Region: Verena Mayer (ena)

Im Frühjahr 2012 sammelt Rosemarie Vogt Unterschriften für eine Petition an den Landtag. Darin steht: „Wir haben von unserer Grundeinstellung nichts dagegen, dass Flüchtlinge in unserer Nachbarschaft einziehen.“ Aber 56 seien zu viele. Erst recht, wenn nur sechs Wohnungen zur Verfügung stünden. Drei oder vier Zimmer für neun oder zehn einander fremde Menschen? Ein kümmerliches Klo für alle? Ein beengtes Bad? Eine kärgliche Küche? „Jeder Schäferhund hat mehr Platz“, denkt Werner Vogt – und beginnt zu recherchieren: Ist eine solche Sammelunterkunft in einem Wohngebiet überhaupt erlaubt? Schließlich klagt er vor dem Verwaltungsgericht in Sigmaringen.

 

Die Vogts laden Stadträte zu sich nach Hause ein, damit sie sich ein Bild von der Unterkunft machen. Sie appellieren an den Oberbürgermeister und den Landrat, weitere Gebäude für die Asylbewerber zu suchen. Immer wieder versichern sie, ihr Protest richte sich nicht gegen die Ausländer. Doch hängen bleibt, dass Vogts die Probleme an die Wand malen, bevor die Ausländer überhaupt da sind. Rosemarie Vogt sagt, sie stelle es sich beängstigend vor, Dutzende Wildfremde passieren zu müssen, wenn sie abends nach Hause komme. Und wie oft, fragt sie rhetorisch, stehen junge Mädchen in kurzen Röcken vor der Schule – was, wenn da plötzlich Männer von gegenüber auftauchen? Dass die Ausländer früher oder später Drogen in die Weggentalstraße bringen, ist für die Lehrerin ohnehin klar. Heute sagt Rosemarie Vogt: „Wir waren so verunsichert.“ Eine Nachbarin sei mit ihrer 13-jährigen Tochter aus Angst sogar weggezogen.

Zur Unsicherheit kommt Unverständnis. In den örtlichen Zeitungen bekriegen sich die Rottenburger über Leserbriefe: Gutmenschen gegen Bösmenschen. Wer den Asylsuchenden Hilfe verwehre, erzeuge ein Klima der Verachtung, schreiben die einen. Wem die dichte Belegung keine Angst mache, sei weltfremd, die anderen. Wochenlang geht das so. Vogts schlafen mit den düsteren Gedanken an die Sammelunterkunft ein und wachen mit ihnen auf.

Die Vogts kämpfen nicht nur für ihren eigenen Vorteil

Mitte April wendet sich der Fall. Werner Vogt gewinnt seine Klage. Das Verwaltungsgericht in Sigmaringen entscheidet: Was das Landratsamt in der Weggentalstraße plane, entspreche einer lagerähnlichen Unterbringung. Ein Mindestmaß an häuslicher Lebensführung sei bei einer solchen Überbelegung nicht mehr möglich. Besonders Anstoß nehmen die Richter an den unzureichenden sanitären Anlagen.

Der Landkreis Tübingen, dem das Haus gehört, muss Platz für Asylbewerber schaffen – und hat die Weggentalstraße ausgewählt. Im April sollen 56 Fremde Vogts neue Nachbarn werden. „Wenn Sie so etwas hören, dann erschrecken Sie erst mal“, sagt Rosemarie Vogt im Rückblick.

Aus ihrem Wohngebiet wurde ein Wutgebiet, wie es sie zurzeit viele gibt, nicht nur in Berlin-Hellersdorf: In Sachsenheim im Kreis Ludwigsburg versuchen Bürger hartnäckig, ein Asylbewerberheim zu verhindern, von dessen Planung sie sich überrascht fühlen. Im nahe gelegenen Pleidelsheim tauchten Flugblätter gegen die Umwidmung eines Hotels in eine Flüchtlingsherberge auf. In Waiblingen flehten Anwohner den Oberbürgermeister an, einen anderen Standort für die neue Sammelunterkunft zu suchen. Auch dort fühlten sich die Bürger überrumpelt. Und ihre Nachbarn in Fellbach haben die Stadt verklagt, weil diese ein Wohnheim für 50 Jugendliche kurzerhand zu einem Heim für 70 Flüchtlinge gemacht hat.

Die Vogts glauben, dass niemand vor Freude Luftsprünge macht, wenn sich vor der eigenen Haustür eine massive Veränderung anbahnt. Doch sie haben erfahren: wenn man sich als Betroffener nicht ernst genommen fühlt, ist der Widerstand umso heftiger.

Ein Klo für zehn Menschen

Im Frühjahr 2012 sammelt Rosemarie Vogt Unterschriften für eine Petition an den Landtag. Darin steht: „Wir haben von unserer Grundeinstellung nichts dagegen, dass Flüchtlinge in unserer Nachbarschaft einziehen.“ Aber 56 seien zu viele. Erst recht, wenn nur sechs Wohnungen zur Verfügung stünden. Drei oder vier Zimmer für neun oder zehn einander fremde Menschen? Ein kümmerliches Klo für alle? Ein beengtes Bad? Eine kärgliche Küche? „Jeder Schäferhund hat mehr Platz“, denkt Werner Vogt – und beginnt zu recherchieren: Ist eine solche Sammelunterkunft in einem Wohngebiet überhaupt erlaubt? Schließlich klagt er vor dem Verwaltungsgericht in Sigmaringen.

