Das Jüdische Museum in Göppingen-Jebenhausen soll nicht nur angeschaut, es soll auch erlebt werden können. Kinder waren beim Ferienworkshop mit Timo Heuler ausdrücklich zum Ausprobieren aufgefordert.

Göppingen - Das ist Hebräisch, das ist der Davidstern, das ist ein Chanukka-Leuchter!“ Der elfjährige Jan ist gar nicht zu bremsen bei der Aufzählung der Gegenstände, die vor ihm auf einem Tisch im Jüdischen Museum in Göppingen-Jebenhausen stehen oder liegen. Gegen diesen Verbal-Tausendsassa hat sogar die aufgeweckte Daniela Schwierigkeiten, zu Wort zu kommen. Dabei kennt sich auch die Elfjährige schon erstaunlich gut aus in der jüdischen Kultur. Und genau darum geht es auch in diesem Ferienkurs der städtischen Museen mit Timo Heiler.

 

„Viele wissen gar nicht, dass es ein Jüdisches Museum in Jebenhausen gibt. Ich möchte Kindern zeigen, welche Schätze vor ihrer Haustüre liegen“, erklärt der Historiker, der seit anderthalb Jahren solche Ferienkurse anbietet – auch um zu zeigen, wie fröhlich die jüdische Religion ist. Gerade in Jebenhausen stoße man auf Schritt und Tritt auf die Spuren der jüdischen Vergangenheit. Die Erinnerung daran wach zu halten und Vorurteile gegenüber dieser fremden Kultur abzubauen, hält er für immens wichtig, vor allem mit Blick auf die Neonazi-Aufmärsche in Göppingen in den vergangenen Jahren. Dass häufig die Resonanz auf diese Kurse nur recht gering ist, stört ihn nicht. „Es kommen zwar nicht viele Kinder, aber die sind wirklich interessiert und haben oft ein erstaunliches Vorwissen. Sie erzählen sich gegenseitig Geschichten. Das ist wunderbar.“

Das Motto lautet: „Fass es an, riech daran“

Alle Theorie ist grau. Deshalb hat Timo Heiler zahlreiche Gebrauchsgegenstände mitgebracht, die im jüdischen Alltag bis heute eine Rolle spielen. Die Kinder dürfen sie nicht nur aus der Ferne bestaunen, sondern auch in die Hand nehmen, beschnuppern und gegebenenfalls sogar anprobieren, wie es auch das Motto des Nachmittags vorgibt: „Fass es an, riech daran.“ Obwohl nur drei Kinder da sind – außer Daniela und Jan noch Jans neunjährige Schwester Ina – haben Timo Heiler und Werner Jooss, der die Aufsicht hat im Jüdischen Museum, ganz schön zu tun, um den Wortschwall des aufgekratzten Trios zu kanalisieren. Und, klar, Jan ist der erste, der die Kerzen des Chanukka-Leuchters anzünden möchte. „Von rechts nach links“, doziert der Elfjährige und steckt die ersten zwei Kerzen an. „So machen das die Juden.“ Über so viel Detailwissen ist sogar Timo Heiler baff. „Und außerdem“, stellt die neunjährige Ina noch ergänzend klar, „hat der Leuchter eigentlich neun Arme und nicht nur acht.“ Sie hat recht. Tatsächlich gibt es ein neuntes Licht, den sogenannten Diener, mit dem die anderen Lichter angezündet werden.

Doch nicht alle Gegenstände erschließen sich den Kindern auf den ersten Blick. Ein vielleicht zehn Zentimeter großes Türmchen aus Silber entpuppt sich als Besamimdose, die mit duftenden Gewürzen gefüllt ist. „An ihr wird am Ende des Sabbats gerochen, so dass man den Geruch in die Woche mitnehmen kann“, erläutert Timo Heiler. Als er dann ein längliches, mit Segenswünschen besticktes Stück Stoff entfaltet, blickt er in fragende Gesichter. „Das ist aber dreckig“, entfährt es Jan, er grapscht trotzdem danach. „Das ist eine Beschneidungswindel“, erklärt Timo Heiler. „Bah!“ sagt Daniela und zieht rasch ihre ausgestreckte Hand zurück. Dabei hat sie keine so rechte Vorstellung, was eine Beschneidung überhaupt ist. Und als Timo Heiler es erklärt, schaudert sie leicht. „Schauen da alle zu?“, will sie noch wissen. Timo Heiler nickt. Die Beschneidung sei vergleichbar mit der Taufe im Christentum und finde in der Synagoge statt. Aber für die kleinen Jungs sei die Prozedur, die von einem Fachmann, dem Mohel, acht Tage nach der Geburt ausgeführt werde, nicht schmerzhaft.

Der nächste Ferienkurs findet am 4. August statt

Rätsel geben auch die Schofar-Hörner auf. Von welchem Tier stammen sie? Die Kinder kommen nicht darauf. „Das stammt von einem Widder“, sagt Werner Jooss. „Wenn man nicht gelernt hat, darauf zu spielen, dann kriegt man keinen Ton heraus“, erklärt Timo Heiler und reicht die zwei Hörner, die heute noch in der Synagoge ertönen, Daniela und Jan zum Ausprobiren. Daniela setzt das Instrument an. Doch außer einem leisen Zischen ist nichts zu hören. Jan ergeht es nicht anders – zunächst, doch dann ertönt das Schofar-Horn laut und deutlich, wie die Posaunen von Jericho. Timo Heiler staunt. Nach wenigen Tönen geht Jan dann doch die Luft aus.

In Staunen versetzt die Kinder auch die mit einer Krone geschmückte Thorarolle. „Darf ich die Krone aufsetzen?“, fragt Daniela, die mittlerweile einen Gebetsmantel – Kippa – und einen Gebetsriemen – Tefillin – trägt, so wie das die Jungs bei der Bar Mizwa tun. Nun, die Krone darf sie nicht aufsetzen, die gehöre allein der Thora, sagt Timo Heiler. Aber sie darf ausprobieren, ob sie die Rolle hochhalten kann. Timo Heiler unterstützt das Mädchen, das ächzend die schwere Rolle nach oben drückt. Als Timo Heiler kurz loslässt, sacken Danielas Arme weg. Sie kann es nicht fassen, dass die Kinder bei der Bar Mizwa die Rolle halten und gleichzeitig auch noch aus der Thora vorlesen. „Wie alt sind die denn da?“, fragt sie. „Dreizehn“, antwortet Timo Heiler. „Boah! Nur zwei Jahre älter als ich.“