Maria G. hat in Italien bei Prozessen gegen die kalabrische Mafia als Kronzeugin ausgesagt. Heute lebt sie in Deutschland – und immer noch in Angst vor der ’Ndrangheta.

Stuttgart - Manchmal wünscht sich Maria G., gar nicht am Leben zu sein. „Ich bin im Oktober 1981 geboren und es wäre besser, wenn das nicht passiert wäre,” sagt sie über ihre Geburt in Deutschland. Denn in ihrem Leben hat sie bisher nur Gewalt, Ausbeutung und Angst vor der Rache der Mafia erfahren. Trotzdem ist sie eine der wichtigsten Kronzeuginnen gegen die italienische Mafia. Sie sagte in zehn Prozessen aus, dank ihrer Hinweise konnte die Polizei insbesondere die Organisation der kalabrischen ’Ndrangheta besser verfolgen. Vor einem Jahr ist sie aus dem italienischen Zeugenschutzprogramm ausgestiegen und nach Baden-Württemberg gezogen. Sie hat auch keine Scheu mehr, ihre Geschichte deutschen Journalisten zu erzählen. „Ich stehe sowieso auf der Liste. Wenn sie mich umbringen wollen, können sie das jederzeit tun. Aber ich will nicht mehr ständig weglaufen. Ich will Ruhe, vor allem für meine Kinder. Sie sollen endlich ankommen können“, sagt Maria G.

 

Maria wächst als Kind einer italienischen Gastarbeiterfamilie in der Nähe von Stuttgart auf. Mit 16 Jahren lernt sie bei einem Urlaub in Italien ihren ersten Mann kennen: ein Mitglied der Mafia-Gruppierung der ’Ndrangheta. Diese gilt als eine der mächtigsten Mafia-Organisationen der Welt. Maria wird mit dem Mann verheiratet und bekommt schnell drei Kinder. Ihr Mann führt sie aber gleichzeitig in die Welt der Mafia ein. Sie ist in den Drogen- genauso wie in den Menschenhandel verwickelt – und versucht immer wieder, dem Verbrechen zu entkommen.

Das ganze Leben ist mit der Mafia verflochten

Doch alles im Leben von Maria ist nun mit der Mafia verflochten. Als sie sich von ihrem gewalttätigen Mann trennen will, setzt es Schläge. Ihre Familie zwingt sie, die Ehe weiter zu führen. Als sie zur Polizei geht, um sich von ihrem Ehemann zu lösen, will dieser sie angeblich töten. Er versucht, so Maria, ihr den Mund und das Gesicht mit Säure auszuwaschen. Eine Prozedur, mit der häufig Mafia-Zeugen ermordet werden. Von den wenigen Frauen, die bislang gegen die Mafia aussagten, wurden mehrere auf diese Art umgebracht.

Ihr Mann zieht die Fäden in seinem Mafia-Clan und steigt auf. Er hilft einem Boss aus dem Clan der Morfò bei der Flucht nach Deutschland und taucht schließlich selbst in Süddeutschland unter. Deutschland ist als Rückzugsraum für Mafiosi attraktiv, wenn der Druck durch Ermittler in Italien zu groß wird. Aus Unterlagen deutscher und italienischer Mafia-Ermittler, aus Berichten des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter geht hervor, wie frei sich Mafiosi in Deutschland bewegen können.

Maria G. arbeitet auf Druck der Polizei von 2008 an mit dem italienischen Staat zusammen, sagt 2010 in einem großen Prozess aus und flüchtet anschließend mit ihren Kindern in das italienische Zeugenschutz-Programm. Trotzdem wird sie immer wieder bedroht, angegriffen und belagert. Am Telefon, auf der Straße. Ihre Autos und ihre Wohnungen wurden mehrfach angezündet. Eine Dokumentation der Taten listet elf Anschläge in knapp zwei Jahren auf. „Ich bin aus dem Zeugenschutzprogramm wieder ausgestiegen, weil ich eine lebende Leiche bin. Hier in Deutschland oder in Italien – das ist dasselbe,“ sagt Maria G. heute ernüchtert.

Maria G. versucht, ihre Kinder zu schützen

Die Recherche über das Leben der Maria G. führt direkt ins Herz der Mafia. Nach den Erklärungen der Kronzeugin kann sich die organisierte Kriminalität auch in Deutschland ausbreiten, weil viele Menschen aus dem Umfeld der Mafia kein Vertrauen in die staatlichen Institutionen haben. Sie glauben daran, dass sie der Gnade der Mafia-Bosse ausgeliefert sind. Dieser Glaube macht die Mafia so stark. Die Kronzeugin Maria G. stellt klar: Nur die wenigsten entscheiden sich freiwillig, in die Mafia einzutreten. Sie werden hineingeboren und steigen auf – oder sterben bei dem Versuch, das zu schaffen.

Maria G. hat mittlerweile fünf Kinder, zwei davon mit ihrem heutigen Ehemann. Sie versucht, ihre Kinder vor dem Schicksal in der Mafia zu bewahren. „Mein Ältester ist 18, er weiß von meiner Geschichte und hat auch schon selbst in einem Prozess ausgesagt“, erzählt Maria. Sie schickt ihre Kinder in die Schule und versucht, ihnen Vertrauen in die Institutionen beizubringen. „Die vier anderen Kinder kennen die ’Ndrangheta nicht. Sie hören zu Hause auch nichts über Waffen und Drogen. Sie sind ganz normale Kinder,“ sagt Maria. In Kalabrien wären ihre zwei Söhne bereits im Gefängnis oder würden mit Drogen handeln, behauptet sie. Doch immer wieder wird die ehemalige Kronzeugin zurückgeworfen in die alte Welt der Mafia. Denn sie lebt mit der Angst, dass irgendwann ein Rächer der Mafia vor ihr steht und sie tötet.