Nachdem der Druck, ständig neue Betten für Asylbewerber bereitstellen zu müssen, deutlich abgenommen hat, will der Koordinierungsstab Flüchtlinge seinen Fokus nun auf die Integration richten. Landrat und Kämmerer mahnen an, offene Finanzierungsfragen zu klären.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Rems-Murr-Kreis - Weil sich die sogenannten Zuweisungsraten des Landes in den vergangenen vier Monaten auf einem „konstant niedrigen Niveau“ eingependelt haben, will der Rems-Murr-Kreis seine Prioritäten in der Flüchtlingsfrage neu ausrichten. Während es bis zum Sommeranfang dieses Jahres vornehmlich darum gegangen war, jede Woche neue Betten für eine enorm hohe Zahl von neuen Asylsuchenden bereitzustellen, liegt der Fokus laut dem jüngsten Bericht des zuständigen Koordinierungsstabs im Waiblinger Landratsamt nun darauf, die „bisher offen gebliebenen Fragen“ bei der Versorgung der zurzeit knapp 4800 Flüchtlinge anzugehen. Die Devise laute, „ein konfliktfreies Miteinander und erste Schritte in Richtung Integration“ zu ermöglichen.

 

5000 Flüchtlinge bis Jahresende erwartet

Dass der Druck, ständig neue Unterkünfte erschließen zu müssen, zumindest vorerst merklich abgenommen hat, bestätigen die modifizierte Kalkulation und die aktuellen Zahlen. Statt mit ursprünglich knapp 10 000 Asylsuchenden rechnet die Kreisverwaltung nun bis zum Jahresende nur noch mit gut der Hälfte. Zwar hat der Landkreis in den vergangenen Monaten noch Rückstände bei der Aufnahme von Flüchtlingen aufholen müssen, zuletzt aber kamen im Schnitt pro Woche lediglich sechs neue Asylsuchende an. Diese „Verschnaufpause“ habe man über den Sommer „effizient genutzt“, indem man insgesamt zehn Notunterkünfte geräumt habe, heißt es seitens des Koordinierungsstabs. Bis Ende November sollen die verbliebenen vier folgen. Mit der Halle am Waiblinger Berufsschulzentrum werde bereits bis Mitte Oktober das letzte für den Schulsport benötigte Gebäude frei.

Auch das Schullandheim Mönchhof bei Kaisersbach, in dem interimsweise Familien und junge Flüchtlinge gewohnt hatten, ist geräumt. Die ursprünglichen Pläne, das Gebäude zu einem „Leuchtturmprojekt“ der energetischen Sanierung zu machen, sind indes ins Wanken geraten. Zwar will der Landkreis die Renovierung von Toiletten, Zimmertüren, Schränken und Betten schnellstmöglich bewerkstelligen und dem Land mit etwa 300 000 Euro in Rechnung stellen. Ob man sich die mit 1,8 Millionen Euro taxierte Maßnahme im Sinne des Klimaschutzes, bei der unter anderem alle Fenster ausgetauscht und der Wärmeschutz aufwendig verbessert werden sollen, leisten kann, darüber wollen die Kreisräte noch einmal neu befinden.

Während sich die Lage in den Gemeinschaftsunterkünften entspannt, nimmt der Druck in der sogenannten Anschlussunterbringung hingegen zu. Für jene Flüchtlinge, deren Asylbegehren positiv beschieden wurde, oder deren Antrag mehr als 24 Monate zurückliegt, wird mehr denn je bezahlbarer Wohnraum gesucht. Zwar fällt die Aufgabe den Kommunen zu, der Landkreis aber will diese mit einem Meldeportal im Internet unterstützen. Seit Anfang September versucht man auf der Internetseite des Kreises (www.rems-murr-kreis.de) im Bereich „Jugend, Senioren, Gesundheit und Soziales“, Eigentümer leer stehender Wohnungen zu erreichen, die diese nicht über herkömmliche Wege und öffentlich vermieten wollen. Interessenten können dort nun ihre Wohnungen oder freien Zimmer an das Landratsamt melden und Wünsche bezüglich der Mieter angeben.

Das Land soll die Rechnung begleichen

Mit Sorge blicken der Kreiskämmerer Frank Geißler und der Landrat Richard Sigel darüber hinaus auf die noch nicht beglichenen Forderungen für die Asylaufwendungen. Der Landkreis ist bei der Schaffung von Unterkünften und der Betreuung in Vorleistung gegangen. 9,6 Millionen Euro sind dem Land Baden-Württemberg allein für das vergangene Jahr in Rechnung gestellt worden. Man hoffe, dass das Geld wie versprochen auch erstattet werde, sagt der Kreiskämmerer. Für einzelne Leistungen, etwa kostenlose Internetzugänge in den Gemeinschaftsunterkünften oder Busanbindungen im ländlichen Raum, habe es indes bereits Absagen gegeben. Aber auch die Finanzierung künftiger Aufwendungen sei noch nicht sichergestellt. So müsse Flüchtlingen mit Bleiberecht eine Aus- und Weiterbildung ermöglicht, für Kinder genügend Kindergarten- und Schulplätze geschaffen und eine angemessene Gesundheitsversorgung sichergestellt werden. All diese offenen Fragen müssten schnell geklärt werden, mahnt der Landrat Richard Sigel an – möglichst, bevor die Ungewissheit die anstehenden kommunalen Haushaltsberatungen belasteten.

Die Situation in den Nachbarlandkreisen

Göppingen
2440 Asylsuchende sind zurzeit in Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Göppingen untergebracht. In den vergangenen drei Monaten kamen im Schnitt 57 neue hinzu. Bis zum Jahresende rechnet die Kreisverwaltung mit insgesamt 3300 Personen. Notunterkünfte sind keine mehr belegt. Die letzte Sporthalle wurde bereits Ende Juli geräumt.

Ludwigsburg
Die Gemeinschaftsunterkünfte im Landkreis Ludwigsburg sind zurzeit mit 4072 Personen belegt. Für den Oktober wurden dem Kreis 30 neue Flüchtlinge angekündigt, allerdings muss noch ein Rückstand von rund 1100 Personen aufgeholt werden. Für das aktuelle Jahr rechnet man mit rund 3000 Personen. Zurzeit sind noch acht Notunterkünfte belegt. Die drei landkreiseigenen Sporthallen sollen aber bis spätestens Jahresende geräumt werden.

Böblingen
3100 Flüchtlinge haben im Landkreis Böblingen eine erste Bleibe gefunden. Im vergangenen Monat waren dem Kreis 30 Personen zugewiesen worden. Bis auf eine „Restbelegung“ in einer Sporthalle sind alle Notunterkünfte geräumt. Die Halle wird noch so lange belegt, bis in der selben Stadt eine Gemeinschaftsunterkunft frei wird.

Esslingen
5491 Personen waren laut Angaben des Landratsamts im Kreis Esslingen Ende August in der vorläufigen Unterbringung registriert. Den Abbau von Rückständen nicht eingerechnet, wurden zuletzt monatlich 29 Personen neu zugewiesen. Nach wie vor sind zwei Sporthallen und sechs Zelte mit insgesamt rund 1100 Plätzen belegt.