In Passau ist ein Streit über das Fensterln entbrannt. Dabei sucht ein lediger Mann eine ledige Frau nachts über eine außen am Haus aufgestellte Leiter auf - in amouröser Absicht, versteht sich. Handelt es sich um ein unverzichtbares Ritual oder unnötigen Sexismus?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Passau - Jeder Teilnehmer von zäh ablaufenden Vereinssitzungen oder nicht enden wollenden Meetings kennt den Moment, wenn es zunächst befremdlich anmutende Vorschläge auf die Agenda schaffen. Sei es aus kollektivem Überdruss an weitgehend planlos vertaner Zeit, sei es aus individuellem Übermut zum Unkonventionellen. Näheres müssten Gruppenkundler erörtern.

 

Jedenfalls: als vor einiger Zeit Passauer Studierende des Faches Sport die Beteiligung der Fachschaft beim Campus-Fest organisieren wollten, kam jemand aufs Fensterln als Spaßdisziplin. Lediger Mann sucht ledige Frau bei der Nacht im Bäurischen (also auf dem Land) mittels einer Leiter von außen am Haus unterm Dach auf. In amouröser Absicht, versteht sich. „Sportlicher Wettkampf mit kulturellem Hintergrund“, mochten sie das in Passau nennen, wobei die Organisatoren da noch kaum ahnten, was sie an ethnologisch-ideologisch-kulturkritischer Debatte vom Zaun brechen würden.

Fensterln im Wandel der Zeiten

Den Auftakt zur nicht nur in Niederbayern anhaltenden Diskussion übers Fensterln im Wandel der Zeiten machte die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Passau. Sie empfahl den Studenten, diesen vermeintlichen Jokus-Posten im Programm sein zu lassen. Schließlich seien einerseits Frauen von der Teilnahme ausgeschlossen und würden andererseits im Rahmen des Wettkampfs beim Fensterln zum „Objekt“ degradiert. Das fanden die Organisatoren nun wieder nicht respektive hatten nicht gründlich über den Verlauf der historisch als idealtypisch geltenden Fensterl-Episoden hinaus nachgedacht. Dabei setzt „ein gelungener Einstieg“, um es mit den Worten des Mundartforschers Johann Andreas Schmeller von 1830 zu sagen, „das gegenseitige Einverständnis der Liebenden voraus“. Natürlich hat das in Wirklichkeit häufig anders ausgeschaut.

Der Passauer Universitätspräsident sieht seine Beauftragte im Recht, zumal sie nichts verboten habe (und nebenbei ist das Sportfest wegen dem derzeitigen Dauerregen nun eh ins Wasser gefallen). Der Sprecher der Sportler ist indes der Ansicht, man dürfe „nicht alles durchgendern“. Ein Erlanger Staatsrechtler meint, dass man, streng juristisch betrachtet, die „Objektformel“ erst auf der Ebene von Sklaven- oder Folteropfern anwenden dürfe.

Derweil bekommt es die Gleichstellungsbeauftragte im Netz in der dort üblichen Verkehrssprache sehr derb aufs Dach. Wegen anhaltender Rat- und Orientierungslosigkeit wird dann sogar der Ministerpräsident befragt. Horst Seehofer leiert eines seiner angeblichen Herzensmantras herunter – in Bayern gelte: „Leben und leben lassen. Man muss sich nicht überall einmischen.“ Sein eigener Parteinachwuchs sieht das ähnlich und anders zugleich: Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten und die Junge Union Niederbayern sprechen in Hinsicht auf die Gleichstellungsbeauftragte überschäumend von „einer Schande für unsere Heimat“ – und sehen „das bayerische Lebensgefühl durch den Dreck gezogen“. Solchen Verlautbarungen schließen sich munter Leute von der AfD und, wie nicht anders zu erwarten, braune Gesellen an. Reflexionslos und angeblich ohne Arg Topoi aus der Vergangenheit zu recyceln gehört in solchen Kreisen zum anerkannten Ton. Der „Volks-Rock-’n’-Roller“ Andreas Gabalier macht das schon lange vor, wenn er Frauen als „Sweet Little Rehlein“ besingt.

Braune Gesellen sehen das bayrische Lebensgefühl bedroht

Wie viel Zündstoff in der Passauer Geschichte steckt, mag man auch daran erkennen, dass ein dortiger Juraprofessor, erbost über die Gleichstellungsbeauftragte, gar nicht mehr bei Shakespeare nachgeschlagen hat, bevor er warnte, wenn man in dieser Richtung weitermache, „könnten dann auch Aufführungen von ,Romeo und Julia‘ auf dem Index stehen“. Romeo indes hat nicht à la bavaroise gefensterlt. Er steht unterm Balkon, und wenn er nicht mehr druntersteht, liegt er verheiratet im Bett.

Wie wenig bereits früher manch heute traditionell verklärte Frau vom Fensterln hielt, weist wiederum der bereits erwähnte Johann Andreas Schmeller schon Anfang des neunzehnten Jahrhunderts aus. In seinen Aufzeichnungen berichtet er von einer Frau, die auf den Zuruf „Lenerl, mach auf, I muaß dir was sagn!“ dem Mann auf der Leiter offensiv von hinterm Fenster antwortet: „Mei Ruah will I habn! I brauch koan Burschn zum Fensterln; wer si net zur Tür reintraut, soll ganz wegbleibn!“