Die Vogts laden Stadträte zu sich nach Hause ein, damit sie sich ein Bild von der Unterkunft machen. Sie appellieren an den Oberbürgermeister und den Landrat, weitere Gebäude für die Asylbewerber zu suchen. Immer wieder versichern sie, ihr Protest richte sich nicht gegen die Ausländer. Doch hängen bleibt, dass Vogts die Probleme an die Wand malen, bevor die Ausländer überhaupt da sind. Rosemarie Vogt sagt, sie stelle es sich beängstigend vor, Dutzende Wildfremde passieren zu müssen, wenn sie abends nach Hause komme. Und wie oft, fragt sie rhetorisch, stehen junge Mädchen in kurzen Röcken vor der Schule – was, wenn da plötzlich Männer von gegenüber auftauchen? Dass die Ausländer früher oder später Drogen in die Weggentalstraße bringen, ist für die Lehrerin ohnehin klar. Heute sagt Rosemarie Vogt: „Wir waren so verunsichert.“ Eine Nachbarin sei mit ihrer 13-jährigen Tochter aus Angst sogar weggezogen.

Zur Unsicherheit kommt Unverständnis. In den örtlichen Zeitungen bekriegen sich die Rottenburger über Leserbriefe: Gutmenschen gegen Bösmenschen. Wer den Asylsuchenden Hilfe verwehre, erzeuge ein Klima der Verachtung, schreiben die einen. Wem die dichte Belegung keine Angst mache, sei weltfremd, die anderen. Wochenlang geht das so. Vogts schlafen mit den düsteren Gedanken an die Sammelunterkunft ein und wachen mit ihnen auf.

Die Vogts kämpfen nicht nur für ihren eigenen Vorteil

Mitte April wendet sich der Fall. Werner Vogt gewinnt seine Klage. Das Verwaltungsgericht in Sigmaringen entscheidet: Was das Landratsamt in der Weggentalstraße plane, entspreche einer lagerähnlichen Unterbringung. Ein Mindestmaß an häuslicher Lebensführung sei bei einer solchen Überbelegung nicht mehr möglich. Besonders Anstoß nehmen die Richter an den unzureichenden sanitären Anlagen.

Das Urteil bescheinigt indirekt, dass die Vogts nicht nur für ihren Vorteil gekämpft haben.

Wenige Wochen später kommen statt 56 nur 42 Flüchtlinge in der Weggentalstraße an. Die Lage hat sich beruhigt, von Ruhe kann aber noch keine Rede sein. Frühmorgens schallt der Ruf des Muezzin aus den Kassettenrekordern von nebenan zu Vogts hinüber. Spätabends ist es das Plärren kleiner Iraker, Mazedonier oder Afghanen, die den Hof der nahen Schule als Spielplatz entdeckt haben. Die Vogts schreiben Briefe an das Landratsamt, immer wieder. Man möge den Nachbarn erklären, dass es in Deutschland Ruhezeiten gibt – und Rücksichtnahme und Mülltrennung. Damit in den Gelben Säcken keine Essensreste mehr verrotten und zum Himmel stinken. „Nur wenn man die Missstände meldet, können sie behoben werden“, sagt Rosemarie Vogt – in einem Ton, in dem sie ihren Schülern früher bestimmt oft gesagt hat, dass der Unterricht pünktlich beginnt.

Die Vogts haben die Welt bereist. Sie waren in Afrika, China, Südamerika und vielen anderen Ländern. Die Eheleute haben angeboten, einen der Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen. Man müsse vor Ausländern ja keine Angst haben, sagen sie. Man müsse ihnen eben nur vermitteln, dass in Deutschland bestimmte Regeln gelten – im Interesse aller. Andere Länder, andere Sitten eben. Seit Rosemarie Vogt den letzten Missstand im Landratsamt gemeldet hat, ist viel Zeit vergangen. Es gibt keinen mehr.

Happy End in der Weggentalstraße

Das Leben in der Weggentalstraße ist inzwischen so, wie es sich Bürgermeister und Landräte wünschen, die ihren Protestgemeinden wieder und wieder erklären, dass man sich um die Fremden kümmern müsse. Und so wie es sich die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) vorstellt, die in ihrem neuen Flüchtlingsgesetz deshalb kleinere Unterkünfte in zentraler Lage festschreibt statt Containerdörfer auf der grünen Wiese. Und das Leben in der Weggentalstraße hat sich so entwickelt, wie es der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg immer wieder erlebt: Die Ängste der Anwohner erweisen sich überwiegend als unbegründet.

Ein junger Mann aus dem Fremdenheim in der Weggentalstraße kümmert sich um den Garten eines Rentners mit Eigenheim. Benötigt er eine Heckenschere oder ein Verlängerungskabel, hilft ihm der Forstwirt Werner Vogt aus. Ein einheimischer Anwohner schenkt seinen ausländischen Umwohnern selbst gezüchtete Zucchini. Von der Suppe, die daraus entsteht, bekommt auch er etwas ab. Die Stühle auf der Wiese vor der Sammelunterkunft stammen von einem Nachbarn. Die gebrauchten Räder der Flüchtlinge hat ein Mechaniker verkehrstauglich gemacht.

Und Rosemarie Vogt, die frühpensionierte Lehrerin, unterrichtet wieder. Drei Mal pro Woche bringt sie einer jungen Iranerin Deutsch bei, damit sie in der Schule besser folgen kann. Wie es dazu kam? „Vielleicht aus Dankbarkeit, weil inzwischen alles so gut klappt.“