Am Wochenende fanden die Gitarrentage in Vaihingen/Enz statt. Es gab Workshops und Konzerte mit Künstlern aus der ganzen Welt. Das Festival ist ein Gewinn für die Region Stuttgart – aber leider noch zu unbekannt.

Vaihingen/Enz - Ein Samstagabend in Vaihingen/Enz. In der Fußgängerzone, auf dem Marktplatz, in den Gassen sind Begegnungen mit anderen Menschen eher die Ausnahme. Restaurants und Kneipen, die nur spärlich oder überhaupt nicht gefüllt sind, sind hingegen die Regel. Ebenso regelmäßig lässt sich beim Flanieren durch die City das sehr spezielle, bläulich schimmernde Licht von TV-Bildschirmen in den Wohnzimmern erspähen. Vaihingen/Enz – eine ganz normale Kleinstadt am nordwestlichen Rand der Region Stuttgart? Nicht ganz! Wer an diesem langen Wochenende (das am Donnerstag schon begonnen hat) den Weg in die Peterskirche findet, kann eigentlich nur staunen. Hier haben der Ludwigsburger Gitarrist Tommaso Ieva und die Stadt Vaihingen – mit Unterstützung weiterer Sponsoren, zu denen auch wieder der regionale Kulturmäzen Peter Klein zählt – ein Musikfestival etabliert. Und was für eines: es ist wohl keine Übertreibung zu sagen, dass die Vaihinger Gitarrentage in puncto musikalischer Qualität und Bandbreite weit und breit ihresgleichen suchen. Man muss schon die Stuttgarter Gitarrentage oder das Festival in Nürtingen heranziehen, um Vergleichbares oder womöglich Besseres zu finden.

 

Große Bandbreite bei den Gitarren-Workshops

Stichwort Bandbreite: der Vergleich zweier Workshops – ja, viele von ihnen sind auch für ambitionierte Freizeitspieler geeignet – spricht Bände. Da wäre Professor Hubert Käppel, der am Freitagvormittag die Teilnehmer auf eine musikhistorische Reise zur Aufführungspraxis eines Johann Sebastian Bach mitnimmt. Im Gepäck hat er einen unfassbaren Fundus aus Wissen, Partituren-Exegese und Erfahrung. Und es ist logisch, dass dieser weltweit gefeierte (oder fast schon verehrte) Kenner des großen spätbarocken Kompositionsgenius auch von den Teilnehmern ein gewisses, sagen wir: Rüstzeug voraussetzt. Da wagt es einer nicht zu wissen, was Dux und Comes in der Fuge bedeuten. Schade, findet Käppel, „die Leute wissen oft so wenig über klassische Musik, und dann hören sie halt AC/DC“.

Kommen wir zum anderen Pol des musikalischen Planeten der Vaihinger Gitarrentage: David Lindorfer. Der junge Gitarrist aus Linz hat Gitarre studiert und weiß sicher, was Dux und Comes sind (es sind, vereinfacht gesagt, das Leit- und das Folgemotiv in einer Fugenkomposition). Dennoch vertritt er einen gänzlich unakademischen Ansatz, steht auf Groove, unorthodoxe Spielmethoden und Improvisation. Und was lässt er seine Schüler beim Workshop „Fingerstyle“ spielen? Genau: ausgerechnet „Highway to Hell“ von AC/DC. „Dagegen ist nichts einzuwenden“, sagt Lindorfer.

So schafft der Österreicher es auch, das mehr oder weniger akademisch vorgeprägte Publikum am Samstagnachmittag restlos zu begeistern. Er trommelt, hämmert, kratzt, klatscht auf sein geschundenes Instrument. Man wundert sich nicht, als er berichtet, dass ihm vor einigen Jahren dabei mal der Sattel aus der Gitarre gerissen und „nur ein paar Zentimeter an meinem Auge vorbeigezischt“ sei. „Gitarre spielen ist gefährlich“, folgert Lindorfer.

Mehr Zuschauer wären den Gitarren-Tagen zu wünschen

Der Schmettermeister Lindorfer und der begnadete Bach-Exeget Käppel sind natürlich nur zwei Eckpunkte eines klanglich erstaunlich breiten Kosmos. Fast schon obligatorisch und traditionell gut besucht ist der Flamenco-Abend. Doch was für ein Pech! Die gebuchte und inzwischen weltweit gesuchte Gitarristin Afra Rubino Malmström musste – besser gesagt: durfte – just an jenem Abend den Preis für die bedeutendste Gitarristin des Jahres in ihrer Heimat Schweden entgegennehmen. Aber was für ein Glück! Der künstlerische Leiter Tommaso Ieva hat mit Romain El Afilao einen künstlerischen Ersatz auf Augenhöhe gefunden. Zunächst, am Nachmittag, beglückt er im Schlabberlook, aber mit stets wachem Blick und großer Motivationskunst, ein halbes Dutzend Semi- oder Voll-Amateure mit einer Einführung in die Kunst der Flamencogitarre. Und dann sitzt er wenige Stunden später auf der Bühne, flankiert von einer Sängerin und einer Tänzerin, und holt eine Extraportion Andalusien nach Vaihingen.

In Sachen Interaktivität (mit der Sängerin) und Improvisationsgewalt macht diesem Franzosen (!) so schnell keiner was vor. Wer ein Haar in der Suppe sucht, könnte allenfalls mäkeln, dass sich die unverstärkte Gitarre in der doch relativ großen Peterskirche manchmal klanglich nur schwer gegen Klatschen oder Gesang durchzusetzen vermag.

Was wäre den Vaihinger Gitarrentagen mit ihren neun hochkarätigen Konzerten, ihren preislich unschlagbar günstigen Gelegenheiten für Workshops oder Meisterkurse mit Größen der Szene zu wünschen? Vielleicht mehr Transparenz bei der Frage, wer wann welchen Workshop anbietet und wo man ihn wie zu welchem Preis bucht. Aber vor allem: mehr Bekanntheit, mehr Zuschauer – und eine möglichst lange währende Zukunft.