Glamour auf französisch: Am Mittwochabend beginnen die 66. Internationalen Filmfestspiele in Cannes mit Leonardo DiCaprio in dem Film „Der großem Gatsby“, einer Leinwandadaption von F. Scott Fitzgeralds Roman.

Cannes - Großpolitisch betrachtet, steht es um die deutsch-französischen Beziehungen nicht zum Besten – derzeit. Angefangen hat es mit Hollandes Präsidentschaft. In filmpolitischer Hinsicht reicht die Störung aber viel länger zurück.

 

Wenn heute Abend – zum feierlichen Auftakt der 66. Internationalen Filmfestspiele – das Festivalpalais in Cannes Luz Bahrmans Leinwandadaption von F. Scott Fitzgeralds Roman „Der große Gatsby“ präsentiert, werden im Publikum sehr viele Deutsche sitzen. Deutsche reisen gern nach Cannes, filmhalber und überhaupt. Aber im ganzen elftägigen Palmenwettbewerb werden sie keinen einzigen deutschen Film zu sehen bekommen. Neunzehn Regisseure aus unterschiedlichsten globalen Regionen nehmen teil. Von Germany, Allemagne hört man schon lange nichts mehr.

Frankreichs Filmindustrie will fast die Hälfte der Palmen

Diesen Tatbestand haben wir nun seit einem halben Jahrzehnt. Und wer ihn unbegreiflich, rätselhaft, schier skandalös findet, ist der deshalb schon ein Boche, ein Nationalist? Die Franzosen bedenken ihr Festival, was nationale Interessen anlangt, erheblich ungenierter, als es ein Dieter Kosslick mit seiner Berlinale jemals wagen würde. Zählt man alle „en compétition“ und „hors compétition“ gezeigten Wettbewerbsfilme zusammen, dann hat Frankreichs Filmindustrie annähernd die Hälfte der gesamten Palmenkonkurrenz okkupiert. Weder Venedig noch Berlin würden sich solche Unwucht jemals erlauben.

Ja, die Deutschen tun sich schwer in Cannes, die – und die Frauen. Trotz massiven Protesten in den vergangenen Jahren gelang es nur einer einzigen Regisseurin, sich in die Herren- und Altherrenriege der Festivalgesellschaft hineinzuboxen: Valeria Bruni-Tedeschi (die Schwester von Carla, der Gattin des Ex-Präsidenten Sarkozy) darf ihr „Château en Italie“ zeigen, einen autobiografisch temperierten Großfamilienfilm. (Sofia Coppolas diebstahlpralles Teenie-Drama „The Bling Ring“ wurde in die Nebenreihe „Un certain regard“ abgeschoben.) Dafür lud man viele alte, bewährte Kämpen ein, deren profilierteste sogar den „Hattrick“ schafften, die Teilnahme an den drei europäischen A-Festivals Venedig, Cannes und Berlin – so etwa Roman Polanski, Steven Soderbergh, François Ozon und Takashi Miike.

Es wird multinational

Polanski hofft Sacher-Masochs altkultigem Boudoirroman „Venus im Pelz“ neue Quällüste abzugewinnen, Soderberghs angeblich letzter Film beutet das amouröse Debakel des schwulen Glamour-Entertainers Liberace filmisch aus (mit Michael Douglas und Matt Damon), Ozon will mit einem Mädchenporträt in vier Teilen mit vier Liedern überraschen, Miike suhlt dreidimensional in den bewährten Blutbädern.

Weitere Teilnehmer, mit Ortskenntnissen von mindestens zwei der europäischen Festivals: die US-Brüder Coen, der Italiener Paolo Sorrentino, der Chinese Jia Zhangke, der Amerikaner James Gray, der Japaner Hirokazu Koreeda, der Däne Nicolas Winding Refn, der Mexikaner Amat Escalante sowie, frisch der Berlinale abgeluchst, der Iraner Asghar Farhadi. Außerdem der tschadbürtige Franzose Mahamat-Saleh Haroun, der tunesienbürtige Franzose Abdellatif Kechiche, die frank-reichbürtigen Franzosen Arnaud Desple-chin und Arnaud de Pallieres, welcher den Deutschen hohnvollerweise auch noch einen ihrer Elementarstoffe wegschnappt: Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ (mit Mads Mikkelsen in der Titelrolle), hier französisch racontiert.

Thema 3-D: Bertoluccis „Letzten Kaiser“ vom Jahr 1987 zeigt Cannes in einer Sonderschau dreidimensional. Und auch das Eröffnungsspektakel, das zwielichtig-hochgemute Treiben des großen Gatsby, sollen die illustren Festivalgäste durch die 3-D-Pappbrille verfolgen; Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan, sie alle wohnen der Premiere heute Abend mit schwarzgrün verglasten Augen bei. Aber was heißt da Premiere? Dass Cannes sich de facto das Recht der ersten Nacht abdingen ließ (in amerikanischen Kinos läuft Baz Luhrmans 3-D-Film ja schon seit Tagen), zeigt die Macht der US-Majors: sie verschieben Starttermine nicht länger, nur wegen des hochmütigen Treibens des kleinen Cannes.