Die Biologiebücher müssen wieder einmal umgeschrieben werden: In Flechten leben nicht nur eine Pilz- und eine Algenart zusammen. Auch Hefepilze sind beteiligt.

Stuttgart - Die Lehrbücher der Biologie müssen wieder einmal umgeschrieben werden. Der Direktor des Botanischen Gartens in Basel, Simon Schwendener, hatte 1867 entdeckt, dass sich Pilze und Algen seit Urzeiten in Form von Flechten zu einer sehr erfolgreichen und unzertrennlichen Kooperation zusammengetan haben. Seitdem gilt es als Dogma, dass eine Flechte immer aus zwei Partnern besteht. Allerdings haben Schwendener und alle anderen Forscher seither einen dritten Teilnehmer übersehen: Toby Spribille von der Universität Graz und der University of Montana im US-amerikanischen Missoula und seine Kollegen in Österreich, den USA, Kanada und Schweden präsentieren in der Zeitschrift „Science“ jetzt einen Hefepilz aus der Ordnung Cyphobasidiales als dritte, lebenswichtige Komponente in einer ganzen Reihe verschiedener Flechten.

 

„Dabei wollten wir eigentlich nur untersuchen, warum eine bestimmte Flechte in den USA gelb gefärbt ist und die für Säugetiere giftige Vulpinsäure produziert, während ein naher Verwandter dunkelbraun und ungiftig ist“, erklärt der Biologe Philipp Resl, der in der Gruppe von Helmut Mayrhofer in Graz gemeinsam mit Toby Spribille forscht. Beide Flechten wachsen im Nordwesten der USA – und die Ureinwohner kannten die Unterschiede zwischen ihnen durchaus. Flechten standen damals häufiger auf dem Speiseplan und die braune Flechte Bryoria fremontii sammelten sie gern. Die gelbe Bryoria tortuosa kannten sie dagegen als giftig und ließen sie stehen.

Schwierige Suche nach Unterschieden

Als die Forscher diese Flechten mit den heutigen Methoden analysierten, fanden sie zunächst nicht den geringsten Unterschied. Beide bestanden aus dem gleichen Pilz, in dessen Gewebe bei beiden Flechten die gleiche Alge eingebettet ist. Die Alge stellt aus CO2 und Wasser mit der Energie des Sonnenlichts Zucker her, der als Energiespeicher und Rohstoff für beide lebensnotwendig ist. Der Pilz stellt die schützende Hülle zur Verfügung und versorgt beide Partner mit Spurenelementen.

Nach diesem Muster „Pilz mit eingebetteter Alge“ funktionieren alle Flechten. Weshalb aber strahlt dann eine der beiden Flechten leuchtend gelb und produziert giftige Vulpinsäure, während die andere braun und essbar ist? Weder im Erbgut der Alge noch in dem des Pilzes fanden sich Unterschiede.

Irgendetwas aber musste anders sein. Nur was? „Um das herauszubekommen, untersuchten wir die gesamte Boten-RNA, die beide Flechten produzieren“, erinnert sich Philipp Resl. Diese Boten-RNA ist eine Abschrift eines Abschnitts im Erbgut, die den Bauplan zur Produktion von Proteinen enthält. Da jede Zelle etliche verschiedene Proteine herstellt, erhielten die Forscher einen großen Wust von Boten-RNA. Deren genaue Analyse aber brachte eine Überraschung: Etliche Boten-RNA-Stücke passten weder zum bekannten Pilz noch zur Alge. Die „zusätzliche“ Boten-RNA stammte vielmehr von einem Hefepilz aus der Ordnung Cyphobasidiales, ergab eine Datenbank-Analyse. „Zunächst hatten wir erhebliche Zweifel an diesem Ergebnis und tüftelten immer neue Experimente aus, um den Fund zu bestätigen“, erinnert sich Philipp Resl. Das Ergebnis aber war immer gleich: In der gelben Flechte Bryoria tortuosa leben nicht nur ein Pilz und eine Alge zusammen, sondern als dritter Partner auch noch ein Hefepilz.

Identische Befunde bei anderen Arten

Noch aber war der Befund ein Einzelfall. Toby Spribille und seine Kollegen untersuchten daher etliche weitere Flechten aus allen Kontinenten. Sie fanden die Hefe als dritten Partner tatsächlich in rund drei Vierteln der Parmeliaceae-Flechten-Familie, zu der sehr viele Arten gehören. Die bisherige Lehrmeinung, dass es sich bei Flechten nur um eine Kooperation zwischen einem Pilz und einer Alge handelt, muss also korrigiert werden.