Was in anderen Branchen die Regel ist, scheint bei Film und Fernsehen eher die Ausnahme zu sein: faire Produktionsbedingungen mit Tarif- und Arbeitszeitregeln. Dass ARD und ZDF jetzt mehr Geld fordern, ist vor diesem Hintergrund verständlich.

Stuttgart - Vielen Menschen ist es wichtig, dass die Erzeuger exotischer Produkte wie Kaffee oder Kakao angemessen entlohnt werden. Deshalb sind sie bereit, für das Prädikat „fair gehandelt“ etwas mehr zu bezahlen. Fernsehzuschauer interessieren sich zwar in der Regel nicht dafür, wie eine Produktion entstanden ist, aber ein Prädikat dieser Art gibt es auch in dieser Branche: Seit vier Jahren zeichnet der von den Filmleuten vergebene „Hoffnungsschimmer“ Produzenten aus, die dafür gesorgt haben, dass ein Film oder eine Serie unter möglichst fairen Arbeitsbedingungen zustande gekommen sind. Aktueller Preisträger ist Peter Hartwig für den „Fall Bruckner“ in der ARD.

 

Als Preiskriterien für den „Hoffnungsschimmer“ gelten gutes Arbeitsklima, offene Kommunikation sowie tarifgemäße Gagen und Arbeitszeiten – lauter Aspekte also, die selbstverständlich sein sollten. Und weil Qualität, dazu auch noch fair produziert, nun mal etwas teurer ist, fordern ARD und ZDF die Freigabe der Mehreinnahmen aus dem Rundfunkbeitrag. Laut bisherigen Berechnungen liegt dieser Betrag bei 1,5 Milliarden Euro. Die ARD hat für die 2017 beginnende nächste Gebührenperiode ohnehin 1,6 Milliarden Euro als zusätzlichen Bedarf pro Jahr veranschlagt, das ZDF braucht für den Zeitraum, der sich bis 2020 erstreckt, 383 Millionen Euro mehr als bisher.

Angst vor der Schwarzen Liste

Tatsächlich gewinnt man bei Gesprächen mit Betroffenen den Eindruck, tarifgemäß abgewickelte Produktionen seien eher die Ausnahme als die Regel. Namentlich zitiert will allerdings niemand werden, so groß ist die Angst, als Querulant auf einer Schwarzen Liste zu landen.

Die Schauspieler monieren, dass gerade namhafte Produktionsfirmen bei den Verhandlungen knallhart seien und großen Druck ausübten. Tontechniker beklagen, die Arbeitsbedingungen in der Postproduktion stießen „an die Grenzen des Machbaren.“ Die zur Verfügung stehende Zeit habe sich „in den letzten fünf Jahren halbiert, die Budgets gehen stetig nach unten, während die Anforderungen wachsen.“ Ein freiberuflicher Sounddesigner sagt, dass für seinen Bereich meist nur noch „Restgeld“ übrig sei, weil die Dreharbeiten oft teurer geworden seien als veranschlagt. Während am Set immerhin noch Verträge üblich seien, werde in der Tonbearbeitung nicht auf Lohnsteuerkarte mit entsprechenden Tarifvereinbarungen gearbeitet: „Wer einen Vertrag wünscht, gilt schnell als kompliziert“.

Aber auch ein Tarifvertrag garantiert nicht, dass man sein Geld bekommt. Eine Umfrage der Bundesvereinigung der Filmschaffenden-Verbände hat ergeben, dass ein Drittel der Beschäftigten regelmäßig untertariflich entlohnt werde. 80 Prozent der Befragten bemängelten, dass Überstunden oder Feiertagszuschläge selten oder nie gezahlt würden. Angesichts des Auseinanderdriftens der Budgets und der allgemeinen Kostenentwicklung fürchtet Regine Hergersberg, geschäftsführender Vorstand der Bundesvereinigung, dass die Einführung des Mindestlohns der Branche noch große Bauchschmerzen bereiten werde: „Die Entlohnung für Praktikanten lag bis jetzt meist deutlich unter der neuen gesetzlichen Regelung.“ Das Problem müsse jedoch gerade bei Auftragsproduktionen für ARD und ZDF an anderer Stelle angegangen werden: „Die Sender sind an Etats gebunden, die sich nach den Vorgaben der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs richten. Die KEF hat aber keinen Auftrag bekommen, den Mindestlohn bei der Austarierung des Finanzbedarfs zu berücksichtigen. Diese Inkonsequenz müssen nun die Produzenten ausbaden.“

Sind die Sender die Bösen?

Deshalb weigert sich der Grimme-Preisträger Stephan Wagner („Mord in Eberswalde“) auch, die Unternehmen anzuklagen. Gerade im Fernsehbereich, sagt der geschäftsführende Vorstand Bundesverband Regie, seien die Produzenten nur Stellvertreter: „Verursacher der Misere sind ganz klar die Sender, allen voran die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die keine Bereitschaft zeigen, die Kostenentwicklungen, denen alle Wirtschaftsgüter unterliegen, auch auf den Bereich Fernsehfilm zu übertragen und seriös kalkulierte Produktionsmittel zur Verfügung stellen.“ Seit vielen Jahren werde es für selbstverständlich erachtet, „dass mit eingefrorenen oder sogar gesunkenen Budgets gearbeitet wird.“

Dem widerspricht ZDF-Fernsehfilmchef Reinhold Elschot allerdings energisch: „Seit ich vor sechs Jahren hier Chef geworden bin, sind die Etats unserer Fernsehfilme nicht kleiner geworden, sondern kontinuierlich gestiegen. Manche können damit besser und vernünftiger umgehen als andere.“ Gebhard Henke, Programmbereichsleiter Fernsehfilm beim WDR, äußert sich ähnlich: „Ein Film kostet die Summe X, damit muss man klar kommen und einen Stoff eben dem Budget entsprechend entwickeln.“ Würden die Einzeletats erhöht, müsse die Zahl der Filme reduziert werden.

Das wiederum weckt die Empörung der Unternehmer. Uli Aselmann, Vorstandsmitglied der Produzentenallianz, nennt Henkes Drohung kurios: „Wofür steht der Sender denn, wenn er noch weniger Filme produzieren lässt?“ Und für viele Produktionen dürfte in Zukunft sowieso gelten, was der Produktionsleiter Peter Güde, der mit der ARD-Serie „Die Rentnercops“ für den „Hoffnungsschimmer“ nominiert war, ganz generell formuliert: „Die Branche basiert auf Selbstausbeutung. Das wird mit dem Gefühl belohnt, zu den Coolen zu gehören. Deshalb lässt man sich auf Arbeitsbedingungen ein, die sich Fabrikarbeiter nie gefallen lassen würden.“ Die Organisation eines Filmdrehs, bestätigt der Regisseur Stephan Wagner, komme mittlerweile „einer Mangelverwaltung gleich.“ Auf der einen Seite solle man „ein hochwertiges Produkt liefern, auf der anderen Seite verrichtet das Team wochenlang seine Notdurft auf Dixi-Klos.“