Das Rote Kreuz in Baden-Württemberg warnt: Ehrenamtliche Helfer sind bereits an ihre Belastungsgrenze gestoßen. „Das ist die größte humanitäre Herausforderung in der Nachkriegszeit,“ sagt Lorenz Menz, der Präsident des DRK-Landesverbandes.

Stuttgart - Rotkreuz-Helfer haben innerhalb von zwei Tagen in der Messe in Sinsheim eine Unterkunft für 1400Flüchtlinge eingerichtet. Im Rottenburger Stadtteil Ergenzingen musste „in wenigen Stunden“ eine leer stehende Gewerbehalle als Bleibe für 800 Menschen ertüchtigt werden. Auch dort waren DRK-Mitarbeiter im Einsatz. In jedem Zug, der von Bayern aus Flüchtlinge nach Baden-Württemberg bringt, fahren vier Sanitäter des Roten Kreuzes zur Betreuung der Menschen mit. „Wir fragen nicht, wer hat das Recht zu kommen; wir fragen, wer braucht unsere Hilfe,“ sagt der Präsident des DRK-Landesverbandes Baden-Württemberg, Lorenz Menz. Doch er mahnt auch: „Die Grenze der Belastbarkeit unserer Frauen und Männer ist erreicht.“ Er habe die Sorge, dass eine weitere Belastung zu einem Kollaps führen könnte. Ehrenamtliche könnten nicht in den Regelbetrieb einer Flüchtlingsunterkunft eingebunden werden, dort müsse man „schnell hauptamtliche Strukturen schaffen“.

 

Viele Nicht-Rotkreuzler kamen, um zu helfen

„Ich weiß nicht,“ so Menz, „wie man noch mehr Leute aktivieren könnte.“ Schon in Sinsheim zum Beispiel habe er erlebt, dass viele Menschen zum Mithelfen gekommen seien, „die mit dem DRK noch nichts zu tun gehabt haben“. Menz sieht in der gegenwärtigen Flüchtlingsbewegung „die größte humanitäre Herausforderung der Nachkriegszeit“. Es sei nun an der Gesellschaft zu zeigen, dass sie die an den Bahnhöfen gezeigte Willkommenskultur in eine „solidarische, offene Alltagskultur“ weiter entwickeln könne.

Am Roten Kreuz soll es nicht liegen. Man biete in den Kreisverbänden Fortbildungen an, um die Mannschaft auf die Notwendigkeiten der anstehenden Integrationsaufgaben vorzubereiten, denn „die allermeisten Menschen werden bleiben“.

Der aktuelle Ansturm bringt das DRK auch bei der Güter-Logistik an ungeahnte Grenzen. Das Katastrophenschutzlager des Roten Kreuzes in Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen) ist im Auftrag der Landesregierung inzwischen Logistikzentrum für die Verteilung von Material an die Aufnahmestellen und Notunterkünfte. Von dort sind bereits 45 000 Schlafsäcke ausgeliefert worden. So schnell können neue gar nicht wieder beschafft werden, weil die Herstellern angesichts der hohen Nachfrage inzwischen vier bis fünf Wochen Lieferfrist haben. Nicht anders ist es bei Feldbetten, die das Südwest-DRK auch schon aus den USA, Kanada oder Norwegen beschafft hat. Diese Erfahrung führt Menz zur Forderung, dass solche Hilfsgüter in Zukunft deutlich umfänglicher bevorratet werden als bisher.

Das refinanziert die Kosten für das Material

Die Sorge, dass das Rote Kreuz auf den anfallenden Materialkosten sitzen bleiben wird, hat man beim DRK nicht. „Was wir ausliefern, wird vom Land refinanziert,“ sagt der Landesgeschäftsführer Hans Heinz. Derzeit komme man mit der Rechnungsstellung aber ohnehin nicht nach. „Wir machen das nicht zum ersten Thema.“ Die Zusammenarbeit mit dem Land sei eng, ein DRK-Vertreter sitzt in der beim Innenministerium angesiedelten Task Force.

9000 Rettungseinsätze mehr als im Vorjahr

Wünsche an das Land hat das DRK freilich schon, wenn auch auf einem anderem Gebiet. Beim Innenministerium wird an einer Reformierung des Rettungsdienstgesetzes gearbeitet. Da wünscht sich Lorenz Menz, dass künftig umsichtiger geplant wird. Von Jahr zu Jahr nehme die Zahl der Rettungseinsätze zu. 2014 waren Fahrzeuge vom DRK-Landesverband (der nicht Südbaden umfasst) 505 000 Male unterwegs. Das waren fast 9000 Einsätze mehr als im Jahr zuvor.

Man habe sowohl zehn Rettungswagen als auch sieben Notarzteinsatzfahrzeuge zusätzlich in Dienst gestellt. Das dafür nötige Personal müsse man aber auch gewinnen. Bisher sei die Finanzierung des Rettungswesens stets an den Zahlen des Vorjahres orientiert worden und darum prinzipiell „auf Kante genäht“. Hier brauche es eine mittelfristige Planung unter Einbeziehung von Entwicklungsprognosen.

Ungeklärt ist zudem, welche Befugnisse der künftig eingesetzte Notfallsanitäter am Unfallort haben soll. Hier seien Gesetzgeber und Landesärztekammer gefordert. Nachdem „Politik und Krankenkassen viel Zeit vertan“ haben, sei die Aus- und Fortbildung der neuen Sanitäter jetzt angelaufen. Weil man so viel Personal schulen müsse, werde das DRK seine Ausbildung regionalisieren und an vier Orten verteilt im Land anbieten. Das DRK beschäftigt im Landesverband 7800 Hauptamtliche.