Der Syrer Nidal Mohammad hat überall Einschüsse und Brandwunden, er ist der Überlebende eines Massakers. Seine Lebensfreude hat er aber hat er nicht verloren. Nicht nur im Marienhospital in Stuttgart erfährt der 29-Jährige Hilfe.

Stuttgart - Das Erinnerungsstück liegt auf Nidal Mohammads Knie. Es ist eine 20 Zentimeter lange Metallplatte, zu der acht kinderfingerdicke Schrauben gehören. Bis vor wenigen Tagen war die Metallplatte in Nidal Mohammads rechtem Oberarm. Die Platte ist eng verwoben mit dem schrecklichen Tag im Jahr 2012, als der syrische Palästinenser mit zwölf anderen Männern in einem Linienbus in Damaskus unterwegs gewesen ist. Der Bus wurde von einer Militärkontrolle angehalten, die Männer mussten aussteigen. Dann begannen die Soldaten zu schießen, einer nach dem anderen brach tot zusammen. Acht Kugeln trafen Nidal Mohammad. Der damals 27-Jährige aber hatte Glück. Seine an den Ort der Schießerei gerufene Mutter stellte fest, das ihr blutüberströmter Sohn noch atmete. Syrische Ärzte retteten dem jungen Mann das Leben und entfernten sieben Gewehrkugeln aus Schulter, Armen und Beinen. Eine Kugel in der Leiste ist dem Flüchtling bis heute geblieben. Und die Metallplatte, die eingesetzt wurde, um den durchschossenen Knochen im Oberarm wieder zusammenwachsen zu lassen.

 

Sein Lebenswille ist ungebrochen

Seit November wohnt Mohammad in einer Flüchtlingsunterkunft in Oberaichen in Leinfelden-Echterdingen, Zimmer 26, erster Stock. Der Syrer hat im Moment nur einen Mitbewohner, in den meisten anderen Zimmern wohnen die Männer zu dritt. Sein Zimmernachbar aber schläft an diesem Nachmittag, deshalb erzählt Nidal Mohammad seine Geschichte im Treppenhaus der Unterkunft, wo eine kleine Holzbank und ein alter Sessel stehen. Warum die Militärs geschossen haben? „Vielleicht, weil sie getrunken hatten, vielleicht, weil ihnen danach war“, übersetzt Bessam Alubeyed, selbst Flüchtling aus Syrien, ebenfalls erst seit sieben Monaten in Deutschland, aber mit dem Deutschen so vertraut, dass er inzwischen ehrenamtlich für seine Landsleute dolmetscht. Ob ihn die Beinahe-Exekution in seinen Albträumen verfolgt? Nidal Mohammad schüttelt den Kopf und macht eine wegwerfende Handbewegung. „Nein.“

Was Nidal Mohammad aus seinem Heimatland erzählt, zeugt von unfassbarer Brutalität und vollkommener Ohnmacht. Die Art und Weise aber, wie er über die erlebten Schicksalsschläge redet, zeigt einen Menschen, dessen Lebenswille und dessen Fröhlichkeit ungebrochen sind. Die Stimmung in der kleinen Runde im Treppenhaus der Flüchtlingsunterkunft hat gar nichts Schweres. Dabei sind die Narben der Einschussstellen auf Mohammads Körper unübersehbar, genauso wie die zahlreichen Brandwunden, die ihm ein vierjähriger Gefängnisaufenthalt in Syrien eingebracht hat. „Ich wurde 2004 verhaftet wegen der Namensgleichheit mit einem anderen Mann.“ Er saß mit 10 000 weiteren Männern in Haft. Wenn den Aufsehern danach war, haben sie Zigaretten auf Nidal Mohammads Körper ausgedrückt. Erst ein Gefangenenaustausch brachte dem jungen Mann im Jahr 2008 eine Gerichtsverhandlung. Er wurde freigesprochen und konnte vier Jahre lang unbehelligt als Friseur in Damaskus arbeiten. Vier Jahre, bevor er im Bus in die Militärkontrolle geriet.

Unfallchirurg verzichtet auf 6000 Euro

„Vergangenheit“, sagt Nidal Mohammad. Um ihn in diesem Moment zu verstehen, ist kein Übersetzer nötig. Der Flüchtling ist froh, in Deutschland zu sein und in Oberaichen eine engagierte Helferin gefunden zu haben. Monika Heilmann hat auch dafür gesorgt, dass der 29-Jährige vor wenigen Tagen seine Metallplatte losgeworden ist. Der Syrer litt unter ständigen Schmerzen, konnte seinen Arm nicht über Brusthöhe heben. „Er hat Tag und Nacht große Mengen an Schmerzmitteln genommen. Die Medikamente führten bereits zu starken Magenbeschwerden“, erzählt Heilmann, die versucht hat, eine Operation über das Landratsamt Esslingen finanziert zu bekommen. „Ich habe Gutachten von Orthopäden vorgelegt, die gesagt haben, dass die Platte raus muss, die Finanzierung aber wurde abgelehnt mit der Begründung, es handle sich nicht um einen akuten Notfall.“ Beim Landratsamt Esslingen heißt es nur, dass in dieser Sache noch keine Entscheidung getroffen worden sei. Monika Heilmann jedenfalls hat nicht aufgegeben und schließlich im Stuttgarter Marienhospital Hilfe gefunden. Der Unfallchirurg Ulrich Liener war bereit, den Syrer zu operieren, das Marienhospital verzichtete auf die stationären Kosten in Höhe von 6000 Euro. „Wir brauchen unbürokratische Hilfe“, sagt die Ehrenamtliche.