Wer also vorübergehend etwas Zeit hat und sich engagieren möchte, hat schlechte Karten?
Holch: Wir bekommen zum Beispiel relativ viele Anfragen von Menschen, die gerade Semesterferien haben. Bei den Flüchtlingen, die teilweise so Schreckliches hinter sich haben, braucht es aber sehr viel mehr Zeit, Vertrauen zu fassen. Wer nur kurzfristig Zeit hat, muss in absehbarer Zeit also auch wieder gehen – das führt zu einem weiteren Bruch im Leben der Flüchtlinge und das wollen wir vermeiden. Denn Brüche haben die Flüchtlinge in ihrem Leben tatsächlich schon genug erlebt.
Worauf müssen sich Ehrenamtliche bei ihrer Arbeit mental einstellen?
Holch: Je nachdem, welchen Teil des Ehrenamtes sie sich aussuchen, kommen sie den Menschen und ihren Schicksalen eventuell sehr nahe. Das Schicksal dieser Menschen ist dann keine Geschichte mehr, die man liest oder nebenher im Fernsehen mitbekommt, sondern sie wird auch Teil der eigenen Geschichte. Die Helfenden müssen aber auch viel Verständnis für die Situation der Flüchtlinge haben. Denn gerade in dem Moment, in dem sich die Flüchtlinge sicher fühlen, werden sie eingeholt von ihren Traumata. Solange sie auf der Flucht sind können sie das alles wegdrücken, aber wenn sie zur Ruhe kommen, kommt das hoch.
Müller: Gleichzeitig soll ein Ehrenamt aber auch immer eine Bereicherung sein. Es soll die Möglichkeit bieten, eine andere Lebenswelt zu entdecken, über den Tellerrand hinausschauen. Die Ehrenamtlichen bauen ja auch Brücken, weil sie aus der Gesellschaft kommen. Umso wichtiger ist es, das Ehrenamt als etwas Sinnstiftendes zu erleben.
Geht es dabei aber nicht nur um den Schutz der Flüchtlinge, sondern auch um den Schutz der Helfer?
Müller: Natürlich geht es uns auch darum, die Menschen, die sich da engagieren, zu unterstützen und zu begleiten. Was wir wollen, ist, dass Menschen sich wohlfühlen in ihrem Ehrenamt, dass sie begleitet werden, dass sie vorbereitet oder auch qualifiziert werden, zum Beispiel im Umgang mit traumatisierten Menschen.
Wie schaffen Sie es, die vielen Anfragen im Moment zu bearbeiten?
Holch: Im Moment bieten wir viermal im Moment Sammelinformationstage an, die zum einen diesen Aufklärungscharakter haben und darüber informieren, wie im Moment die Situation ist. Zum anderen versuchen wir da aber auch am Ende nur innerhalb der Flüchtlingshilfe aufzuzeigen, welche Hilfefelder wir haben.
Was glauben Sie, woran es liegt, dass sich so viele Menschen in der Flüchtlingshilfe engagieren wollen?
Holch: Ich glaube, weil es medial sauber aufbereitet ist. Diesen Hype hat es in der Alten- oder Behindertenpflege nie gegeben. Deshalb wollen wir darauf aufmerksam machen, dass wir auch noch viele andere Bereiche haben, in denen geholfen werden. Darüber hinaus müssen sich die Menschen klar darüber werden, dass den Flüchtlingen nicht nur in der Flüchtlingshilfe geholfen werden kann.
Welche Möglichkeiten gibt es, über die klassische Flüchtlingshilfe hinaus den Flüchtlingen zu helfen?
Holch: Flüchtlingskinder zum Beispiel tauchen auch in der Nachhilfe oder in der Hausaufgabenbetreuung auf. Wenn jemand unbedingt mit Flüchtlingskindern arbeiten möchte, dann reicht es eigentlich auch schon, wenn man sich in der Hausaufgabenbetreuung engagiert, denn da werden diese Kinder so sicher wie das Amen in der Kirche auch sein. Und irgendwann werden sie bei uns auch unter den psychisch Kranken, den Wohnungslosen, den Alten und Behinderten sein, weil sie in jeder Hinsicht Teil unserer Gesellschaft geworden sind.
Was können Sie denen auf den Weg geben, die sich jetzt entscheiden, in der Flüchtlingshilfe aktiv zu werden?
Holch: Ganz wichtig ist uns, dass jeder weiß, dass er gebraucht wird. Denn ich glaube, dass jeder einzelne Bürger gebraucht wird, auch wenn es vielleicht nicht gleich morgen direkt in einer Flüchtlingsunterkunft klappen wird.
Müller: Wir schaffen es, alle, die ehrenamtlich helfen wollen, an den richtigen Ort zu bringen. Wir bitten im Moment nur einfach um etwas Geduld und Verständnis, dass es aufgrund der neuen Dimensionen einfach etwas länger dauert. Aber es ist auch uns ein Anliegen, die Freiwilligen dort unterzubringen, wo sie hinwollen und wo sie auch hingehören.