Im Ort schließen zurzeit auffällig viele Geschäfte.Der Gewerbeverein bedauert dies.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Stuttgart-Plieningen - Die Tage von Kitsch und Kunst sind gezählt. Ketevan Orts-Mdivani und ihr Mann Mark Peter Orts sind dabei, die Zierschalen, Handtaschen, CDs, den Tischbrunnen, die Pelzmützen und all die anderen Sachen in Kisten zu verstauen. Vor anderthalb Jahren haben sie die „Galerie Tausendsassa“ an der Filderhauptstraße eröffnet. Nun geben sie auf, Ende April ist endgültig Schluss.

 

„Wir müssen die Reißleine ziehen“, sagt Mark Peter Orts, der eine karierte Baskenmütze trägt. Zu wenige Leute haben die Ladenschwelle übertreten. Manchmal kamen zwei, manchmal gar keiner. Im Laden riecht es nach Räucherstäbchen. Würden Ketevan Orts-Mdivani und Mark Peter Orts ihre Ware nicht regelmäßig auf Flohmärkten verkaufen, hätten sie nicht so lange durchgehalten an der Filderhauptstraße, sagt Mark Peter Orts. Die schlechte Erfahrung verleitet ihn nun, die Einkaufssituation in Plieningen grundsätzlich zu beleuchten – und zu kritisieren.

Er spricht von „verkrusteten Strukturen“ bei der Händlergemeinschaft, vom mangelnden Erneuerungswillen mancher Plieninger. Er und seine Frau hätten oft Vorschläge gemacht – wie zum Beispiel, einmal einen Flohmarkt in Plieningen zu veranstalten. Daraus geworden ist nichts. „Irgendwann ist die Luft raus“, sagt Mark Peter Orts. Aus der Plieninger Leistungsgemeinschaft (PLG) sind die beiden vor ein paar Wochen ausgetreten.

„Ich bin ausgepowert“

Die „Galerie Tausendsassa“ ist nicht das einzige Geschäft an der Filderhauptstraße, das zumacht. Auch Radio Mörs hat geschlossen. Die Regale im Verkaufsraum gähnen vor Leere, der 62-jährige Milan Quass hat sein Fachgeschäft für Fernseh- und Radiogeräte Ende Januar geschlossen. Die Großbaustelle für die Sanierung des Ortskerns hätte ihm den Rest gegeben, sagt er. „Ich hätte die Jahre bis zur Rente schon gern noch gemacht, aber die 19 Monate Baustelle waren tödlich“, sagt er. Seine Einbußen hätten während der Bauzeit bei 65 Prozent gelegen. Die Ladentür schließt Quass zwar, der Kundenservice geht weiter.

Wenn der Mann in diesen Tagen seine Unterlagen ordnet, zieht er sich seinen weißen Kittel über. Als wäre alles beim Alten. „So kennen mich die Leute“, sagt er. Seit 40 Jahren gibt es „Radio Mörs“, Milan Quass hatte den Laden Mitte der 90er-Jahre übernommen, er war eine Institution in der Plieninger Geschäftswelt.

Dasselbe gilt für das Atelier Ariane an der Filderhauptstraße. Seit 21 Jahren betreibt Ariane Allmendinger das Fotostudio im Bezirk. Am 23. März ist der letzte Tag; an den Schaufenstern ist deshalb zu lesen, dass Möbel zu haben sind. „Ich bin ausgepowert“, sagt die 55-Jährige. „Ich hätte mein Studio gerne übergeben, aber ich habe keinen Nachfolger gefunden.“

„Es ist eine negative und traurige Entwicklung“

Zu denen, die sich von der Ladenmeile verabschieden, gehören zudem eine Videothek und ein Reisebüro. Wolfgang Klein verleiht in Plieningen seit 30 Jahren Filme. „Das Internet ist der Umsatzkiller Nummer eins“, sagt der 63-Jährige. Die Baustelle habe ihr Übriges beigetragen. Klein verlässt Plieningen zeitgleich mit Nicole Schwille-Alber. Die Betreiberin des TUI-Reise-Centers kann sich jedoch nicht über schlechte Umsatzzahlen beklagen, wie sie sagt. Sie ziehe aus persönlichen Gründen nach Bernhausen. „In Plieningen haben wir von Anfang an einen Riesenerfolg gehabt“, sagt sie.

Konstantin Marmonitis beobachtet das Ladensterben besorgt. Er ist der Vorsitzende der PLG. „Wir haben in der Tat gerade eine Veränderung auf der Filderhauptstraße“, sagt er. „Es ist eine negative und traurige Entwicklung. Die Ursache kenne ich nicht.“ Bei der Hauptversammlung des Gewerbevereins am 20. März will Marmonitis das Thema mit den anderen besprechen.

Mark Peter Orts von der „Galerie Tausendsassa“ hat sehr wohl eine Erklärung für die Probleme. Er sieht die Plieninger Bürger in der Pflicht. Anstatt dass sie die Händler unterstützen, würden sie angeblich lieber in den umliegenden Ortschaften einkaufen – damit niemand sieht, was sie aufs Kassenband legen. Das würde man sich so erzählen, sagt er. „Und wenn sie dann mal bei uns reinkommen, fühlen sie sich verpflichtet, etwas zu kaufen“, sagt Mark Peter Orts. Manchmal entdecken er und seine Frau Nasenabdrücke auf der Schaufensterscheibe. Die müssen abends entstanden sein, nach Ladenschluss.