechs Betreuern „Nomen“, „Konzentration“, „Situatives Lernen“, „Zahlen, Uhrzeit, Geld“ oder auch das Konjugieren von Verben übten. „Mit eigens hergestellten Spielkarten, auf denen Berufsbilder wie Bäcker oder Maler dargestellt sind“, sagt Kurz-Ringhofer. Musste sie doch teilweise das Programm an die Deutschkenntnisse der Teilnehmer anpassen, „Von den Vorkenntnissen her wurde klar, dass wir vor allem die Gegenwartsformen und die Konjugation der Verben gut üben mussten.“ Dabei holte sie auch den einen und anderen zu Einzelübungen. Reeza etwa konnte weder lesen noch schreiben, als er aus dem Iran ankam. „Die meisten der Jugendlichen sind erst sechs bis acht Monate in Deutschland“, sagt Kurz-Ringhofer. „Das Sprachlevel des Camps ist A1, das heißt: Die Jugendlichen sollen alltägliche Ausdrücke und einfache Sätze verstehen und verwenden können.“

Und weil die Sprache auch gelebt wird, umrahmte die Expertin die Lerneinheiten mit Sporteinheiten oder Koordinations- und Motivationstrainings – oder Ausflügen am Nachmittag. Da ging es zum Bowlingspielen, zu einer Mountainbike-Tour oder in den Hochseilgarten – organisiert von den Mitarbeitern des Jugendhauses Zuffenhausen.

Eine Mischung aus Sport und Sprache

Das kam gut an. Übereinstimmend erklärten der 13-jährige Youssef und der 17-jährige Saeedallah: „Es macht Spaß hier, der Mix Sport und Sprache.“ Und auch Kurz-Ringhofer lobte: „Alle waren höflich, überpünktlich, höchst motiviert, gaben freiwillig ihr Handy ab.“

Dass das Lerncamp überhaupt stattfinden konnte, sei der Sabine-Schöffel-Stiftung, zu verdanken, betont die Jugendamtsmitarbeiterin Stuntebecker. Sie habe über die Bürgerstiftung Stuttgart das Projekt unterstützt. „Mit dem Budget von 9000 Euro können wir auch jenen, die keine Sportkleidung haben, unbürokratisch welche besorgen, und wir hoffen, so noch ein zweites Camp veranstalten zu können.“ Und für manchen sei womöglich eine berufliche Zukunft drin: Das Perlenunternehmen Schoeffel bietet einem der älteren Jugendlichen des Lerncamps bei Interesse einen Ausbildungsplatz im Einzelhandel an. „Die meisten wollen allerdings noch Automechaniker werden“, ergänzt Kurz-Ringhofer. „Aber solch ein Lerncamp soll auch dazu beitragen, Perspektiven aufzuzeigen.“