Sehr kreativ sind die freiwilligen Flüchtlingshelfer im Landkreis, wie zwei Beispiele für Integrationsprojekte zeigen. Allein in Böblingen und Sindelfingen engagieren sich mehr als 400 Menschen für die Neuankömmlinge.

Sindelfingen/Böblingen - Grau verhangen ist der Himmel, dicke dunkle Regenwolken kleben aneinander, kalt pfeift der Wind. Die Männer auf der Terrasse des Christlichen Vereins junger Menschen (CVJM) in der Sindelfinger Seestraße stört das nicht. Eifrig werkeln sie an ihren Fahrrädern. Kiflom E. zieht einen neuen Schlauch ins Vorderrad seines Bikes. Der 43-jährige Eritreer, der seit einigen Monaten im Wohnheim in der Sindelfinger Nüssstraße lebt, ist glücklich, endlich ein Rad ergattert zu haben. Eine lange Warteliste führt der Leiter der Radwerkstatt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Wir haben stets 30 bis 35 Namen auf unserer Liste.“

 

Er und seine Mitstreiter sammeln gebrauchte Fahrräder von Privatleuten ein, reparieren sie gemeinsam mit den Flüchtlingen. Etwa 80 Bikes haben die Ehrenamtlichen in diesem Jahr schon ausgegeben – an junge Männer, mittelalte Männer, Kinder und auch an einige Frauen aus Afghanistan und Eritrea. „Für sie bedeutet  Radfahren ein Schritt in die Emanzipation“, sagt der Werkstattleiter.

Aber nicht nur einige Flüchtlingsfrauen sitzen in Sindelfingen zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Rad, auch viele Männer kannten bisher diese Art der Fortbewegung nur aus dem Fernsehen. „Ich muss noch üben“, räumt Kiflom E. ein. Zunächst aber kämpft er mit dem Einziehen eines neuen Schlauchs. Dabei hilft ihm der 14 Jahre alte Max Schwarzwälder. Der Realschüler aus Hinterweil absolviert sein Sozialpraktikum im Asylcafé in der Seestraße. „Ich repariere mein Rad selbst, kenne mich gut aus“, erzählt er. Die Verständigung mit den Besuchern sei hingegen eine Herausforderung, aber möglich „mit etwas Englisch“ und dem Einsatz von Händen und Füßen.

Die Radwerkstatt ist eines von vielen Angeboten des Sindelfinger Asyl-Arbeitskreises. Sie läuft parallel zum Internationalen Café jeden Donnerstagnachmittag im CVJM-Heim. „Es geht uns um Mobilität für alle“, erklärt der Chef der Radwerkstatt sein Motiv. Dazu gehört nicht nur das Organisieren und Reparieren der Räder, sondern auch Touren und Ausflüge für ambitionierte Flüchtlinge.

Radtouren und Sicherheitstraining

Für Anfänger auf dem Rad organisiert der AK Asyl im Moment ein Sicherheitstraining. „Viele Flüchtlinge kennen unsere deutschen Straßenverkehrsregeln nicht. Rechts vor links ist für sie ein Buch mit sieben Siegeln“, berichtet der Werkstattchef. Mit einem Programm, das die Polizei ausgearbeitet hat, will der Arbeitskreis nun die Flüchtlinge schulen. Schüler sollen die Ehrenamtlichen dabei unterstützen.

200 bis 300 Mitglieder hat der AK Asyl in Sindelfingen, betreut momentan 700 Flüchtlinge in vier Wohnheimen sowie in mehreren städtischen und Privatwohnungen. Bis Ende des Jahres kommen voraussichtlich weitere 300 Menschen dazu: Noch diesen Monat soll die Sporthalle der Eschenried-Realschule bezogen werden, im November das ehemalige Rotkreuzheim in der Waldenbucher Straße und das Hotel Panda in Darmsheim. „Für diese Unterkünfte suchen wir weitere Freiwillige“, sagt Sabine Mundle vom Arbeitskreis. Vor allem Paten, die bereit sind, eine Familie oder Einzelperson über einen längeren Zeitraum zu begleiten, würden gesucht.

Mehr als 150 Ehrenamtliche engagieren sich in der Nachbarstadt Böblingen. Zentraler Anlaufpunkt ist auch hier das Asylcafé – Café Muhajer, das so gut besucht wird, dass es vom Treff am See nun in den größeren Saal der Katholischen Betriebsseelsorge in der Sindelfinger Straße umgezogen ist. 60 bis 70 Flüchtlinge aus Eritrea, Syrien, dem Irak und Iran besuchen wöchentlich das Café, 15 Ehrenamtliche zwischen 14 und 80 Jahren halten es am Laufen.

Schon einige Flüchtlinge haben einen Job gefunden

Der neue Schwerpunkt des Böblinger Freundeskreises Flüchtlingshilfe ist die Hilfe in den Berufseinstieg für Asylsuchende. „Wir konnten schon mehrere Flüchtlinge in einen Job oder Praktikum vermitteln, darunter zwei Ärzte“, sagt der Diakon Martin Rebmann, Leiter des Freundeskreises.

30 Interessenten haben sich beim Koordinator Michael Görg als arbeitssuchend gemeldet. „Darunter sind IT-Experten, Physiotherapeuten, Handwerker.“ Auch einige Adressen von Firmen, die Neuankömmlingen eine Stelle oder ein Praktikum anbieten, hat er schon. „Wir arbeiten natürlich auch mit dem Jobcenter und der IHK zusammen“, sagt Görg. Firmen, die Flüchtlinge beschäftigen möchten, können sich an Görg wenden (E-Mail: beruf@ffh-bb.de). Für arbeitssuchende Flüchtlinge und ihre Paten ist das Asyl-Café montags von 16 bis 19 Uhr die erste Anlaufstelle.